Flugzeugenteisung

Die Flugzeugenteisung ist ein Vorgang, bei dem die Maschine von Eis befreit wird.
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Die Flugzeugenteisung (engl. de-icing) ist ein Vorgang, bei dem ein Flugzeug von Eis und Schnee befreit wird. Die Enteisung ist aus Sicherheitsgründen erforderlich, denn Eis und Schnee erhöhen das Flugzeuggewicht und beeinflussen die Aerodynamik ungünstig.

Ein Aeroflot Airbus A330 bei der Enteisung am Flughafen Moskau-Scheremetjewo

Enteisung am Boden

 
Durch Eisregen vereiste Tragfläche einer ATR 42

Die Enteisung von Flugzeugen am Boden darf nicht mit der Enteisung des Bodens selber, der Flächenenteisung auf Flughäfen, verwechselt werden.

Vor dem Start werden vorhandene bzw. sich bildende Eisansätze durch Enteisungsflüssigkeit oder Heißluft entfernt. Der Start der Maschine muss dann unmittelbar erfolgen.

Außerdem kann eine Schutzschicht aufgebracht werden (engl. anti-icing), die eine erneute Eisbildung auch bei Niederschlag verhindert. Das verwendete Enteisungsmittel ist ein Gemisch aus Wasser, Alkohol (Glykol) und Zusatzstoffen. Das Mischungsverhältnis Enteisungsflüssigkeit zu Wasser ist abhängig von der Außentemperatur, von der Art des Niederschlags und der benötigten Zeit der Schutzwirkung. Es wird darauf geachtet, dass die Flüssigkeit biologisch abbaubar ist und aufgefangen wird. Eine Wiederverwendung ist meist nicht möglich.

Enteisungen finden mit Spezialgeräten mit einem großen Ausleger und einer ferngelenkten Düse an der Spitze auf speziellen Positionen (engl. deicing pads/deicing areas), und Gebäudepositionen oder auch auf dem Vorfeld statt.

Die Enteisung muss direkt vor dem Start durchgeführt werden, um die Zeit der Schutzwirkung nicht zu überschreiten. Im Winter treten daher auch bei gut organisierten Flughäfen häufiger Verzögerungen im Flugverkehr durch die notwendige Enteisung der Flugzeuge auf.

Enteisungsflüssigkeiten

 
Eine McDonnell Douglas MD-80 der American Airlines während der Enteisung

Es gibt nach ISO/SAE vier Flüssigkeitstypen. Typ II, III und IV bestehen aus etwa 50 % Glykol und 49 % Wasser und können bei Temperaturen bis mindestens −25 °C eingesetzt werden. Sie sind mit Verdickern versetzt, sodass sie besser anhaften. Dadurch bleibt das Enteisungsmittel länger auf den Oberflächen des Flugzeugs und kann sogar schwammähnlich ein gewisses Maß an winterlichen Niederschlägen in sich aufnehmen und verflüssigen.

Solche aufgequollenen Enteisungsmittelrückstände können andererseits in größeren Höhen wieder gefrieren und, je nachdem wie viel des Glykolanteils in den hygroskopischen Polymer-(Verdicker-)resten durch Wasser ersetzt wurde, dann in den Ruderspalten die Steuerflächen blockieren und die Steuerbarkeit des Flugzeuges einschränken. Die Konsistenz dieser Rückstände hat dann einen sogenannten Stockpunkt (bei dieser Temperatur könnte man einen mit der Substanz gefüllten Becher umdrehen ohne dass etwas herausfließt) zwischen −57 °C (quasi 100 % Glykol) und 0 °C (dann wären alle Glykolanteile durch Wasser ersetzt). Dieses Phänomen tritt hauptsächlich nach längeren winterlichen Trockenperioden mit nachfolgend einsetzenden Niederschlägen in Form von Regen oder bei Inversionswetterlagen auf. Daher ist es wichtig, diese Rückstände regelmäßig gründlich zu entfernen.[1]

Die Zeit, in der das Flugzeug vor Wiedervereisung geschützt ist, wird Vorhaltezeit (engl. holdover time (HOT)) genannt. Die HOT richtet sich nach Art des Niederschlages, der örtlichen Temperatur (engl. outside air temperature, OAT) und der Stärke des Niederschlages. Ist ein Luftfahrzeug mit z. B. Schnee verunreinigt, entscheidet allein der Pilot oder ein von ihm Beauftragter, ob das Luftfahrzeug enteist wird. Auch über das Mischungsverhältnis der Enteisungsflüssigkeit entscheidet der Pilot. Die drei Typen II, III und IV werden entsprechend der benötigten Schutzwirkung in festen Mischungsverhältnissen mit Wasser verdünnt oder bleiben unverdünnt: 100 %, 75 % oder 50 % werden angewandt.

Die Typen II, III und IV unterscheiden sich in den verwendeten Verdickern. Typ III ist für langsam (< 85 Knoten) startende Flugzeuge (selten verwendet), Typ II für schnellere Maschinen und Typ IV entspricht dem Typ II mit einer größeren Scher- und Hitzebeständigkeit und einer längeren Vorhaltezeit.

Das Enteisungsmittel Typ I enthält diesen Verdicker nicht und ist daher gut zum Deicing oder (eingeschränkt) zum Anti-icing bei reinen Frostbedingungen ohne Niederschlag geeignet. Es besteht aus etwa 80 % Glykol und 20 % Wasser und wird entsprechend den jeweiligen Wetterbedingungen mit Wasser verdünnt. Es kann somit auch bei sehr niedrigen Temperaturen eingesetzt werden.[2]

Bei der sogenannten „Two-Step-Enteisung“ wird vorhandenes Eis oder Schnee, in Abhängigkeit von der herrschenden Außentemperatur, mit heißem Wasser oder einer Mischung aus Typ I oder Typ II und Wasser von relevanten Flächen entfernt und anschließend eine Schutzschicht (anti-ice) mit Typ II, III oder IV aufgetragen.

Die Verwendung von Enteisungsflüssigkeiten kann zur Belastung der Kabinenluft führen. Bei Untersuchungen einer Passagiermaschine, bei der Auffälligkeiten zu verzeichnen waren, wurden in der Kabinenluft Propylenglykol-Konzentrationen von bis zu 2,5 mg/m3 festgestellt.[3]

Infrarotenteisung

In Newark (USA) und seit Januar 2006 auch in Oslo kommt eine Infrarotenteisungsanlage zum Einsatz. Hier werden Flugzeuge bis zu einer Größe eines Airbus A320 oder einer Boeing 737 in einer Halle mit der Wärme von Infrarotlampen enteist. Danach können sie in der Halle durch das Aufbringen einer Anti-icing-Flüssigkeit gegen Wiedervereisung geschützt werden. Dieses Verfahren gilt als umweltfreundlich und ist je nach Kontamination des Flugzeugs mit winterlichen Anhaftungen auch recht schnell.

Gantry

Die Gantry war eine stationäre Enteisungsanlage auf dem Flughafen München (MUC). Sie wurde Ende der 80er Jahre entwickelt und kam in acht Wintersaisons zum Einsatz. Die Flugzeuge wurden dabei in die Maschine hinein geschleppt und dort enteist.

2001 hätte sie aufgrund der fehlenden Eignung für Flugzeuge mit Winglets und größere Flugzeugen wie der Boeing 777, Boeing 747 oder dem Airbus A380 modernisiert werden müssen. Jedoch brauchen mobile Enteisungsfahrzeuge heutzutage weniger Personal und sind kosteneffizienter – somit hätte sich die Modernisierung nicht gelohnt. Heute ist die Anlage abgebaut.

Enteisung in der Luft

Auch in der Luft wird zwischen anti-icing (deutsch Eisverhinderung) und de-icing (deutsch Eisbeseitigung) unterschieden.

Flugzeuge, die für Instrumentenflüge unter Vereisungsbedingungen zertifiziert sind (also u. a. die allermeisten Passagiermaschinen), haben meistens an den Flügelvorderkanten, Triebwerken und sonstigen Flächen, an denen sich gefährlicher Eisansatz bilden kann, beheizbare Flächen.

Elektrisches De-icing

Propeller werden meist enteist mittels Beheizung durch elektrischen Strom. Der Energiebedarf dafür ist hoch. Um die elektrische Leistung des Flugzeuges nicht zu überfordern, werden immer nur einzelne Heizflächen paarweise symmetrisch in Intervallen (z. B. 5 Min.) eingeschaltet. Das Problem sind unsymmetrische Vereisungen am Propeller, die zu starken Vibrationen führen können; die Drehzahl ist möglichst weit zu reduzieren. Bei elektrischer Enteisung am Vierblattpropeller werden jeweils zwei gegenüberliegende Propellerblätter gleichzeitig enteist.

Scheiben der Verglasung werden mit eingebetteten Widerstandsschichten oder -drähten enteist.

Das Forschungszentrum Karlsruhe und DaimlerChrysler Aerospace Airbus haben ein Enteisungsverfahren mittels Mikrowellen beschrieben, das für Plastik- und Verbundwerkstoffe geeignet ist.[4]

Pneumatisches De-icing

Kleinere Maschinen verfügen auch heute noch an den gefährdeten Stellen über Gummimatten (engl. boots), die während des Fluges durch Pressluft zyklisch aufgeblasen werden und so Eisansatz absprengen können.

Chemisches Anti-icing

Alternativ gibt es auch Enteisungssysteme, die an den gefährdeten Stellen Enteisungsflüssigkeit (isopropanol- oder glykolhaltig) aus feinen Bohrungen herauspressen. Auf diese Weise wird ein Eisansatz verhindert. Allerdings ist die maximale Einsatzdauer durch die Tankgröße eingeschränkt. Dieses Enteisungsverfahren wird für Scheiben, Tragflächen und Propeller eingesetzt.[5]

Thermisches Anti-icing

Bei Düsenflugzeugen, die mit ihren Triebwerken genügend Abwärme liefern, geschieht die Beheizung durch Zapfluft aus dem Triebwerk (thermal anti ice – TAI). Die sehr heiße Zapfluft wird durch Hohlräume hinter der Flügelvorderkante geblasen. Die Hitze kann das Material (Aluminium) schwächen und schädigen. Deshalb muss die Temperatur in diesem Bereich überwacht werden. Am Boden darf thermal anti ice nicht eingesetzt werden, da der kühlende Flugwind fehlt. Zum Start wird thermal anti ice auch möglichst ausgeschaltet, um den Triebwerken nicht Startleistung zu entziehen. Bei Ausfall eines Triebwerkes während des Startes könnte wegen der Zapfluft für thermal anti ice die fehlende Leistung den kritischen Unterschied zwischen „Start mit einem Triebwerk“ und „Unfall während des Starts“ ausmachen. Dasselbe gilt für die Landung, da die Piloten immer auf ein Durchstarten vorbereitet sein müssen.

Bei Flugzeugen mit Kolbentriebwerken dient oft eine Vergaservorwärmung zur Verhinderung von Vergaservereisungen.

Unglücke

  • American-Eagle-Flug 4184 – Gefrierender Regen, der auf den Tragflächen zu Eis erstarrte und die aerodynamischen Eigenschaften des Flügels verschlechterte, ließ sich nicht durch die Enteisungsvorrichtungen entfernen. Infolge des Eisansatzes und der gestörten Profilumströmung kam es zu einer Querruder-Momenten-Umkehr, die das Flugzeug in eine unkontrollierte Lage brachte. Die Piloten konnten die Maschine nicht wieder unter Kontrolle bringen.
  • Air-Ontario-Flug 1363 – Die Maschine war nicht enteist worden, da die Triebwerke aufgrund eines defekten Hilfstriebwerks nicht abgestellt werden konnten und das Flugzeug – eine Fokker F-28 – gemäß den Vorschriften von Hersteller und Fluggesellschaft bei laufenden Triebwerken nicht enteist werden durfte.[6]
  • USAir-Flug 405 – Nach Startverzögerungen wurde die Maschine nicht erneut enteist, obwohl dies eigentlich nötig gewesen wäre. Die Crew übersah gefährliche Eisablagerungen an den Flügeln und dem Leitwerk und hielt daher eine nochmalige Enteisung für nicht notwendig.
  • Air-Florida-Flug 90 – Die Crew vernachlässigte ihre Checklisten und benutzte den Reverse (Schubumkehr) für den Pushback, um das Gate zu verlassen.
  • Scandinavian-Airlines-Flug 751 – Vor dem Start wurde das Flugzeug vom Typ McDonnell Douglas MD-81 unzureichend enteist, da eine dicke Schicht Klareis auf der Tragflächenoberseite übersehen worden war. Nach dem Abheben löste sich das Eis von den Tragflächen und wurde von den Hecktriebwerken angesaugt, was eine Minute nach dem Abheben zum Ausfall beider Triebwerke führte.[7] Bei der anschließenden Notlandung auf einem Feld zerbrach der Flugzeugrumpf in drei Teile; sämtliche Insassen überlebten das Unglück.
  • Saratov-Airlines-Flug 703 – Der Absturz einer Antonow An-148 der russischen Saratov Airlines in der Oblast Moskau am 13. Februar 2018, bei dem alle 71 Insassen verstarben, wird von der zwischenstaatlichen Luftfahrtbehörde MAK erstursächlich auf die Vereisung eines oder mehrerer Pitotrohre mit nachfolgender Übermittlung falscher Geschwindigkeitsdaten ins Cockpit zurückgeführt. Der Verlust an Fluggeschwindigkeit habe zum schnellen Absacken des Flugzeugs und zu dessen Aufprall geführt.
Commons: Flugzeugenteisung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Untersuchungsbericht Nr. 5X007-0/05 der BFU – Untersuchung eines beispielhaften Zwischenfalles aufgrund von Enteisungsmittelrückständen (Memento des Originals vom 4. Oktober 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bfu-web.de
  2. Enteisungsmittel (Memento des Originals vom 9. März 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.nice-services.aero, nice-services.aero, abgerufen 16. Januar 2011
  3. Wolfgang Rosenberger, Renate Wrbitzky, Manfred Elend, Sven Schuchardt: Untersuchungen zur Emission organischer Verbindungen in der Kabinenluft nach dem Enteisen von Verkehrsflugzeugen. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 74, Nr. 11/12, 2014, ISSN 0949-8036, S. 467–475.
  4. Enteisung von Flugzeugen mit Mikrowellen
  5. TKS – Enteisung von Flugzeugen in der Luft
  6. ASN Aircraft accident Fokker F-28 Fellowship 1000 C-FONF Dryden Municipal Airport, ON (YHD). In: Aviation Safety Network. Abgerufen am 13. April 2011 (englisch).
  7. Untersuchungsbericht zum Unglück von Flug SK 751 (englisch)