„Bronisław Geremek“ – Versionsunterschied

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'''Bronisław Geremek''' (ursprünglich ''Benjamin Lewertow''; * [[6. März]] [[1932]] in [[Warschau]]; † [[13. Juli]] [[2008]] in [[Lubień]] bei [[Nowy Tomyśl]]) war ein [[Polen|polnischer]] [[Historiker]] und [[Politiker]]. Von 1997 bis 2000 bekleidete er das Amt des polnischen Außenministers.
'''Bronisław Geremek''' (ursprünglich ''Benjamin Lewertow''; * [[6. März]] [[1932]] in [[Warschau]]; † [[13. Juli]] [[2008]] in [[Lubień (Powiat Nowotomyski)|Lubień]] bei [[Nowy Tomyśl]], [[Woiwodschaft Großpolen]]) war ein [[Polen|polnischer]] [[Historiker]] und [[Politiker]] ([[Unia Demokratyczna|UD]], [[Unia Wolności|UW]], [[Partia Demokratyczna – demokraci.pl|PD]]). Der Experte für mittelalterliche Kulturgeschichte war in der [[Volksrepublik Polen]] ab den 1970er-Jahren ein wichtiger [[Dissident]] und ab 1980 Mitglied der [[Solidarność]]-Bewegung. Er war von 1989 bis 2001 Mitglied des [[Sejm]] in X. Wahlperiode der Volksrepublik sowie der I., II. und III. Wahlperiode der Dritten Republik. Von 1997 bis 2000 war er polnischer Außenminister und von 2000 bis 2001 Vorsitzender der liberalen Partei [[Unia Wolności]]. Von 2004 bis zu seinem Unfalltod war Geremek [[Mitglied des Europäischen Parlaments]].


== Leben ==
== Leben ==
Geremek stammte aus einer jüdischen Familie, sein Großvater war [[Rabbiner]]. Sein Vater, der eine Kürschnerei besaß, wurde im [[KZ Auschwitz]] ermordet, er selbst wurde mit seiner Mutter 1943 aus dem [[Warschauer Ghetto]] geschmuggelt und überlebte bei einer polnischen Familie. Nach dem Abitur in [[Wschowa]] studierte er an der [[Universität Warschau]] Geschichte, wurde 1955 Magister, promovierte 1960 und schloss 1972 seine [[Habilitation]] an der [[Polnische Akademie der Wissenschaften|Polnischen Akademie der Wissenschaften]] (PAN) ab. 1989 wurde Geremek außerordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte, 1993 ordentlicher [[Professur|Professor]]; er erhielt zudem über 20 Ehrendoktortitel.
Geremek stammte aus einer jüdischen Familie, sein Großvater war [[Rabbiner]]. Sein Vater, der eine Kürschnerei besaß, wurde im [[KZ Auschwitz]] ermordet, er selbst wurde mit seiner Mutter 1943 (kurz vor dem [[Aufstand im Warschauer Ghetto|Aufstand]]) aus dem [[Warschauer Ghetto]] geschmuggelt und überlebte bei einer katholischen Familie. Nach dem Abitur an einem katholischen Gymnasium in [[Wschowa]] studierte er an der [[Universität Warschau]] Geschichte und schloss 1955 als Magister ab. Nach einem Studienaufenthalt an der [[Smithsonian Institution]] in [[Washington, D.C.]] und einem Aufbaustudium an der [[École pratique des hautes études]] (EPHE) in Paris (1956–58) promovierte er 1960.
[[Datei:Bronisław Geremek grób.JPG|miniatur|hochkant|Geremeks Grab in Warschau]]
In den Jahren 1962–1965 war er Hochschuldozent an der Pariser [[Sorbonne]], 1992/93 Gastprofessor am [[Collège de France]] und 2002 wurde er Professor am [[Europakolleg]] in [[Natolin]] im Süden Warschaus.


Ab 1955 war Geremek Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der [[Polnische Akademie der Wissenschaften|Polnischen Akademie der Wissenschaften]] (PAN). Von 1960 bis 1965 leitete er das polnische Kulturzentrum in Paris und lehrte parallel 1962–1965 als Dozent an der [[Universität von Paris|Pariser Sorbonne]]. Anschließend kehrte er an die Polnische Akademie der Wissenschaften zurück, wo er 1965 bis 1980 die Arbeitsstelle für mittelalterliche Kulturgeschichte leitete und 1972 seine [[Habilitation]] abschloss. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit wurde Geremek 1985 von der Akademie der Wissenschaften entlassen.
Bronisław Geremek starb im Alter von 76 Jahren am 13. Juli 2008&nbsp;um 13.20 Uhr am Steuer seines Autos bei einem Frontalzusammenstoß in der Nähe von Lubień (bei Nowy Tomyśl).<ref>[http://www.tvn24.pl/-1,1557164,0,1,prof-bronislaw-geremek-nie-zyje,wiadomosc.html Unfallort, -zeit und fotos (tvn24.pl)]</ref> Er wurde am 21. Juli auf dem Warschauer [[Powązki-Friedhof]] unter Anteilnahme seiner Familie, in- und ausländischer Politiker und der Warschauer Bevölkerung beigesetzt<ref>[http://www.wprost.pl/ar/134628/Uroczystosci-pogrzebowe-ku-czci-Bronislawa-Geremka/ Pogrzeb Bronisława Geremka] Wprost</ref>.

Nach dem Systemwechsel 1989 wurde er außerordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte, 1993 ordentlicher [[Professur|Professor]]. 1990 wurde er zum ordentlichen Mitglied der [[Academia Europaea]] gewählt,<ref>[https://www.ae-info.org/ae/Member/Geremek_Bronislaw Eintrag] auf der Internetseite der Academia Europaea</ref> 1992/93 war er Gastprofessor am [[Collège de France]] und 2002 wurde er Professor am [[Europakolleg]] in [[Natolin]] im Süden Warschaus.
[[Datei:Bronisław Geremek grób.JPG|miniatur|hochkant|Geremeks Grab in Warschau]]
Bronisław Geremek starb im Alter von 76 Jahren am 13. Juli 2008&nbsp;um 13.20 Uhr am Steuer seines Autos bei einem Frontalzusammenstoß in der Nähe von Lubień (bei Nowy Tomyśl).<ref>[http://www.tvn24.pl/-1,1557164,0,1,prof-bronislaw-geremek-nie-zyje,wiadomosc.html Unfallort, -zeit und fotos (tvn24.pl)]</ref> Er wurde am 21. Juli auf dem Warschauer [[Powązki-Friedhof]] unter Anteilnahme seiner Familie, in- und ausländischer Politiker und der Warschauer Bevölkerung beigesetzt<ref>[http://www.wprost.pl/ar/134628/Uroczystosci-pogrzebowe-ku-czci-Bronislawa-Geremka/ Pogrzeb Bronisława Geremka] Wprost</ref>. Von 1952 bis zu ihrem Tod 2004 war er mit der [[Altertumswissenschaft]]lerin [[Hanna Geremek]] verheiratet.


== Politische Aktivitäten ==
== Politische Aktivitäten ==
Geremek war von 1950 bis 1968 Mitglied der kommunistischen [[Polnische Vereinigte Arbeiterpartei|PVAP]]. Er verließ die Partei wegen des Einmarsches der Truppen des [[Warschauer Pakt]]es in die Tschechoslowakei<ref name="Info">[http://www.focus.de/politik/ausland/polen-ex-aussenminister-geremek-toedlich-verunglueckt_aid_317756.html Kurznotiz]</ref><ref name="Nachruf">[http://www.europolitan.de/Politik/Europa/Nachruf-auf-Bronislaw-Geremek-Querdenker-mit-grossem-Herz/278,14093,0,0.html Nachruf auf Bronislaw Geremek]</ref>. 1980 war er Berater der ''[[Solidarność]]''. Nach der Verhängung des [[Kriegsrecht in Polen 1981–1983|Kriegsrechtes 1981]] wurde er interniert.
Geremek war von 1950 bis 1968 Mitglied der kommunistischen [[Polnische Vereinigte Arbeiterpartei|PVAP]]. Er verließ die Partei wegen des Einmarsches der Truppen des [[Warschauer Pakt]]es in die Tschechoslowakei.<ref name="Info">[http://www.focus.de/politik/ausland/polen-ex-aussenminister-geremek-toedlich-verunglueckt_aid_317756.html Kurznotiz]</ref><ref name="Nachruf">europolitan.de: {{Webarchiv|url=http://www.europolitan.de/Politik/Europa/Nachruf-auf-Bronislaw-Geremek-Querdenker-mit-grossem-Herz/278,14093,0,0.html |wayback=20080803003927 |text=''Nachruf auf Bronislaw Geremek – Querdenker mit großem Herz'' }}</ref> Im Herbst 1968 nahm er an einem von den sogenannten Revisionisten (u.&nbsp;a. [[Krzysztof Pomian]]) im Untergrund organisierten Seminar zu sozialen und ökonomischen Problemen teil. Geremek war 1975 einer der Autoren (neben [[Edward Lipiński]], [[Krystyna Kersten]] und anderen) des „Briefes der Sieben“ an die Delegierten des VII. Parteitages der PZPR und ihren Ersten Sekretär [[Edward Gierek]]. Darin forderten sie demokratische Wahlen, mehr Bürgerbeteiligung bei sozialen und ökonomischen Fragen, freie Presse sowie freie Gewerkschaften und Arbeiterräte. 1980 war Geremek Berater der ''[[Solidarność]]''. Nach der Verhängung des [[Kriegsrecht in Polen 1981–1983|Kriegsrechtes 1981]] wurde er interniert.

1989 nahm er an den [[Runder Tisch (Polen)|Gesprächen am Runden Tisch]] teil. Bei der halbfreien Parlamentswahl (sog. „Vertragssejm“) im Juni desselben Jahres wurde er als Abgeordneter des Bürgerkomitees „Solidarność“ im Wahlkreis [[Suwałki]] in den [[Sejm]] gewählt. Dort war er von Juni 1989 bis November 1990 Vorsitzender der 161 Abgeordnete umfassenden „Bürgerfraktion“ und Mitglied im Verfassungsausschuss (1989–1991). Außerdem hatte er den Vorsitz im auswärtigen Ausschuss (1989–1993). Ab 1990 war er Mitglied der [[Liberalismus|liberalen]] Partei [[Unia Demokratyczna]] (UD; Demokratische Union) bzw. ab 1994 ihrer Nachfolgepartei [[Unia Wolności]] (UW; Freiheitsunion).


Von 1997 bis 2000 war Geremek [[Außenminister]] Polens in der konservativ-liberalen Regierung [[Jerzy Buzek|Buzek]]. Für seine Verdienste um die europäische Einigung wurde er 1998 mit dem [[Karlspreis]] ausgezeichnet.<ref> {{Webarchiv|text=Internationaler Karlspreis zu Aachen – Detail<!-- Automatisch generierter titel --> |url=http://www.karlspreis.de/index.php?id=12&doc=40 |wayback=20061126091210}}</ref> Von Juli 2000 bis 2001 war er Vorsitzender des Sejm-Ausschusses für europäisches Recht (Polen war zu der Zeit EU-Beitrittskandidat). Als Nachfolger [[Leszek Balcerowicz]]s führte Geremek von Dezember 2000 bis Oktober 2001 die UW als Parteivorsitzender an. In dieser Zeit spaltete sich die [[Platforma Obywatelska]] (PO; Bürgerplattform) ab, die UW stürzte bei den [[Parlamentswahl in Polen 2001|Wahlen im September 2001]] unter die 5-Prozent-Hürde und schied aus dem Sejm aus. Daraufhin übernahm [[Władysław Frasyniuk]] den Parteivorsitz. 2002 sprach Bronisław Geremek anlässlich der [[Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus]] vor dem Deutschen Bundestag.
1989 nahm er an den [[Runder Tisch (Polen)|Gesprächen am Runden Tisch]] teil. Ab 1990 war er Mitglied der [[Liberalismus|liberalen]] Parteien [[Unia Demokratyczna]] (UD) und ihrer Nachfolgepartei [[Unia Wolności]] (UW). Von 2000 bis 2001 führte er die [[Unia Wolności|UW]] als Parteivorsitzender an. Von 1989 bis 2001 war Geremek Mitglied des [[Sejm]] der Republik Polen, unter anderem Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsfragen, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Vorsitzender des Ausschusses für europäisches Recht. Von 1997 bis 2000 war er [[Außenminister]] Polens in der Regierung [[Jerzy Buzek|Buzek]]. Für seine Verdienste um die europäische Einigung wurde er 1998 mit dem [[Karlspreis]] ausgezeichnet.<ref>[http://www.karlspreis.de/index.php?id=12&doc=40 Internationaler Karlspreis zu Aachen – Detail<!-- Automatisch generierter titel -->]</ref>


2002 sprach Bronisław Geremek anlässlich der [[Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus]] vor dem Deutschen Bundestag. Seit Beginn der 6. Wahlperiode des [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlaments]] 2004 war Geremek als Europa-Abgeordneter ([[Mitglied des Europäischen Parlaments|MdEP]]) der linksliberalen Partei [[Partia Demokratyczna]] (DP) tätig. Die Abgeordneten der Partia Demokratyczna sind Mitglieder der europäischen Liberalen-[[Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Fraktion)|Fraktion Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa]] (ALDE). Geremek war Mitglied des ALDE-Fraktionsvorstands, er war 2004 Kandidat der Europäischen Liberalen für das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments. Er war Mitglied im [[Ausschuss für konstitutionelle Fragen]], im [[Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, Gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik|Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten]] und Mitglied der Delegation im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU–Russland.
Bei der ersten [[Europawahl in Polen 2004|Europawahl]] nach dem EU-Beitritt Polens gewann die UW vier Sitze, von denen einer an Geremek ging. Er saß während der 6. Wahlperiode des [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlaments]] (bis 2009) in der liberalen [[Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Fraktion)|ALDE-Fraktion]], deren Vorstand er angehörte. 2004 war er Kandidat der europäischen Liberalen für das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments (unterlag aber dem Sozialdemokraten [[Josep Borrell]]). Im EU-Parlament war Geremek Mitglied im [[Ausschuss für konstitutionelle Fragen]], im [[Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, Gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik|Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten]] sowie Delegierter im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU–Russland. Die UW benannte sich im Mai 2005 in [[Partia Demokratyczna – demokraci.pl]] (PD; Demokratische Partei) um, der Geremek seither angehörte.


Geremek war erklärter Gegner des in Berlin geplanten [[Zentrum gegen Vertreibungen|Zentrums gegen Vertreibungen]]. Er war Unterstützer der im April 2007 gegründeten internationalen Kampagne für eine [[Weltparlament|Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen]].<ref>[http://de.unpacampaign.org/appeal/support/all_PL_0.php Unterzeichner der „Kampagne für die Einrichtung eines Parlaments bei den Vereinten Nationen“]</ref>
Geremek war erklärter Gegner des in Berlin geplanten [[Zentrum gegen Vertreibungen|Zentrums gegen Vertreibungen]]. Er war Unterstützer der im April 2007 gegründeten internationalen Kampagne für eine [[Weltparlament|Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen]].<ref>unpacampaign.org: {{Webarchiv|text=''Kampagne für die Einrichtung eines Parlaments bei den Vereinten Nationen – Die Unterzeichner'' |url=http://de.unpacampaign.org/appeal/support/all_PL_0.php |wayback=20080804084218 }}</ref>


== Aus einem Nachruf ==
== Aus einem Nachruf ==
{{Zitat|Geremek war ein unerschütterlicher Europäer, der mit seinem großen internationalen Ansehen den Weg Polens in die Nato und die EU geebnet hat. […] Geremek war ein zutiefst liberaler Mann, der die Kunst der geschmeidigen Lügen und den abrupten Frontwechsel der postkommunistischen Wendehälse stets verachtet hat. Ob Außenminister […], ob Vortragender oder Zuhörer ist der polnische Historiker, in welcher Funktion immer, ein offener, freundlicher Brückenbauer, ein liberaler Europäer geblieben. […] Zur Zeit des großen Ausverkaufs der europäischen Werte und des Aufstiegs stromlinienförmiger Opportunisten fallen die Masken der Politiker von Berlin bis Warschau, von Wien bis Budapest. Bronislaw Geremek trug nie eine Maske.|[[Paul Lendvai]] <ref>[[Paul Lendvai]]: [http://derstandard.at/Text/?id=1216034927888 ''Der Mann ohne Maske'']. In: ''[[Der Standard]]'', 17. Juli 2008, S. 30.</ref>}}
{{Zitat|Geremek war ein unerschütterlicher Europäer, der mit seinem großen internationalen Ansehen den Weg Polens in die Nato und die EU geebnet hat. […] Geremek war ein zutiefst liberaler Mann, der die Kunst der geschmeidigen Lügen und den abrupten Frontwechsel der postkommunistischen Wendehälse stets verachtet hat. Ob Außenminister […], ob Vortragender oder Zuhörer ist der polnische Historiker, in welcher Funktion immer, ein offener, freundlicher Brückenbauer, ein liberaler Europäer geblieben. […] Zur Zeit des großen Ausverkaufs der europäischen Werte und des Aufstiegs stromlinienförmiger Opportunisten fallen die Masken der Politiker von Berlin bis Warschau, von Wien bis Budapest. Bronislaw Geremek trug nie eine Maske.|[[Paul Lendvai]]<ref>[[Paul Lendvai]]: [http://derstandard.at/Text/?id=1216034927888 ''Der Mann ohne Maske'']. In: ''[[Der Standard]]'', 17. Juli 2008, S. 30.</ref>}}


== Orden und Auszeichnungen (Auswahl) ==
== Orden und Auszeichnungen (Auswahl) ==
* Geremek erhielt über 20 Ehrendoktortitel, u.&nbsp;a. 2006 die Ehrendoktorwürde der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der [[Europa-Universität Viadrina]] in [[Frankfurt (Oder)]].
* [[Orden vom Weißen Adler]] (Polen)
* [[Orden vom Weißen Adler]] (Polen)
* Offizier der [[Ehrenlegion]] (Frankreich)
* Offizier der [[Ehrenlegion]] (Frankreich)
* [[Ordre national du Mérite|Ritter des Nationalen Verdienstordens]] (Frankreich)
* [[Ordre national du Mérite|Ritter des Nationalen Verdienstordens]] (Frankreich)
* Großoffizier des Freiheitsordens (Portugal)
* Großoffizier des Freiheitsordens (Portugal)
* 1986 Ehrendoktor der [[Universität Utrecht]]<ref>{{Internetquelle| url=https://www.uu.nl/sites/default/files/eredoctoraten_op_datum_ne.pdf| titel=Eredoctoraten (op datum, niederländisch)| titelerg=Archive Honorary Doctorates| hrsg=Universität Utrecht| zugriff=2023-04-09| format=PDF}}</ref>
* [[Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland|Großes Verdienstkreuz mit Stern]] (Deutschland)
* 1996 [[Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland|Großes Verdienstkreuz mit Stern]] (Deutschland)
* [[Orden Leopolds II. (Belgien)|Großkreuz des Ordens Leopolds II.]] (Belgien)
* [[Orden Leopolds II. (Belgien)|Großkreuz des Ordens Leopolds II.]] (Belgien)
* 2002 Komtur mit Stern des [[Verdienstorden der Republik Ungarn|Verdienstordens der Republik Ungarn]]
* 2002 Komtur mit Stern des [[Verdienstorden der Republik Ungarn|Verdienstordens der Republik Ungarn]]
* Orden [[Pour le Mérite|Pour le mérite für Wissenschaften und Künste]] (Deutschland)
* Orden [[Pour le Mérite|Pour le mérite für Wissenschaften und Künste]] (Deutschland)
* 1998 wurde Bronisław Geremek der [[Aachen]]er [[Karlspreis]] verliehen.
* 1998 wurde Bronisław Geremek der [[Aachen]]er [[Karlspreis]] verliehen.
* 2006 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der [[Europa-Universität Viadrina]] in [[Frankfurt (Oder)]].
* Ehrenmitglied der [[Ungarische Akademie der Wissenschaften|Ungarischen Akademie der Wissenschaften]]
* Ehrenmitglied der [[Ungarische Akademie der Wissenschaften|Ungarischen Akademie der Wissenschaften]]
* 2006 wurde er mit dem [[Marion Dönhoff Preis]] ausgezeichnet.
* 2006 wurde er mit dem [[Marion Dönhoff Preis]] ausgezeichnet.


== Posthume Ehrungen ==
== Posthume Ehrungen ==
Am 14. Januar 2009 gab das [[Europäisches Parlament|Europäische Parlament]] bekannt, dass der Hauptinnenhof seines offiziellen Sitzungsgebäudes, das „Immeuble Louise Weiss“ in [[Straßburg]], fortan den Namen „Bronisław-Geremek-[[Agora]]“ (''Agora Bronisław Geremek'') tragen würde.<ref>[http://www.relatio-europe.eu/journal/trans-europe-express/5357-la-cour-geremek „La cour Geremek“, relatio-euope.eu, 14. Januar 2009]</ref> Die Agora wurde am 21. April 2009 eingeweiht.<ref>[http://wyborcza.pl/1,75477,6524543,Address_of_the_President_of_the_European_Parliament_.html Address of the President of the European Parliament, Hans-Gert Pöttering] Gazeta.pl</ref>
Am 14. Januar 2009 gab das [[Europäisches Parlament|Europäische Parlament]] bekannt, dass der Hauptinnenhof seines offiziellen Sitzungsgebäudes, das „Immeuble Louise Weiss“ in [[Straßburg]], fortan den Namen „Bronisław-Geremek-[[Agora]]“ (''Agora Bronisław Geremek'') tragen würde.<ref> {{Webarchiv|text=„La cour Geremek“, relatio-europe.eu, 14. Januar 2009 |url=http://www.relatio-europe.eu/journal/trans-europe-express/5357-la-cour-geremek |wayback=20090226163911}}</ref> Die Agora wurde am 21. April 2009 eingeweiht.<ref>[http://wyborcza.pl/1,75477,6524543,Address_of_the_President_of_the_European_Parliament_.html Address of the President of the European Parliament, Hans-Gert Pöttering] Gazeta.pl</ref>


== Schriften (Auswahl) ==
== Schriften (Auswahl) ==
* ''Geschichte der Armut: Elend und Barmherzigkeit in Europa'', Artemis-Verlag, München 1988, ISBN 3-7608-1917-6.
* ''Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa.'' Artemis-Verlag, München/Zürich 1988, ISBN 3-7608-1917-6.
* ''Inutiles au Monde. Vagabonds et marginaux en Europe aux XIVe-XVIe siècle'', Paris 1980.
* ''Inutiles au Monde. Vagabonds et marginaux en Europe aux XIVe-XVIe siècle.'' Paris 1980.
* ''The Common Roots of Europe'', Polity Press, Cambridge, 1996.
* ''The Common Roots of Europe.'' Polity Press, Cambridge 1996.


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{Munzinger|00000019173|Bronisław Geremek||in: ''Internationales Biographisches Archiv'' 43/2008 vom 21. Oktober 2008}}
* {{Munzinger|00000019173|Bronisław Geremek||in: ''Internationales Biographisches Archiv'' 43/2008 vom 21. Oktober 2008}}
* Vetter, Reinhold: ''Bronislaw Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution'', Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-8305-3251-4.
* Vetter, Reinhold: ''Bronislaw Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution'', Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-8305-3251-4.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* [http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+CRE+20040720+ITEM-003+DOC+XML+V0//DE&language=DE&query=INTERV&detail=2-010 Rede zur Kandidatur als EP-Präsident am 20. Juli 2004]
* [http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+CRE+20040720+ITEM-003+DOC+XML+V0//DE&language=DE&query=INTERV&detail=2-010 Rede zur Kandidatur als EP-Präsident am 20. Juli 2004]
* [http://www.demokraci.pl/ Seite der Partei von Bronisław Geremek]
* [http://www.demokraci.pl/ Seite der Partei von Bronisław Geremek]
* [http://www.eurosduvillage.com/796-Bronis-aw-Geremek-Die-Strassen?lang=de Die Euros: Interview mit Bronisław Geremek zum Lustrationsgesetz]
* {{Webarchiv|url=http://www.eurosduvillage.com/796-Bronis-aw-Geremek-Die-Strassen?lang=de|wayback=20080803200645|text=Die Euros: Interview mit Bronisław Geremek zum Lustrationsgesetz}}


== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 11. Oktober 2024, 18:36 Uhr

Bronisław Geremek (2004)

Bronisław Geremek (ursprünglich Benjamin Lewertow; * 6. März 1932 in Warschau; † 13. Juli 2008 in Lubień bei Nowy Tomyśl, Woiwodschaft Großpolen) war ein polnischer Historiker und Politiker (UD, UW, PD). Der Experte für mittelalterliche Kulturgeschichte war in der Volksrepublik Polen ab den 1970er-Jahren ein wichtiger Dissident und ab 1980 Mitglied der Solidarność-Bewegung. Er war von 1989 bis 2001 Mitglied des Sejm in X. Wahlperiode der Volksrepublik sowie der I., II. und III. Wahlperiode der Dritten Republik. Von 1997 bis 2000 war er polnischer Außenminister und von 2000 bis 2001 Vorsitzender der liberalen Partei Unia Wolności. Von 2004 bis zu seinem Unfalltod war Geremek Mitglied des Europäischen Parlaments.

Geremek stammte aus einer jüdischen Familie, sein Großvater war Rabbiner. Sein Vater, der eine Kürschnerei besaß, wurde im KZ Auschwitz ermordet, er selbst wurde mit seiner Mutter 1943 (kurz vor dem Aufstand) aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt und überlebte bei einer katholischen Familie. Nach dem Abitur an einem katholischen Gymnasium in Wschowa studierte er an der Universität Warschau Geschichte und schloss 1955 als Magister ab. Nach einem Studienaufenthalt an der Smithsonian Institution in Washington, D.C. und einem Aufbaustudium an der École pratique des hautes études (EPHE) in Paris (1956–58) promovierte er 1960.

Ab 1955 war Geremek Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Von 1960 bis 1965 leitete er das polnische Kulturzentrum in Paris und lehrte parallel 1962–1965 als Dozent an der Pariser Sorbonne. Anschließend kehrte er an die Polnische Akademie der Wissenschaften zurück, wo er 1965 bis 1980 die Arbeitsstelle für mittelalterliche Kulturgeschichte leitete und 1972 seine Habilitation abschloss. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit wurde Geremek 1985 von der Akademie der Wissenschaften entlassen.

Nach dem Systemwechsel 1989 wurde er außerordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte, 1993 ordentlicher Professor. 1990 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Academia Europaea gewählt,[1] 1992/93 war er Gastprofessor am Collège de France und 2002 wurde er Professor am Europakolleg in Natolin im Süden Warschaus.

Geremeks Grab in Warschau

Bronisław Geremek starb im Alter von 76 Jahren am 13. Juli 2008 um 13.20 Uhr am Steuer seines Autos bei einem Frontalzusammenstoß in der Nähe von Lubień (bei Nowy Tomyśl).[2] Er wurde am 21. Juli auf dem Warschauer Powązki-Friedhof unter Anteilnahme seiner Familie, in- und ausländischer Politiker und der Warschauer Bevölkerung beigesetzt[3]. Von 1952 bis zu ihrem Tod 2004 war er mit der Altertumswissenschaftlerin Hanna Geremek verheiratet.

Politische Aktivitäten

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Geremek war von 1950 bis 1968 Mitglied der kommunistischen PVAP. Er verließ die Partei wegen des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei.[4][5] Im Herbst 1968 nahm er an einem von den sogenannten Revisionisten (u. a. Krzysztof Pomian) im Untergrund organisierten Seminar zu sozialen und ökonomischen Problemen teil. Geremek war 1975 einer der Autoren (neben Edward Lipiński, Krystyna Kersten und anderen) des „Briefes der Sieben“ an die Delegierten des VII. Parteitages der PZPR und ihren Ersten Sekretär Edward Gierek. Darin forderten sie demokratische Wahlen, mehr Bürgerbeteiligung bei sozialen und ökonomischen Fragen, freie Presse sowie freie Gewerkschaften und Arbeiterräte. 1980 war Geremek Berater der Solidarność. Nach der Verhängung des Kriegsrechtes 1981 wurde er interniert.

1989 nahm er an den Gesprächen am Runden Tisch teil. Bei der halbfreien Parlamentswahl (sog. „Vertragssejm“) im Juni desselben Jahres wurde er als Abgeordneter des Bürgerkomitees „Solidarność“ im Wahlkreis Suwałki in den Sejm gewählt. Dort war er von Juni 1989 bis November 1990 Vorsitzender der 161 Abgeordnete umfassenden „Bürgerfraktion“ und Mitglied im Verfassungsausschuss (1989–1991). Außerdem hatte er den Vorsitz im auswärtigen Ausschuss (1989–1993). Ab 1990 war er Mitglied der liberalen Partei Unia Demokratyczna (UD; Demokratische Union) bzw. ab 1994 ihrer Nachfolgepartei Unia Wolności (UW; Freiheitsunion).

Von 1997 bis 2000 war Geremek Außenminister Polens in der konservativ-liberalen Regierung Buzek. Für seine Verdienste um die europäische Einigung wurde er 1998 mit dem Karlspreis ausgezeichnet.[6] Von Juli 2000 bis 2001 war er Vorsitzender des Sejm-Ausschusses für europäisches Recht (Polen war zu der Zeit EU-Beitrittskandidat). Als Nachfolger Leszek Balcerowiczs führte Geremek von Dezember 2000 bis Oktober 2001 die UW als Parteivorsitzender an. In dieser Zeit spaltete sich die Platforma Obywatelska (PO; Bürgerplattform) ab, die UW stürzte bei den Wahlen im September 2001 unter die 5-Prozent-Hürde und schied aus dem Sejm aus. Daraufhin übernahm Władysław Frasyniuk den Parteivorsitz. 2002 sprach Bronisław Geremek anlässlich der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Deutschen Bundestag.

Bei der ersten Europawahl nach dem EU-Beitritt Polens gewann die UW vier Sitze, von denen einer an Geremek ging. Er saß während der 6. Wahlperiode des Europäischen Parlaments (bis 2009) in der liberalen ALDE-Fraktion, deren Vorstand er angehörte. 2004 war er Kandidat der europäischen Liberalen für das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments (unterlag aber dem Sozialdemokraten Josep Borrell). Im EU-Parlament war Geremek Mitglied im Ausschuss für konstitutionelle Fragen, im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sowie Delegierter im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU–Russland. Die UW benannte sich im Mai 2005 in Partia Demokratyczna – demokraci.pl (PD; Demokratische Partei) um, der Geremek seither angehörte.

Geremek war erklärter Gegner des in Berlin geplanten Zentrums gegen Vertreibungen. Er war Unterstützer der im April 2007 gegründeten internationalen Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen.[7]

Aus einem Nachruf

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„Geremek war ein unerschütterlicher Europäer, der mit seinem großen internationalen Ansehen den Weg Polens in die Nato und die EU geebnet hat. […] Geremek war ein zutiefst liberaler Mann, der die Kunst der geschmeidigen Lügen und den abrupten Frontwechsel der postkommunistischen Wendehälse stets verachtet hat. Ob Außenminister […], ob Vortragender oder Zuhörer ist der polnische Historiker, in welcher Funktion immer, ein offener, freundlicher Brückenbauer, ein liberaler Europäer geblieben. […] Zur Zeit des großen Ausverkaufs der europäischen Werte und des Aufstiegs stromlinienförmiger Opportunisten fallen die Masken der Politiker von Berlin bis Warschau, von Wien bis Budapest. Bronislaw Geremek trug nie eine Maske.“

Paul Lendvai[8]

Orden und Auszeichnungen (Auswahl)

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Posthume Ehrungen

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Am 14. Januar 2009 gab das Europäische Parlament bekannt, dass der Hauptinnenhof seines offiziellen Sitzungsgebäudes, das „Immeuble Louise Weiss“ in Straßburg, fortan den Namen „Bronisław-Geremek-Agora“ (Agora Bronisław Geremek) tragen würde.[10] Die Agora wurde am 21. April 2009 eingeweiht.[11]

Schriften (Auswahl)

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  • Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa. Artemis-Verlag, München/Zürich 1988, ISBN 3-7608-1917-6.
  • Inutiles au Monde. Vagabonds et marginaux en Europe aux XIVe-XVIe siècle. Paris 1980.
  • The Common Roots of Europe. Polity Press, Cambridge 1996.
  • Bronisław Geremek in: Internationales Biographisches Archiv 43/2008 vom 21. Oktober 2008, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Vetter, Reinhold: Bronislaw Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-8305-3251-4.
Commons: Bronisław Geremek – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea
  2. Unfallort, -zeit und fotos (tvn24.pl)
  3. Pogrzeb Bronisława Geremka Wprost
  4. Kurznotiz
  5. europolitan.de: Nachruf auf Bronislaw Geremek – Querdenker mit großem Herz (Memento vom 3. August 2008 im Internet Archive)
  6. Internationaler Karlspreis zu Aachen – Detail (Memento vom 26. November 2006 im Internet Archive)
  7. unpacampaign.org: Kampagne für die Einrichtung eines Parlaments bei den Vereinten Nationen – Die Unterzeichner (Memento vom 4. August 2008 im Internet Archive)
  8. Paul Lendvai: Der Mann ohne Maske. In: Der Standard, 17. Juli 2008, S. 30.
  9. Eredoctoraten (op datum, niederländisch). (PDF) Archive Honorary Doctorates. Universität Utrecht, abgerufen am 9. April 2023.
  10. „La cour Geremek“, relatio-europe.eu, 14. Januar 2009 (Memento vom 26. Februar 2009 im Internet Archive)
  11. Address of the President of the European Parliament, Hans-Gert Pöttering Gazeta.pl