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Der Grüne Kassenwart und die Prostituierten

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Der Ex-Schatzmeister der Brandenburger Grünen, Christian Goetjes.
Der Ex-Schatzmeister der Brandenburger Grünen, Christian Goetjes. © dpa

Christian Goetjes war mal Schatzmeister der Brandenburger Grünen. Dann verschwand er mit viel Geld. Und eine äußerst seltsame Geschichte nahm ihren Lauf.

Die Rechnung am 19. Oktober 2010 bei Ikea war nicht hoch. Sie betrug 28,95 Euro. Trotzdem zahlte sie Christian Goetjes mit Karte. Schon am Tag zuvor war er in dem schwedischen Möbelhaus. 234,39 Euro wurden ihm da berechnet. Er kaufte Sachen für die Wohnung ein, in der seine Freundin lebte. Eine Prostituierte aus Bulgarien. Und wieder beglich er nicht in bar. Das Geld wurde abgebucht – vom Konto der Brandenburger Grünen.

Die Rechnungen bei Ikea tragen in der Anklageschrift gegen den 34-jährigen Goetjes die Nummern 239 und 240. Das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was der einstige Schatzmeister der Grünen sonst noch von den Parteikonten gestohlen haben soll. In zwei Jahren gab es 267 Abbuchungen, insgesamt 273.791,79 Euro fehlen, sagt der Staatsanwalt. Die Grünen in Potsdam gehen nach Prüfung ihrer Konten sogar von 292.728,76 Euro aus.

Christian Goetjes sitzt an diesem Montag etwas nervös auf seinem Stuhl im Saal acht des Potsdamer Landgerichts. Hier muss er sich wegen des besonders schweren Falls von Untreue verantworten. Es ist der dritte Prozesstag gegen den großen, schweren Mann mit dem Igelhaarschnitt und dem Babyface. Goetjes sitzt neben seinem Verteidiger, der im Vergleich zu ihm klein und zerbrechlich wirkt.

Christian Goetjes sagt wenig an diesem Tag. Das veruntreute Geld der Grünen spielt fast keine Rolle mehr. Zu dem neuen Vorwurf, dass er, der Hartz-IV-Empfänger, längst nicht so arm ist, wie er vorgibt, will er sich nicht äußern. Goetjes soll in Berlin über eine lukrative Einnahmequelle verfügen. Als Zuhälter.

Kein Traumjob

Er trägt ein schwarzes T-Shirt unter dem dunklen Jackett und eine blaue Jeans. Er gibt sich eher konservativ. „Das war schon immer so“, sagt ein einstiger Mitstreiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Goetjes erfülle nicht die Klischees eines Grünen. „Er trägt niemals Schlabberpullis, fährt so gut wie nie Fahrrad. Und er hat ein Faible für Finanzen, Kassenwart bei den Grünen, das ist kein Traumjob.“ Die Parteifreunde seien froh gewesen, als sich Christian bereit erklärt hatte, dieses Ehrenamt freiwillig zu übernehmen. Sowohl im Jahr 2000 für den Landesverband als auch später für den Kreisverband Oberhavel. Goetjes konnte auf die Konten zugreifen. Warum denn auch nicht? Er bezahlte die Rechnungen der Grünen stets pünktlich.

Eigentlich hätte Christian Goetjes an diesem Montag längst verurteilt sein sollen. Zwei Verhandlungstage waren vorgesehen. Geständnis, zwei Zeugen, Plädoyers, Urteil, fertig. Nichts schien den Plan zu stören.

Goetjes Geständnis am ersten Prozesstag kam prompt – in wohlgesetzten und manchmal auch ein wenig belehrenden Worten. „Die Anklagepunkte sind im Wesentlichen leider zutreffend“, gab er zu Protokoll und verwies darauf, dass er das alles auch schon im Ermittlungsverfahren zugegeben habe.

Die Anklagepunkte besagen, dass Christian Goetjes von Januar 2009 bis Februar 2011 insgesamt 267 Mal in die Parteikassen des Grünen-Landesverbands und des Kreisverbands in Oberhavel gelangt haben soll. Mal gab er den BUND als Empfänger an, mal die Grüne Jugend. Stets landete das Geld auf seinem Konto. Ab April 2010 bemühte sich Goetjes nicht einmal mehr, seine Transaktionen zu verschleiern. Der Kassenwart hob hohe Beträge ab und bezahlte private Rechnungen vom Geld der Grünen. „Ich habe selbst gestaunt, wie lange ich mich so ohne weiteres bedienen konnte“, sagt er vor Gericht.

Goetjes behauptet, aus edlen Motiven gehandelt zu haben. Er erzählt dem Gericht die Geschichte eines Mannes, der zwei bulgarische Prostituierte vom Berliner Straßenstrich retten wollte. Wenn er von den Frauen spricht, nennt er sie Personen. Einer Person habe er den Heroinentzug bezahlt, sagt er. Der anderen die Schulden, die ein gewalttätiger Kredithai bei ihr eintreiben wollte. Er sagt, dass er sich in eine der Prostituierten verliebt habe, die andere fand er attraktiv. Der einstige Kassenwart erklärt dem Gericht reuevoll, er habe etwas vermeintlich Gutes gewollt, aber das Falsche getan.

Goetjes zeichnet das Bild eines selbst ernannten Robin Hood, der den nicht gerade reichen Grünen in Brandenburg etwas wegnahm, um es den armen Huren zu geben. Er zeichnet das Bild eines unbedarften Naivlings, der wohl noch nie eine richtige Freundin hatte. Der noch nie auf eigenen Beinen stand. Der noch bis vor einem Jahr bei seinen Eltern gemeldet war, 300 Euro Taschengeld von ihnen bekam, weil er ja nur eine Aufwandsentschädigung von vielleicht 350 Euro im Monat hatte, die er für sein Ehrenamt als Schatzmeister der Grünen und als Stadtverordneter in seinem Heimatort Hohen Neuendorf bekam. Dem die Eltern den Audi 80 überließen und auch noch den Sprit bezahlten. Der andererseits auch Erfahrungen sammelte mit Frauen vom Straßenstrich an der Berliner Kurfürstenstraße, mit bezahltem Sex für 50 Euro.

Unbedarft und verliebt

Es kommt durchaus Mitleid bei den Prozessbeobachtern auf, wenn sich der Angeklagte so offen und entwaffnend als armes Würstchen präsentiert, der sich nun jeden Euro vom Munde absparen und die Eltern um ein Darlehen bitten muss, um den Grünen mit 65.000 Euro wenigstens einen Teil des geklauten Geldes rückerstatten zu können. Einer, der einfach nur zu unbedarft oder zu verliebt oder beides war, um die Märchen, mit denen ihn die Frauen ausnahmen, zu durchschauen. Etwa das von einer Schwester, die nach einem missglückten Selbstmordversuch auf der Intensivstation im bulgarischen Varna lag und 15.000 Euro brauchte, weil sie nicht krankenversichert war.

Doch das Bild vom selbstlosen Menschenfreund, der nur ausgenutzt und letztlich betrogen wurde, bekam Risse. Ausgerechnet am zweiten Verhandlungstag, als der Vorsitzende Richter Jörg Tiemann statt ein Urteil zu sprechen, wie es der Plan dieses Prozesses vorsah, überraschend Akten des Landeskriminalamtes aus Berlin in die Hände nahm, die ihm tags zuvor zugestellt worden waren.

Diese Akten enthalten Hinweise darauf, dass Goetjes über weit mehr verfügt als nur den Hartz-IV-Satz zum Leben und Schulden tilgen. Goetjes soll in Berlin einen Escort-Service betreiben und über zwei Internetportale Prostituierte in eindeutiger Milieusprache anbieten. Aus den LKA-Unterlagen geht hervor, dass er die Frauen persönlich zu den Freiern eskortiert und dort den Lohn für die Liebesdienste aushandelt, von dem er die Hälfte für sich behält. Goetjes soll die Dienste der Damen sogar dann noch feilgeboten haben, als der Untreue-Prozess gegen ihn bereits lief. Eine bulgarische Prostituierte hatte ihn angezeigt, weil sie sich von Goetjes verfolgt und bedroht fühlte.

Auf einmal gab es also zwei Versionen dieses Mannes. Den naiven Versager und den umtriebigen Zuhälter. Welcher dieser beiden Männer ist nun Goetjes?

Einen Begleit-Service zu betreiben, ist nicht strafbar. Solange die Frauen nicht illegal in Deutschland leben oder sie zur Prostitution gezwungen werden. Einstige Parteifreunde spotten bereits, mit Goetjes hätten die Grünen in Brandenburg die Frauenquote längst erreicht. Und in seinem Heimatort Hohen Neuendorf ist der ehemalige Kassenwart noch immer Gesprächsthema. Kaum jemand weiß, was diesem Mann zuzutrauen ist. Wer er wirklich ist.

In dem 24.000 Einwohner zählenden Ort nördlich von Berlin wuchs Goetjes auf, hier ging er zur Schule. Am Gymnasium versuchte er dreimal vergebens, das Abitur zu machen. Er sagt, er habe als damaliger Vorsitzender des Landesschülerrates zu wenig Zeit fürs Lernen gehabt. In Hohen Neuendorf war Goetjes seit 2005 für die Grünen im Stadtparlament, als Nachrücker. Seine Eltern leben hier in einer hübschen Einfamilienhaussiedlung. Sie haben ihn lange unterstützt, haben ihn auch als vermisst gemeldet, als er im Februar 2011 so plötzlich und zunächst spurlos verschwand. Weil sie sich Sorgen machten.

Genau wie die Grünen, denen Goetjes in einer Email überraschend mitgeteilt hatte, er lege sein Amt als Schatzmeister nieder. Er war nicht mehr erreichbar. Nicht auf seinem Handy, auch nicht an der Fachhochschule in Berlin, wo er eigentlich Public Management studieren sollte, aber schon im April 2010 exmatrikuliert wurde.

Das Bild vom zuverlässigen Schatzmeister zerbrach vollends, als sich bei einer Routinekontrolle der Parteikonten zwei Tage später herausstellte, was eigentlich los war. Goetjes hatte kurz vor seinem Verschwinden noch 36.000 Euro abgehoben und sich, wie sich später herausstellte, mit einer der beiden Prostituierten nach Bulgarien abgesetzt.

Je länger die Grünen ihre Bilanzen prüften, desto größer wurde der Schrecken. Über ihren ehemaligen Schatzmeister, der nach seiner Verhaftung in einem Brief seinen Parteiaustritt erklärte, und vor allem über ihr eigenes blindes Vertrauen.

Dabei gab es schon Anzeichen, dass etwas nicht stimmte mit dem Christian, erinnert sich ein ehemaliger Parteifreund. Sechs Jahre habe er Goetjes als zuverlässigen und hochintelligenten Politiker kennengelernt. Er sei ein Organisationstalent gewesen, habe aber auch oft den Chef raushängen lassen. „In letzter Zeit hat er sich gravierend verändert. Er wurde unzuverlässig, immer egozentrischer und immer weniger kompromissbereit“, sagt der einstige Weggefährte.

Goetjes sei bei den Fraktionssitzungen in Hohen Neuendorf nicht mehr vorbereitet gewesen, oft zu spät gekommen. Man habe geglaubt, dass das mit seiner Freundin zusammenhängen könnte. „Er hat mal erzählt, dass sie drogensüchtig ist und versucht, davon wegzukommen“, sagt der Mann. Gesehen habe man Goetjes nie mit einer Frau. Er sei ein Einzelgänger gewesen, der sein Privatleben für sich behielt.

Untergetaucht mit der Parteikasse

Der Mann erzählt, dass der Kreisverband schon Anfang 2010 von Goetjes Konteneinsicht verlangt habe. „Er hat uns erst weismachen wollen, das sei technisch nicht möglich.“ Als es dann soweit war, fiel eine Abbuchung von 2?000 Euro auf. „Christian sollte erklären, wofür das Geld bestimmt war. Er hat es immer wieder hinausgezögert. Bis er dann plötzlich mit der Parteikasse untertauchte. Ich habe gedacht, jetzt hat er ganz dicken Mist gebaut. Irgendwas im Drogenmilieu.“

Cornelia Berndt kennt Goetjes ebenfalls schon seit vielen Jahren. Sie sitzt für die Grünen im Kreistag von Oberhavel. Parteimitglieder müssen nun anerkennen, dass die 59-Jährige den „richtigen Riecher“ hatte. Cornelia Berndt sagt, sie habe dem Christian nie getraut. „Der hatte so eine Gutsherrenart an sich“, sagt sie. Christian habe sich regelrecht in die Parteiämter gedrängt. Er hatte immer sehr viel Zeit und habe sich rasch unentbehrlich gemacht. „Ich glaube nicht daran, dass er ein Helfersyndrom hat.“ Die neuesten Entwicklungen im Prozess könnten ihr recht geben.

Den Potsdamer Richtern dürfte es egal sein, ob sich Christian Goetjes mit einem Escort-Service strafbar gemacht hat oder nicht. Das wird in Berlin ermittelt. In dem Untreue-Prozess interessiert nur, ob er die Prostituierten wirklich für sich arbeiten ließ. Dann nämlich wären Goetjes edle Motive für den Betrug an den Grünen vom Tisch, wäre der einstige Schatzmeister mitnichten ein Helfer in der Not, sondern ein Zuhälter, der mit Frauen Geld verdiente.

Die Grünen haben für diesen Fall bereits angekündigt, sich nicht mit den 65.000 Euro zufriedenzugeben, die ihnen der vermeintlich arme Goetjes angeboten hat. Sie wollen sich dann jeden Cent ihres Geldes zurückzuholen. Die gesamten 292.728,76 Euro.

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