„Alfred Herrhausen“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Alfred Herrhausen 1985 (Foto Wolf P. Prange).jpg|miniatur|hochkant|Alfred Herrhausen (1985), fotografiertAufnahme von Wolf P. Prange aus dem Historischen Archiv der Deutschen Bank]]
'''Alfred Herrhausen''' (* [[30. Januar]] [[1930]] in [[Essen]]; † [[30. November]] [[1989]] in [[Bad Homburg vor der Höhe]]) war ein deutscher [[Manager (Wirtschaft)|Manager]] und Vorstandssprecher der [[Deutsche Bank|Deutschen Bank]]. Er strebte an, sie zu einer globalen [[Universalbank]] mit integriertem [[Investmentbank]]ing [[Organisationsentwicklung|weiterzuentwickeln]] und ihre Position im internationalen Wettbewerb zu verbessern. In seinen öffentlichen Stellungnahmen thematisierte Herrhausen nicht allein [[Finanzpolitik|finanzpolitische]] Fragestellungen. Immer wieder hat er sich darüber hinaus grundlegend zu Aspekten der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ordnung geäußert und insbesondere dadurch Aufmerksamkeit erlangt. Er galt als Sprecher nicht nur seiner Bank, sondern – [[avant la lettre]] – als Sprecher der „[[Deutschland AG]]“. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1970er und der zweiten Hälfte der 1980er Jahre beteiligte er sich in diesem Kontext intensiv an der Debatte über die „Macht der Banken“. Seit Herbst 1987 setzte Herrhausen sich öffentlich dafür ein, die [[Kredit]]lasten [[Hochverschuldete Entwicklungsländer|hochverschuldeter Entwicklungsländer]] zu reduzieren. Dieser Vorstoß erzeugte weit über seine Branche hinaus Diskussionen. Herrhausen, der seine Berufslaufbahn in der [[Energiewirtschaft]] begonnen hatte, starb bei einem [[Attentat auf Alfred Herrhausen|bei einem Bombenattentat]], zu dem sich die [[Rote Armee Fraktion]] (RAF) bekannte. Die Täter konnten bis heute nicht identifiziert werden.
 
== Herkunftsfamilie und Bildungsweg ==
=== Herkunft und Milieu ===
Alfred und seine Zwillingsschwester Anne kamen in [[Essen]] als Kinder des [[Geodät|Vermessungsingenieurs]] Karl Herrhausen und seiner Ehefrau Wilhelmine (Hella), geborene Funke, zur Welt. Der Vater entstammte einer Essener Metzgerfamilie, die Mutter einer Offiziersfamilie aus [[Gelsenkirchen]].<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Biographie |url=https://www.deutsche-biographie.de/pnd118927523.html |titel=Herrhausen, Alfred - Deutsche Biographie |sprache=de |abruf=2024-05-30}}</ref><ref>Sattler, Herrhausen, S. 653.</ref> Herrhausen wuchs in [[handwerk]]lich-[[Mittelstand|mittelständischen]] Verhältnissen im Essener Stadtteil Huttrop auf.<ref>{{Internetquelle |url=https://adressbuecher.genealogy.net/addressbook/entry/54747f711e6272f5d1eb6d0f |titel=Historische Adressbücher - Adressbucheintrag |abruf=2024-10-18}}</ref> Die Kinder wurden [[Römisch-katholische Kirche|römisch-katholisch]] getauft, die Erziehung war jedoch nicht religiös-konfessionell geprägt. Karl Herrhausen trat Ende 1927 in die Dienste der [[E.ON Ruhrgas|Ruhrgas AG]]. In den Jahren der [[Weltwirtschaftskrise]] behielt er seine Beschäftigung und sicherte der Familie ein ausreichendes Einkommen. Bis 1940 war seine Tätigkeit mit mehrfachen [[Umzug (Wohnsitzwechsel)|Wohnsitzwechseln]] verbunden, erst anschließend ließ sich die Familie dauerhaft wieder in Essen nieder. Hella Herrhausen, Mutter und Hausfrau, teilte den Ehrgeiz ihres Gatten. Aufgrund eigener Neigungen hielt sie ihre Zwillingskinder zu Sport und Musik (Klavierspiel) an. Ihr Sohn, der als [[Hochbegabung|hochbegabt]] galt, übernahm das Leistungsideal seiner Herkunftsfamilie.<ref>Zur Herkunft, zum Milieu und zu den Werten in der Familie sowie zur Begabung von Alfred Herrhausen siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 9 und S. 21–23. Friederike Sattler: ''Alfred Herrhausen. Manager und Symbolfigur'', München 2013, S. 46 f.</ref>
 
=== Schulzeit ===
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Im Frühjahr 1942 schlug die [[Struktur der NSDAP#Kreisleiter|Kreisleitung]] der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] Alfred Herrhausen zur Aufnahme auf die [[Reichsschule Feldafing]] vor. Der Zwölfjährige trat im September 1942 in diese [[NS-Ausleseschule]] ein. Die Ausbildung dort erfolgte nicht in erster Linie mit doktrinär-ideologischen Methoden, sondern in umfangreichen Lern-, Sport-, Kultur- und Ausflugsprogrammen, die die Bereitschaft zu Leistung, Führung und Verantwortung anregen und stärken sollten. Diese Ziele und Vorgehensweisen stießen bei Herrhausen auf positive Resonanz. Er wurde, nicht zuletzt aufgrund seiner sportlichen Fähigkeiten, zum „Klassenführer“ ernannt. Die Übernahme von [[Rassismus]], [[Antisemitismus]] und [[Militarismus]]&nbsp;– zentrale Elemente der [[Nationalsozialismus|NS-Ideologie]]&nbsp;– ließ sich nach Ansicht seiner Biografin [[Friederike Sattler]] bei Herrhausen nicht feststellen, allerdings Vokabular, das Personen stark bewertete, wie etwa „wertvoll“ oder „minderwertig“. Später traten in Briefen an die Eltern gelegentlich Durchhalteparolen und die Aufforderung hinzu, „[[Defätismus|Defätisten]]“ entschieden zu widersprechen. Auch eigenhändig verfasste Gedichte, die Soldaten huldigten, trug er 1943 in Feldafing am „[[Volkstrauertag#Heldengedenktag in der Zeit des Nationalsozialismus|Heldengedenktag]]“ öffentlich vor. Die [[Militarismus|Militarisierung]] des Schulalltags verstärkte sich seit Frühjahr 1944 durch die praktische Ausbildung an Waffen sowie ab Herbst 1944 durch eine [[Infanterie|infanteristische]] [[Grundausbildung]]; klassischer Schulunterricht erfolgte nur noch unregelmäßig. Am 20. April 1945 räumten alle Schüler und Lehrer das Feldafinger Schulgelände; sie erreichten nach drei Tagen [[Steinach am Brenner]]. Zur Wiederaufnahme des Unterrichts kam es nicht mehr. Am 30. April folgte die Entlassung der Schüler, sie sollten sich allein nach Hause durchschlagen. Gemeinsam mit anderen suchte Herrhausen zunächst Zuflucht auf einer Alm am [[Hintersteiner See]], um nach Kriegsende einige Wochen in [[Wörgl]] zu bleiben, im Elternhaus eines Schulfreundes. Am 17. Juli 1945 entschloss er sich zur Rückkehr nach Essen. Dort fand er fünf Tage später seine Familie unversehrt vor.<ref>Zur Schulzeit in Feldafing und zu den Tagen um das Kriegsende bis zur Rückkehr nach Essen siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 25–36. Siehe dazu ebenfalls Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 26–44. Auch Andres Veiel: ''Black Box BRD.'' Stuttgart, München 2002, S. 44–59.</ref>
 
Im November 1945 trat Herrhausen in das [[Carl-Humann-Gymnasium]] in [[Steele (Essen)|Essen-Steele]] ein. Allerdings wurde er wegen des monatelangen Unterrichtsausfalls eine Klasse zurückversetzt. Die schulisch-behördliche Prüfung der Frage, ob er als ehemaliger Schüler einer NS-Eliteschule auf diesem Essener Gymnasium bleiben dürfe, fiel im Januar 1946 positiv aus; eine spätere [[Relegation]] fürchtete er dennoch. Ab Ostern 1946 besuchte er die [[Jahrgangsstufe#Vom Sextaner zum Primaner|ObersecundaObersekunda]], seinen regulären Jahrgang. Die [[Alliierte#Die Drei Mächte bzw. die Vier Mächte|alliierten Siegermächte]] betrachtete der Oberschüler skeptisch, ebenso den Parteienwettbewerb; stattdessen plädierte er in Briefen an seine Freunde aus der Feldafinger Zeit für einen [[Einheitsstaat|Zentralstaat]]. Den Nationalsozialismus vermisste er nicht, der Gemeinschaft vom [[Starnberger See]] trauerte er aber nach. Dennoch hatte er sich spätestens 1947 in Essen wieder eingelebt; im März 1949 bestand er die [[Abitur]]prüfungen.<ref>Zu den Oberschuljahren in Essen siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 36–43. Zur Sorge Herrhausens vor einem Verweis von der Schule siehe auch Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 45. Siehe dazu auch Andres Veiel: ''Black Box BRD.'' Stuttgart, München 2002, S. 60–67.</ref>
 
=== Studium und Promotion ===
Zunächst erwog Herrhausen, [[Lehrer]] zu werden und dafür [[Geschichtswissenschaft|Geschichte]], [[Philosophie]] und [[Philologie]] zu studieren. Eigene pragmatische Überlegungen und Einwände seines Vaters führten ihn zu der Entscheidung, ein Studium der damals noch breit angelegten [[Betriebswirtschaftslehre]] aufzunehmen, das er im Sommersemester 1949 an der [[Universität zu Köln]] begann. Er beabsichtigte, seine akademische Ausbildung möglichst rasch zu absolvieren. Zugleich nutzte er das Angebot von „Ferienkursen“ im Ausland, die ihn in die [[Schweiz]] und nach [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] führten. Insbesondere durch diese Erfahrungen änderte er seine Haltung gegenüber der [[Repräsentative Demokratie|repräsentativen Demokratie]]. Er entwickelte sich vom Skeptiker zum erklärten Befürworter dieses [[Politisches System|politischen Systems]]. Bereits zu Beginn seines Studiums wurde er Mitglied desder Studentenverbindung ''Corps Hansea zu Köln''. In den Semesterferien absolvierte er berufsbezogene Praktika in der Ruhrgas AG. Zum Wintersemester 1951/1952 trat er eine Stelle als [[wissenschaftliche Hilfskraft]] im [[Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln|Energiewirtschaftlichen Institut]] an. Seine von [[Theodor Wessels]] betreute [[Diplomarbeit]] behandelte „Grenzkostenprobleme in der Energiewirtschaft“, die Diplomprüfung absolvierte er 1952.<ref>Zum Studium Herrhausens siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 43–51. Siehe dazu auch Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 55–60.</ref>
 
Parallel zu seiner ersten Anstellung verfasste er seine [[Dissertation|Doktorarbeit]], eine „theoretisch anspruchsvolle […], im übrigen aber knochentrockene […] Arbeit über ‚[[Grenznutzen]] als Bestandteil des [[Grenznutzenschule|Marginalprinzips]]‘“.<ref>Knut Borchardt: ''Erinnerung an Alfred Herrhausen'', München 1991, S. 17.</ref> Betreut wurde sie von Wessels und von [[Alfred Müller-Armack]]. In dieser Zeit besuchte Herrhausen zudem private [[Kolloquium|Kolloquien]] von Wessels, [[Gerhard Weisser]] und [[Erich Gutenberg]]. Zugleich entdeckte er zentrale [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] Schriften von [[Karl Popper]], der unter anderem als Vertreter eines modernen [[Fallibilismus]] für ihn lebenslang eine Autorität blieb. Gleichzeitig betonte Herrhausen immer wieder, auch in seiner Dissertation, „richtiges Denken“ könne zu „wahren Aussagen“ führen. Auch mit Werken von [[Friedrich August von Hayek]] befasste er sich intensiver. Ende 1954 reichte er seine Schrift ein. Wessels und Müller-Armack bewerteten sie mit „gut“. Diese Note wurde am 26. Februar 1955 in der mündlichen Prüfung bestätigt.<ref>Zur Promotion und zum Inhalt seiner Doktorarbeit siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 53–58. Siehe dazu auch Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 51 f. und S. 61–73.</ref>
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== Manager in der Energiewirtschaft ==
=== Direktionsassistent der Ruhrgas AG ===
Nach seiner Diplomprüfung trat er Mitte Oktober 1952 eine Stelle als Direktionsassistent der Ruhrgas AG an. Dieses Unternehmen der [[Ferngas]]wirtschaft mit damals mehr als 1.100 Mitarbeitern<ref>Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 74.</ref> hatte er intensiver durch seine Praktika während des Studiums kennengelernt. Seine Arbeit, die es gestattete, seine [[Promotion (Doktor)|Promotion]] voranzutreiben, verschaffte ihm Kontakte zu Vertretern der [[Zeche]]n an der [[Ruhr]] und weiteren Geschäftspartnern. Der Vorstand, insbesondere sein Förderer [[Fritz Gummert]], zog ihn umfassend zu Alltagsaufgaben der Leitung und zu Sonderaufgaben heran. Zu den letzteren zählte die Umsetzung der „Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft“, einer Zwangsumlage bei der [[Konsumgut|Konsumgüterindustrie]], die Mittel aufbringen sollte, um [[Ersatzinvestition|Erhaltungs-]] und [[Erweiterungsinvestition]]en in der [[Schwerindustrie]], der [[Grundstoffindustrie]], der Energiewirtschaft und, der [[Wasserwirtschaft]] und im [[Eisenbahnwagen|Waggonbau]] zu finanzieren.<ref>Siehe hierzu {{Internetquelle |autor=[[Werner Abelshauser]] |url=https://www.lwl.org/aufbau-west/LWL/Kultur/Aufbau_West/wiederaufbau/aufbau/nachkriegswirtschaft/index.html |titel=Aufbau West. Der Januskopf der nordrhein-westfälischen Nachkriegswirtschaft |hrsg=[[Landschaftsverband Westfalen-Lippe]] |abruf=2023-09-23}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=[[Gerd Hardach]] |Titel=Gegenwartsgeschichte der deutschen Wirtschaft. 1945–2020 |Verlag=De Gruyter Oldenbourg |Ort=Berlin |Jahr=2022 |ISBN=978-3-11-076621-9 |Seiten=140 |DOI=10.1515/9783110772746}}</ref> Nach Beendigung seines Promotionsverfahrens schied Herrhausen auf eigenen Wunsch aus dem Unternehmen aus.<ref>Zur Arbeit in der Ruhrgas AG siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 51–53.</ref>
 
=== Leitungsaufgaben in den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) ===
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== Im Vorstand der Deutschen Bank ==
=== Tätigkeiten, Verantwortungen und Entwicklungen bis 1988 ===
[[Datei:Alfred Herrhausen 1971 (Foto Wolf P. Prange).jpg|miniatur|Alfred Herrhausen (1971), fotografiertAufnahme von Wolf P. Prange aus dem Historischen Archiv der Deutschen Bank]]
F. Wilhelm Christians machte Herrhausen im Frühjahr 1969 das Angebot, in den Vorstand der Deutschen Bank zu wechseln. Herrhausen begann zum 1. Januar 1970 als stellvertretendes Vorstandsmitglied.<ref>Siehe die Vorankündigung in der Rubrik ''Personalnotizen'' der ''Frankfurter Allgemeinen Zeitung'' vom 29. Oktober 1969.</ref> Ein Jahr später wurde er zum ordentlichen Vorstandsmitglied ernannt. Die Rekrutierung eines Branchenfremden für den Vorstand galt in der Deutschen Bank als ungewöhnlich, üblich waren Hauskarrieren. Das Unkonventionelle des Vorgangs spiegelte sich unter anderem im Wort „Elektriker“ wider, das [[Hermann Josef Abs]], die [[graue Eminenz]] der Bank, mit Blick auf den Neuen im Scherz gebraucht haben soll.<ref>Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 94. Sattler interpretiert diese Äußerung als Ironie und durchaus als leicht abschätzig. Siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 157.</ref> Christians betrachtete Herrhausen hingegen als einen Mann der „Führungsreserve für die achtziger Jahre“.<ref>Zitiert nach Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 90.</ref> Zu Herrhausens Hauptzuständigkeiten zählte die systematische [[Konjunktur]]beobachtung. Hier ging es um Wirtschafts- und [[Währung]]sfragen im nationalen und globalen Rahmen.<ref>Zu Herrhausens Aktivitäten und Positionen bis 1982 vor dem Hintergrund der Weltwährungsordnung nach dem Zusammenbruch des [[Bretton-Woods-System#Krise und Zusammenbruch|Bretton-Woods-Systems]], der beiden [[Ölpreiskrise|Ölkrisen]], des beendeten [[Nachkriegsboom]]s in Westdeutschland, des [[Petrodollar]]-Recyclings, der hohen Inflation und der chronischen US-Dollar-Schwäche sowie der Agonie der [[Kabinett Schmidt III|sozialliberalen Regierung]] seit 1980 siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 158–216.</ref> Bis Frühjahr 1972<ref>Friederike Sattler: ''Alfred Herrhausen. Manager und Symbolfigur'', München 2013, S. 51.</ref> setzte Herrhausen darüber hinaus die Einrichtung des Ressorts „Planung“ durch, für das er die Hauptverantwortung übernahm. Jeder Vorstand betreute Hauptfilialen und die dort angesiedelten größten Firmenkunden; bei Herrhausen waren es anfänglich solche in [[Duisburg]], Dortmund, [[Bielefeld]] und vertretungshalber in [[Siegen]].<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 147–150.</ref> Diese Zuordnung wechselte im Lauf der Jahre mehrfach;<ref>Das hieß Abgabe bislang betreuter Hauptfilialen und Begleitung anderer wie zum Beispiel Wuppertal oder Essen. Siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 217 und S. 224.</ref> seit 1985 betreute Herrhausen ausschließlich den Hauptstandort [[München]].<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 422.</ref>
 
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=== Teilschuldenerlass für Entwicklungsländer ===
[[Datei:Alfred Herrhausen (Foto 3 Wolf P. Prange).jpg|miniatur|Alfred Herrhausen, fotografiertFotografie von Wolf P. Prange aus dem Historischen Archiv der Deutschen Bank. Die Aufnahme stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1988 oder 1989.]]
Bis Ende 1982 hatten 25 Länder des [[Globaler Süden|globalen Südens]] erklärt, aufgrund der [[Konjunktur#Rezession (Abschwung)|Rezession]] der Weltwirtschaft, ihrer hohen Schulden in [[US-Dollar]] und der sinkenden [[Rohstoff]]- und [[Export]]erlöse ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen zu können. Herrhausen warnte die [[Industriestaat|Industrieländer]] davor, sich von den [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]] abzukehren und in der Rezession auf [[Protektionismus|protektionistische]] Maßnahmen zu verfallen. Marktmechanismen seien vielmehr in allen Ländern zu stärken. Einzelbanken trügen zwar zur kurzfristigen Lösung von Zahlungsproblemen bei; ein wirklicher Ausweg aus der Schuldenkrise sei aber nur zu erwarten, wenn die Banken zu einer gemeinsamen Haltung und Aktion fänden. Die größten Herausforderungen sah er hier für amerikanische Geschäftsbanken. [[Steuergesetz|Steuer-]] und [[Bilanz]]vorschriften machten es ihnen schwer, [[Wertberichtigung]]en vorzunehmen, hier sei der [[Gesetzgebungsverfahren (Vereinigte Staaten)|amerikanische Gesetzgeber]] gefordert. Die Lage für die hoch verschuldeten Länder hellte sich auch in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre nicht auf. Im November 1986 trug Herrhausen Überlegungen für einen Zinsausgleichsfonds vor, der allerdings noch wenig Beachtung fand. Bei der Jahrestagung von [[Weltbank]] und [[Internationaler Währungsfonds|Internationalem Währungsfonds]] (IWF) machte Herrhausen am 28. September 1987 in [[Washington, D.C.|Washington]] einen neuen, allerdings unabgestimmten Vorschlag: Banken sollten auf Teile ihrer Forderungen verzichten; zugleich sollte ein solcher Verzicht das [[Rating]] der Länder nicht verschlechtern. In informellen Kreisen wie der [[Bilderberg-Konferenz]] zirkulierten solche Vorstellungen durchaus, bislang hatte sie aber kein Bankenvertreter öffentlich vorgetragen. Herrhausens „Ausbrechen aus der Konvention des Schweigens“<ref>Knut Borchardt: ''Erinnerung an Alfred Herrhausen'', München 1991, S. 18.</ref> löste weltweit Schlagzeilen aus. Die Mehrheit der Banken lehnte Herrhausens Vorschlag strikt ab, Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank fühlten sich düpiert, nur wenige Bankenvertreter waren für dergleichen Lösungsansätze aufgeschlossen.<ref>Zu Herrhausens Position in der Schuldenkrise siehe Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 425–439.</ref>
 
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=== Freundschaften ===
Herrhausen pflegte Freundschaften mit Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und politischer Orientierung. Weithin bekannt war seine Freundschaft mit Helmut Kohl, die beiden [[Pronominale Anredeform#Anrede mit du|duzten]] sich.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 415 und S. 529. Zum Verhältnis von Kohl und Herrhausen auch Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 135. Ferner Andres Veiel: ''Black Box BRD.'' Stuttgart, München 2002, S. 146.</ref> Über seinen Freund [[Otto Wolff von Amerongen]]<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 412.</ref> lernte er seine zweite Ehefrau Traudl Baumgartner kennen. Viele private Gespräche mit seinem [[Chauffeur]] Jakob Nix transformierten die Arbeitsbeziehung in eine enge Freundschaft; Nix war bei Herrhausens Hochzeit mit Traudl Baumgartner [[Trauzeuge]].<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 413 und S. 529. Siehe ebenfalls Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 111 und S. 117. Nix eigene Worte zur Beschreibung dieser Freundschaft sind zitiert bei Dieter Balkhausen: ''Alfred Herrhausen. Macht, Politik und Moral.'' Düsseldorf u. a. 1990, S. 229.</ref> In seiner Dortmunder Zeit zog Herrhausen mit seinem Nachbarn und Freund Paul Brandt um die Häuser, sie blieben auch später in Kontakt.<ref>Andres Veiel: ''Black Box BRD.'' Stuttgart, München 2002, S. 72 f. und S. 235.</ref> Aus der Zuständigkeit für die [[Wuppertal]]er Hauptfiliale der Deutschen Bank ergab sich in den 1970er Jahren die Freundschaft zu [[Manfred Emcke]],<ref>{{Munzinger|00000013764|Manfred Emcke|2023-10-07}}.</ref> der damals das [[Familienunternehmen]] [[Vorwerk (Unternehmen)|Vorwerk]] leitete.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 529.</ref> Dessen Tochter [[Carolin Emcke]] nannte Herrhausen, der für sie zu einem Vertrauten geworden war, ihren Patenonkel.<ref>Carolin Emcke: ''Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF.'' Mit Beiträgen von [[Winfried Hassemer]] und [[Wolfgang Kraushaar]], Frankfurt 2008, S. 11, S. 24 f. und 128. Im religiösen Sinn war er nicht ihr Patenonkel, denn ihre Taufe erfolgte einen Tag vor ihrer Konfirmation, da habe es keine Paten gebraucht. Er war ihr allerdings nah, so Emcke, daher die Bezeichnung „Patenonkel“. Siehe ''Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF.'' Mit Beiträgen von Winfried Hassemer und Wolfgang Kraushaar, Frankfurt 2008, S. 38.</ref> Mit Pater Augustinus, nach [[Dieter Balkhausen]] nicht nur Freund, sondern auch [[Beichte|Beichtvater]],<ref>Dieter Balkhausen: ''Alfred Herrhausen (1930–1989).'' In: Hans Pohl (Hrsg.): ''Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts.'' Steiner, Stuttgart 2008, S. 211–225, hier S. 222, ISBN 978-3-515-08954-8.</ref> führte er viele Gespräche über philosophische und religiöse Themen.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 416 und S. 529. Andres Veiel: ''Black Box BRD.'' Stuttgart, München 2002, S. 149.</ref> [[Klaus Schucht]] war ein Studienfreund, zu dem der Kontakt immer bestehen blieb.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 74 und S. 129 f.</ref> [[Horst Albach]] hatte er 1966 während einer Fortbildungsreihe kennengelernt. Aus diesem Kontakt entwickelte sich eine freundschaftlich-kollegiale Beziehung.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 143.</ref> Herrhausen traf erstmals im Corps Hansea Köln auf Klaus Liesen, sie verloren sich nach der Studienzeit für einige Jahre aus den Augen, knüpften aber problemlos an ihre Freundschaft an, als sich später Arbeitskontakte ergaben, beispielsweise im Kontext des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 49.</ref> In einer [[Talkshow]] lernte Herrhausen 1982 die Politik- und Literaturstudentin [[Tanja Langer|Tanja Neumann]] kennen, die dort als Vertreterin der [[No Future|No-Future]]-Generation eingeladen war. Konträre Sichtweisen auf die Gesellschaft und das Leben waren kein Hemmnis, sondern Auslöser für einen intensiven Kontakt über Briefe, Telefonate und Treffen.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 533–535. Andreas Platthaus: ''Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere'', Hamburg 2006, S. 187 f.</ref>
 
== Ermordung ==
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=== Täter ===
Die RAF übernahm die Verantwortung für den Mord. Die an der Tat beteiligten Personen konnten bislang nicht identifiziert werden. Aussagen eines vermeintlichen [[Kronzeuge]]n erwiesen sich als nicht glaubwürdigglaubhaft, auch weil er sie 1992 nach wenigen Monaten widerrief und diesen Widerruf später wieder revidierte. Zwischenzeitlich ausgestellte [[Haftbefehl]]e gegen vermutete Täter wurden aufgehoben. Ob Dritte, wie etwa frühere Kader der [[Ministerium für Staatssicherheit|Stasi]] oder die [[Palästinensische Befreiungsfront]], in die Tat verwickelt waren, ist unklar.<ref>Friederike Sattler: ''Herrhausen. Banker, Querdenker'', München 2019, S. 620 und S. 625–628.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.deutschlandfunk.de/ard-doku-ueber-mordfall-herrhausen-politologe-haelt-100.html |titel=ARD-Doku über Mordfall Herrhausen. Politologe hält Unterstützung der RAF durch PFLP für plausibel |werk=Deutschlandfunk |kommentar=Wolfgang Kraushaar im Gespräch mit [[Friedbert Meurer]] |datum=2014-12-01 |abruf=2023-11-09}}{{Internetquelle |url=https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/xsrec/current/20/sn/edb?q=YToxOntzOjExOiJzYWNoYmVncmlmZiI7czoxMToiVGVycm9yaXNtdXMiO30= |titel=Kronzeuge der Ermittlungen im Mordfall Alfred Herrhausen widerruft sein Geständnis, 1. Juli 1992 |werk=[[Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen]] |datum=2021-07-01 |abruf=2023-11-09}}</ref> Seit 2004 wird gegen Unbekannt ermittelt.<ref>{{Internetquelle |autor=[[Associated Press|AP]] |url=https://www.morgenpost.de/printarchiv/politik/article103740899/Ermittlungen-zu-Herrhausen-Mord-eingestellt.html |titel=Ermittlungen zu Herrhausen-Mord eingestellt |werk=Berliner Morgenpost |datum=2004-12-06 |abruf=2023-11-09}}</ref>
 
== Nachleben ==
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* ''Konzepte für die Zukunft. Wirtschafts- und ordnungspolitische Alternativen.'' Mohr Siebeck, Tübingen 1987.
* ''Denken, Ordnen, Gestalten. Reden und Aufsätze.'' Hrsg. von [[Kurt Weidemann]]. Siedler, Berlin 1990, ISBN 978-3-88680-399-6 (5. Auflage 1995, Neuauflage 2005).
'''Zeitschriftenbeiträge'''
* ''Zielvorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten einer Langfristplanung in Kreditinstituten [address].'' In: ''Bank-Betrieb.'' Bd. 11, 1971, S. 354–359.
* mit [[Martin Kohlhaussen]], [[Rüdiger von Tresckow]]: ''Financial futures.'' In: ''Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen.'' Bd. 38, 1985, Nr. 15, S. 702–704.