Das Sizilianische Marionettentheater (auf italienisch Teatri dei pupi oder Opera dei pupi) ist ein Puppentheater, das mittels kunstvoll gefertigter Marionetten Begebenheiten aus dem Mittelalter darstellt. Es zählt zur sizilianischen Volkskunst.
Geschichte
Das Sizilianische Marionettentheater entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es entstand aus der Tradition der cuntastorie, der Straßensänger, die große Ritterepen vortrugen. Ausgehend von Acireale gab es bald auch in Catania und in der Umgebung von Palermo berühmte Marionettentheater.
Die Aufführungen dieser Theater waren beliebte Abwechslung im Alltag der Bevölkerung und sorgten für täglichen Gesprächsstoff. Vergleichbar mit den heutigen Seifenopern kannte das Publikum die verschiedenen Charaktere der Puppen und wusste genau Bescheid über den aktuellen Stand der Handlung, die in Fortsetzungen aufgeführt wurde.
Durch die Konkurrenz des Fernsehens vorübergehend in den Hintergrund geraten, gewann das Puppentheater mit dem zunehmenden Interesse an alten Traditionen und mit dem wachsenden Tourismus wieder an Bedeutung. Im Jahr 2001 wurde das sizilianische Puppentheater von der UNESCO in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen. Seit 2008 steht es auf der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes.[1]
Handlung der Theaterstücke
Traditioneller Inhalt der Theaterstücke sind Begebenheiten um Karl den Großen und seine Paladine oder um König Roger II. Viele Stücke folgen der Handlung des Rolandslieds oder des Epos Der rasende Roland.
Wesentlich ist die klare Unterscheidung in gute und böse Charaktere. Vor dem Hintergrund einer Burg kämpfen edle, tapfere Ritter in glänzenden Rüstungen gegen feindliche Schurken. Junge Prinzen und weise Könige gehören ebenso zum Handlungsablauf wie die schöne Prinzessin oder die unschuldige Magd aus dem Volk. Immer wieder auftretende und beliebte Figuren sind unter anderem die Ritter Orlando und Rinaldo, Karl der Große, die Geliebte Angelica und der Erzähler Gano de Magonza.
Vor den winzigen Holzbühnen ertönt zur musikalischen Untermalung eine Drehorgel. Das größtenteils erwachsene Publikum feuert die Stimmung an, indem es die Bösen ausbuht und die Helden durch lautes Klatschen anfeuert.
Puppen und Puppenspieler
Gespielt wird mit bis zu 150 Zentimeter großen und bis zu 20 kg schweren Marionetten aus Holz, die handgefertigt und sehr detailreich gestaltet sind. Zur Blütezeit des Puppentheaters wetteiferten Künstler auf ganz Sizilien um die schönsten und phantasievollsten Figuren.
Die Puppenspieler, die Pupari, sind Theaterintendant und Regisseur, Bühnenbildner und Kostümdesigner, Schreiner und Schneider in einer Person. Außerdem wird von ihnen nicht nur Fingerfertigkeit, sondern auch Körperkraft gefordert, um die Marionetten mittels Eisenstangen möglichst geschickt zu bewegen und ihnen auch noch eine kräftige Stimme zu verleihen.
Theater und Museen
Berühmte Puppenspielerfamilien treten heute vor allem in den Metropolitanstädten Palermo und Catania sowie den Provinzen Syrakus und Agrigent auf.
In Palermo gibt es eine Reihe namhafter Puppentheater mit täglichen Aufführungen. Das Museo Internazionale delle marionette Antonio Pasqualino und das Museo Etnografico Siciliano Giuseppe Pitrè stellen viele der alten, handgefertigten Puppen aus. Weitere sehenswerte Museen mit traditionellen Marionetten befinden sich in Acireale, Caltagirone und Randazzo.
Für Touristen werden die sizilianischen Marionetten inzwischen auch serienmäßig hergestellt und in Souvenirläden und auf Märkten verkauft.
Einzelnachweise
Literatur
- Eva Gründel und Heinz Tomek, Sizilien, DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2005, ISBN 3-7701-5599-8
- Horst Reimann, Siziliens kleines Volkstheater opera dei pupi, Nold, Frankfurt, 1995, ISBN 978-3-922220-66-4