"Umarme mich!"
Vom Motivationsredner zum streng gläubigen Prediger: Der Australier Nick Vujicic hat keine Arme und Beine - aber eine göttliche Mission. Von Patrick Beuth
Von Patrick Beuth
Es ist einer seiner Lieblingswitze: "Give me a hug, I don´t do handshakes." Umarme mich, ich schüttele keine Hände. Nick Vujicic macht viele Scherze. Seine Begrüßung gehört zu den harmloseren. Der 26-jährige Australier hat weder Arme noch Beine. Auf der linken Seite seines Rumpfes ist so etwas wie ein Minifuß mit zwei Zehen gewachsen, mehr nicht. Und nicht selten macht er sich einen Spaß daraus, Menschen zu erschrecken.
Kindern etwa, die ihn fragen, was mit ihm passiert ist, flüstert er zu: "Zigaretten". Als er zum ersten Mal auf ein Surfbrett gesetzt und in die Wellen geschoben wurde, fiel er ins Wasser. Sein damaliger Betreuer verlor ihn aus den Augen und geriet in Panik. Was er nicht wusste: Vujicic kann minutenlang die Luft anhalten, denn er hat nicht viel Muskulatur, die Sauerstoff verbraucht. Und er kann schwimmen, mit Hilfe seines kleinen Fußes, den er wie einen Propeller bewegt. Vujicic lacht, wenn er so etwas erzählt. Er liebt seine Schock-Geschichten.
Immer wieder versucht der Sohn serbischer Eltern zu beweisen, dass er Dinge tun kann, für die man eigentlich Gliedmaßen bräuchte. Teilweise entwickelt er dabei sogar bisher ungekannte Tricks. So ist er in der Lage, sich selbst mit einer Art Sprung einmal um die eigene Achse zu drehen. Bei einem Treffen mit der ehemaligen Profisurferin Bethany Hamilton auf Hawaii schaffte er das sogar auf einem Surfbrett, was ihm ein Titelfoto auf einem Surfer-Magazin einbrachte. Er mache solche Sprünge manchmal auch auf dem Beifahrersitz eines Autos, erzählte er der britischen Daily Mail. Um Leute aus der Fassung zu bringen, die an ihm vorbeifahren und durch das Autofenster nur seinen Kopf sehen können.
Aber Vujicic ist nicht nur ein Spaßvogel. Er arbeitet als Redner und Prediger. Um ihn herum hat sich eine streng christliche Gruppierung gebildet, die auch ihn verändert hat. Bei einem zufälligen Treffen vor drei Jahren auf dem Flughafen von Sydney erzählte er viel von sich und seiner Organisation "Life without limbs" - Leben ohne Gliedmaßen. Er war auf dem Weg nach Südafrika, um Menschen seinen Lebenswillen zu demonstrieren. "Wenn ich das kann, dann könnt ihr das erst recht" - das war sein Leitmotiv. Er sagte es wieder und wieder, in Afrika, in Asien und in Amerika.
Er tut das noch heute. Aber der Ton ist ein anderer geworden. Er redet jetzt vom Erlöser, von göttlichen Plänen und auch von Enthaltsamkeit vor der Ehe. Vor kurzem bekam die Webseite von "Life without limbs" ein neues Layout - und plötzlich klingen auch die Texte darauf ganz anders. Früher war dort zu lesen, dass sich sein Vater übergeben musste, als er Nick nach der Geburt zum ersten Mal sah. Und dass seine Mutter vier Monate gebraucht habe, bis sie ihn endlich in den Arm nehmen wollte. Jetzt steht dort nur noch etwas von "Bedenken" und "Ängsten" der Eltern. Und sehr viele Bibelzitate.
Was genau die Ursache für die Missbildung seines Körpers ist, will Vujicic auch nicht mehr sagen. In seinem Wikipedia-Eintrag steht noch, er sei mit dem äußerst seltenen Gendefekt Tetraamelie geboren worden. Jetzt lässt er lieber verbreiten, es gebe keine medizinische Ursache für sein Aussehen.
Sein Glaube war einst seine Rettung. Als Kind musste er zunächst in eine Schule für Behinderte, weil es das australische Gesetz so vorgab. Als es Anfang der 90er Jahre geändert wurde, gehörte Vujicic zu den ersten, die an eine normale Schule wechselten. Dort wurde er gehänselt, bis er im Alter von acht Jahren zum ersten Mal an Selbstmord dachte. Zwei Jahre später versuchte er, sich in der Badewanne zu ertränken. Dann, so sagt er heute, habe Gott ihn gelehrt, dass seine Geschichte eine Inspiration für alle sei, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Der Glaube wurde zur Berufung, und schließlich zum Beruf.
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Heute lebt er in Kalifornien und verdient sein Geld mit Auftritten und dem Verkauf von DVDs - auf denen seine Auftritte zu sehen sind. Er will ein Buch schreiben. "Keine Arme, keine Beine, keine Sorgen" soll es heißen. Schaut man sich die kurzen Videos an, die von Vujicic im Internet zu sehen sind, sieht man einen Menschen, der auch ohne Gliedmaßen tatsächlich ein weitestgehend selbstständiges Leben führt: sich rasiert, die Zähne putzt und mit seinem kleinen Fuß in rasender Geschwindigkeit den Computer bedient.
Außerdem wird er viel reisen: Die USA, China, sogar Ägypten, Kuweit und Dubai stehen noch für dieses Jahr auf dem Programm. Nur nach West-Europa reisen will Nick Vujicic erst einmal nicht. Es kämen keine ernsthaften Anfragen, gibt sein Sprecher zu.