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'''Bagatelldelikte''' sind im deutschen [[Strafverfahrensrecht]] [[Straftat (Deutschland)|Straftaten]] von geringer Bedeutung. Der [[Rechtsbegriff]] ''Bagatelldelikt'' ist im Gesetz nicht [[Legaldefinition|legal definiert]], wird aber allgemein in der Rechtspraxis für so genannte „geringfügige Straftaten“ verwendet.
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Unter einem '''Bagatelldelikt''' versteht man im deutschen [[Strafverfahrensrecht]] eine [[Straftat]] von geringer Bedeutung.
 
== Allgemeines ==
Die [[Staatsanwaltschaft]] kann von der [[Strafverfolgung]] bei Bagatelldelikten absehen oder ein bereits bestehendes [[Gerichtsverfahren|Verfahren]] gemäß § 153 [[Strafprozessordnung (Deutschland)|StPO]] einstellen (auch vorläufig unter Erteilung von [[Auflage (Justiz)|Auflagen]] und [[Weisung]]en), wenn es sich um [[Vergehen]] (nicht um ein [[Verbrechen]]) handelt. Diese Möglichkeit ist Ausdruck des ''[[Opportunitätsprinzip]]s''. Demnach ist die [[Anklage]]erhebung bei Straftaten geringer Bedeutung in das [[Ermessen]] der Staatsanwaltschaft gestellt ([[Latein|lat]]. ''opportunus'' u. a. für: angebracht, angemessen).
Die [[Staatsanwaltschaft (Deutschland)|Staatsanwaltschaft]] ist allgemein bei absoluten [[Antragsdelikt]]en und [[Offizialdelikt (Deutschland)|Offizialdelikten]] kraft Gesetzes verpflichtet, [[von Amts wegen]] die [[Strafverfolgung]] aufzunehmen. Es gibt jedoch Straftaten, die wegen der geringen [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] des [[Täter (Strafrecht)|Täters]] nicht verfolgt zu werden brauchen. Es liegt im Rahmen des [[Ermessen]]s, ob eine Strafverfolgung von Vergehen bei zu erwartender geringer Schuld eingeleitet wird; dies ist Ausdruck des [[Opportunitätsprinzip]]s.
 
Der Gesetzgeber hatte im Rahmen der [[Große Strafrechtsreform|Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts]] im Januar 1975 bereits die Deliktsform der [[Übertretung]] abgeschafft und damit die bisherige Dreiteilung der Straftaten in [[Verbrechen]], [[Vergehen]] und Übertretungen zugunsten einer Zweiteilung in Verbrechen und Vergehen aufgegeben. Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen auch aus [[verfassungsrecht]]lichen Gründen Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein;<ref>BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969, Az. 2 BvL 15/68, 2 BvL 23/68, {{BVerfGE|25|269}}, 286 – Verfolgungsverjährung.</ref> der Schuldgrundsatz muss sich in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Verfassungsgrundsatz des [[Verhältnismäßigkeitsprinzip (Deutschland)|Übermaßverbotes]] decken.<ref>BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1973, Az. 2 BvL 8/71, {{BVerfGE|34|261}}, 266.</ref>
Als Bagatelldelikte sind Vergehen anzusehen, bei denen kein [[öffentliches Interesse]] an der Strafverfolgung besteht. Im Übrigen darf die [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] des Täters nur gering und nicht gewerbsmäßig und wiederholt sein.
 
== Voraussetzungen für Bagatelldelikte ==
Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen werden zudem gemäß § 248a StGB grundsätzlich nur noch auf Antrag verfolgt.
Zu den Bagatelldelikten gehören nur Straftaten, bei denen
* es sich um ein Vergehen handelt (kein Verbrechen) und
* die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und
* kein [[öffentliches Interesse]] an der Verfolgung besteht.
Bei Vergehen kann (muss aber nicht) die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des [[Gericht]]s von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Einer gerichtlichen Zustimmung bedarf es nicht, wenn ein Vergehen nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten [[Strafe]] bedroht ist, und die Tatfolgen gering sind. Ist bereits [[Anklage]] erhoben, entscheidet das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und meist auch des [[Angeschuldigter|Angeschuldigten]] ({{§|153|stpo|juris}} [[Strafprozessordnung (Deutschland)|StPO]]). Eine geringe Schuld des Täters setzt voraus, dass seine Tat weder gewerbsmäßig noch als wiederholt begangene Tat einzustufen ist. Wiederholte Diebstähle sind eine fortlaufende Einnahmequelle und damit gewerbsmäßig ({{§|243|stgb|juris}} Abs.&nbsp;1 Satz&nbsp;3 [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|StGB]]).
Es gelten ansonsten für die Geringwertigkeit die Bestimmungen über eine [[geringwertige Sache]].
 
Das [[Bundesverfassungsgericht]] (BVerfG) hatte im Rahmen der Bagatellkriminalität am 17. Januar 1979 entschieden,<ref>BVerfG, Urteil vom 17. Januar 1979, Az. 2 BvL 12/77, {{BVerfGE|50|205}}.</ref> dass die durch den Gesetzgeber eingeleitete Lockerung des Strafverfolgungszwangs eine Entlastung der Strafrechtspflege bewirken sollte. Danach kann die Staatsanwaltschaft unter den Voraussetzungen des {{§|153|stpo|juris}} Abs.&nbsp;1 Satz&nbsp;1 StPO bei einem Vergehen, das gegen fremdes Vermögen gerichtet und nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist, auch ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn der durch die Tat verursachte Schaden gering ist ({{§|153|stpo|juris}} Abs.&nbsp;1 Satz&nbsp;2 StPO).
Ein typisches Bagatelldelikt sind [[Ladendiebstahl|Ladendiebstähle]] mit geringwertigen Sachen als Diebesgut, ebenso der frühere [[Mundraub]].
 
== Arten ==
Bagatelldelikte werden häufig mit [[Kavaliersdelikt]] gleichgesetzt, die gemeinhin als moralisch (so gut wie) einwandfrei gelten.
Man unterscheidet ''eigentliche'' und ''uneigentliche'' Bagatelldelikte. Zu den ''eigentlichen Bagatelldelikten'' gehören jene, bei denen die Tatbestandsbeschreibung von vorneherein von geringfügiger Schuld ausgeht wie dies bei den seit Januar 1975 weggefallenen Straftaten des §&nbsp;368 StGB&nbsp;a.F. der Fall war (etwa das Beschreiten einer ungemähten Wiese; §&nbsp;368 Nr.&nbsp;9 StGB&nbsp;a.F.). Bei den ''uneigentlichen Bagatelldelikten'' kann eine Tat entweder so begangen werden, dass sie schweres Unrecht darstellt oder zu den Bagatelldelikten gehört.<ref name="dreher">[[Eduard Dreher]]: ''Die Behandlung der Bagatellkriminalität''; in: [[Hans Welzel]] (Hrsg.), ''Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag'', 1974, S.&nbsp;917&nbsp;f. [https://books.google.de/books?id=w6Y0Hx6vK2IC&pg=PA917&dq=straftat+geringer+bedeutung&hl=de&sa=X&ei=1OIIUrTUJon6sgauwIGABg#v=onepage&q=straftat%20geringer%20bedeutung&f=false Online].</ref> Bei den uneigentlichen Delikten ist das typisierte Unrechtsmerkmal zwar strafwürdig, erfüllt jedoch die Voraussetzungen der Bagatellfälle. Zu den ersteren gehören die typischen Bagatelldelikte wie der [[Ladendiebstahl]] oder die [[Unterschlagung (Deutschland)|Unterschlagung]] von geringwertigen Sachen als Diebesgut ({{§|248a|stgb|juris}} StGB). Die meisten übrigen Delikte, die sich gegen das Eigentum oder Vermögen richten, verweisen auf diese Vorschrift. Es handelt sich dabei um die [[Entziehung elektrischer Energie]] nach {{§|248c|stgb|juris}} Abs.&nbsp;3 StGB, [[Begünstigung]] nach {{§|257|stgb|juris}} Abs.&nbsp;4 Satz&nbsp;2 StGB, [[Hehlerei]] nach {{§|259|stgb|juris}} Abs.&nbsp;2 StGB, [[Betrug (Deutschland)|Betrug]] nach {{§|263|stgb|juris}} Abs.&nbsp;4 StGB, [[Erschleichen von Leistungen]] nach {{§|265a|stgb|juris}} Abs.&nbsp;3 StGB („Schwarzfahren“), [[Untreue (Deutschland)|Untreue]] nach {{§|266|stgb|juris}} Abs.&nbsp;2 StGB und [[Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten]] nach {{§|266b|stgb|juris}} Abs.&nbsp;2 StGB.
 
Aber nicht nur [[Eigentumsdelikt|Eigentums-]] und [[Vermögensdelikt (Deutschland)|Vermögensdelikte]] können in Bagatellform auftreten, auch die zu den uneigentlichen Bagatelldelikten gehörende [[Nötigung (Deutschland)|Nötigung]], [[Bedrohung]], [[Hausfriedensbruch (Deutschland)|Hausfriedensbruch]], [[Sachbeschädigung]], [[Körperverletzung (Deutschland)|Körperverletzung]] oder [[Beleidigung (Deutschland)|Beleidigung]].<ref name="dreher" />
 
== Bagatellgrenzen ==
Geringwertigkeit und öffentliches Interesse sind [[Unbestimmter Rechtsbegriff|unbestimmte Rechtsbegriffe]]. Die Grenze der Geringwertigkeit liegt einem Urteil des [[Oberlandesgericht Frankfurt am Main|OLG Frankfurt]] zufolge bei einem Wert von bis zu 50 [[Euro|€]].<ref>OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 9. Mai 2008, Az. 1 Ss 67/08, [https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE190013839 Volltext].</ref> Wird jedoch das Maß der Geringfügigkeit überschritten, liegen die Voraussetzungen eines Bagatelldelikts nicht mehr vor. Geht der Dieb etwa bei einer von ihm gestohlenen billigen Imitation von einem teuren Original aus, ist das Maß der Geringfügigkeit überschritten.<ref name="dreher" /> So bedarf etwa eine Beleidigung in der Kneipe als absolutem [[Antragsdelikt]] eines privaten [[Strafantrag (Deutschland)|Strafantrags]], weil ein öffentliches Interesse zu verneinen ist und sie deshalb als geringfügige Straftat anzusehen sein dürfte. Die Wirkung der Beleidigung muss über den unmittelbaren Lebenskreis des Geschädigten hinausgehen oder eine besondere Missachtung oder [[Ehrverletzung]] zum Ausdruck bringen, damit öffentliches Interesse angenommen werden kann; dann muss die Staatsanwaltschaft von Amts wegen die Strafverfolgung aufnehmen.
 
== Rechtsfolgen ==
Liegen alle drei Voraussetzungen vor, kann die Staatsanwaltschaft gemäß {{§|153|stpo|juris}} StPO von der Verfolgung einer Straftat absehen oder ein bereits bestehendes [[Einstellung des Strafverfahrens (Deutschland)|Verfahren einstellen]]. Nach Anklageerhebung ist eine entsprechende Einstellung durch das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten möglich. Der Geschädigte wird dann auf den Weg der [[Privatklage]] verwiesen.
 
Im zitierten Urteil verweist das BVerfG darauf, dass insbesondere durch die {{§|153|stpo|juris}}, {{§|153a|stpo|juris}} StPO eine schuldangemessene Reaktion des Staates auf Straftaten im Bereich der Bagatellkriminalität sichergestellt werde. Diebstähle und Unterschlagungen geringwertiger Sachen seien weiterhin uneingeschränkt Anwendungsfälle der {{§|242|stgb|juris}}, {{§|246|stgb|juris}} StGB; sie unterschieden sich von sonstigen Diebstählen im Sinne des {{§|242|stgb|juris}} StGB und von Unterschlagungen nicht im Tatbestand, sondern nur in der Art ihrer prozessualen Behandlung: Ihre Verfolgung hänge von der Stellung eines Strafantrages oder davon ab, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halte ({{§|248a|stgb|juris}} StGB); die verfahrensrechtlichen Befugnisse der Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung darüber, ob von der Strafverfolgung oder vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen werden soll, seien hier im Vergleich zu anderen Straftaten erweitert ({{§|153|stpo|juris}} Abs.&nbsp;1 Satz&nbsp;2, {{§|153a|stpo|juris}} StPO).
 
Darüber hinaus bieten die Vorschriften des Strafgesetzbuchs dem Richter weitere Möglichkeiten, dem spezifischen Unrechts- und Schuldgehalt von Bagatelldelikten Rechnung zu tragen. Er kann unter den gesetzlichen Voraussetzungen von Strafe absehen ({{§|60|stgb|juris}} StGB), den Angeklagten schuldig sprechen und [[Verwarnung mit Strafvorbehalt|unter Vorbehalt der Strafe verwarnen]] ({{§|59|stgb|juris}} StGB) oder die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe [[Strafaussetzung zur Bewährung|zur Bewährung aussetzen]] ({{§|56|stgb|juris}} StGB). Erscheint die Vollstreckung einer solchen Strafe im Einzelfall geboten, so besteht nach {{§|57|stgb|juris}} StGB die Möglichkeit einer [[Aussetzung des Strafrestes]] nach teilweiser Strafverbüßung.
 
Im Juni 2021 einigten sich die Regierungsparteien darauf, dass Personen, die wegen einer [[Antisemitismus|antisemitisch]] oder [[Rassismus|rassistisch]] motivierten Straftat verurteilt worden sind, die [[Einbürgerung]] verwehrt bleiben soll. Dies soll auch für antisemitische Straftäter unterhalb der Schwelle von Bagatelldelikten gelten – genauer: nach einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von weniger als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe unter drei Monaten.<ref>{{Internetquelle |autor=Michael Thaidigsmann |url=https://www.juedische-allgemeine.de/politik/keine-einbuergerung-von-antisemitischen-straftaetern/ |titel=Keine Einbürgerung von antisemitischen Straftätern |werk=juedische-allgemeine.de |datum=2021-06-18 |abruf=2021-06-18}}</ref>
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
{{Rechtshinweis}}
{{Normdaten|TYP=s|GND=4278774-9}}
 
[[Kategorie:StrafverfahrensrechtStrafprozessrecht (Deutschland)]]