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Pareto analysierte und klassifizierte die Ursprünge nicht-logischen Handelns, wobei er ein unveränderliches und ein veränderliches Element solchen Handelns benannte.<ref>Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 248–251 und 257.</ref> Das unveränderliche Element nannte er ''Residuen'' (von [[Gottfried Eisermann]] als ''Gefühlsstrukturen'' bezeichnet<ref>[[Gottfried Eisermann]]: ''Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie.'' Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5, S. 143.</ref>) , das veränderliche Element ''Derivationen'' (''Ideen''). |
Pareto analysierte und klassifizierte die Ursprünge nicht-logischen Handelns, wobei er ein unveränderliches und ein veränderliches Element solchen Handelns benannte.<ref>Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 248–251 und 257.</ref> Das unveränderliche Element nannte er ''Residuen'' (von [[Gottfried Eisermann]] als ''Gefühlsstrukturen'' bezeichnet<ref>[[Gottfried Eisermann]]: ''Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie.'' Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5, S. 143.</ref>) , das veränderliche Element ''Derivationen'' (''Ideen''). |
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Pareto klassifizierte etwa 50 ''Residuen'' und ordnete sie in sechs Hauptklassen: |
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Laut Pareto ist jede Gesellschaft in eine Minderheit (Elite) und eine Mehrheit der Nicht-Elite (Massse) aufgeteilt, wobei die Elite in eine herrschende und eine nicht-herrschende Elite unterteilt ist.<ref>Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 251–255 und 257–259.</ref> |
Laut Pareto ist jede Gesellschaft in eine Minderheit (Elite) und eine Mehrheit der Nicht-Elite (Massse) aufgeteilt, wobei die Elite in eine herrschende und eine nicht-herrschende Elite unterteilt ist.<ref>Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 251–255 und 257–259.</ref> |
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== Wirkungsgeschichte == |
== Wirkungsgeschichte und Rezeption des soziologischen Werkes == |
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Paretos Hauptwerk ''Trattato di sociologia generale'' hatte in den Jahren nach seinem Erscheinen weder in Italien noch in Frankreich keinen nennenswerten Einfluss auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs. Erst die Übersetzung ins [[Englische Sprache|Englische]] Mitte der [[1930er]]-Jahre löste großes Interesse an Pareto in der USA aus. Vor allem an der [[Harvard University]] weckten seine Ideen großes Interesse, wo ich um den Physiologen und Philosophen [[Lawrence J. Henderson]] eine jahrelang aktive Pareto-Studiengruppe bildete. Ebenfalls an der Harvard University beschäftigte sich [[Talcott Parsons]] mit Paretos Soziologie. Er stellte in seinem einflussreichen Hauptwerk ''The Structure of Social Actions'' Paretos ''Trattato'' den großen Entwürfen [[Max Weber]]s und [[Émile Durkheim]]s gegenüber, womit er ihm den „kanonischen Status eines »Klassikers«“ der Soziologie verlieh.<ref name="Wirkung">Maurizio Bach: ''Vilfredo Pareto (1848−1923).'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Klassiker der Soziologie.'' Band 1., ''Von Auguste Comte bis Alfred Schütz.'' 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 129.</ref> Allerdings gingen Überlegungen von Weber und Durkheim sehr viel stärker in das Theoriegebäude Parsons’ ein.<ref>Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 262.</ref> |
Paretos Hauptwerk ''Trattato di sociologia generale'' hatte in den Jahren nach seinem Erscheinen weder in Italien noch in Frankreich keinen nennenswerten Einfluss auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs. Erst die Übersetzung ins [[Englische Sprache|Englische]] Mitte der [[1930er]]-Jahre löste großes Interesse an Pareto in der USA aus. Vor allem an der [[Harvard University]] weckten seine Ideen großes Interesse, wo ich um den Physiologen und Philosophen [[Lawrence J. Henderson]] eine jahrelang aktive Pareto-Studiengruppe bildete. Ebenfalls an der Harvard University beschäftigte sich [[Talcott Parsons]] mit Paretos Soziologie. Er stellte in seinem einflussreichen Hauptwerk ''The Structure of Social Actions'' Paretos ''Trattato'' den großen Entwürfen [[Max Weber]]s und [[Émile Durkheim]]s gegenüber, womit er ihm den „kanonischen Status eines »Klassikers«“ der Soziologie verlieh.<ref name="Wirkung">Maurizio Bach: ''Vilfredo Pareto (1848−1923).'' In: Dirk Kaesler (Hrsg.): ''Klassiker der Soziologie.'' Band 1., ''Von Auguste Comte bis Alfred Schütz.'' 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 129.</ref> Allerdings gingen Überlegungen von Weber und Durkheim sehr viel stärker in das Theoriegebäude Parsons’ ein.<ref>Richard Münch: ''Soziologische Theorie.'' Band 1., ''Grundlegung durch die Klassiker'', Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (''Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto''), hier S. 262.</ref> |
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Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] forschten und publizierten besonders [[Norberto Bobbio]], [[Dino Fiorot]] und [[Carlo Mongardini]] in Italien, [[Raymond Aron]] und [[Julien Freund]] in Frankreich und Gottfried Eisermann in Deutschland zu Pareto.<ref name="Wirkung" /> |
Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] forschten und publizierten besonders [[Norberto Bobbio]], [[Dino Fiorot]] und [[Carlo Mongardini]] in Italien, [[Raymond Aron]] und [[Julien Freund]] in Frankreich und Gottfried Eisermann in Deutschland zu Pareto.<ref name="Wirkung" /> |
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Laut Maurizio Bach wird Pareto gemeinhin als Außenseiter und Sonderling unter den Gesellschaftstheoretikern der klassischen Periode betrachtet. Man zähle ihn dennoch zu den Hauptvertretern der modernen theoretischen Soziologie und stelle ihn in eine Reihe mit [[Émile Durkheim]] und [[Max Weber]], doch diese Zuordnung sei inzwischen meist rein rituell. Die inhaltliche Rezeption seines Werkes werde vernachlässigt. Man könne Pareto deshalb eine „vergessenen Soziologen“ nennen.<ref>Maurizio Bach: ''Jenseits des rationalen Handelns. Zur Soziologie Vilfredo Paretos''. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14220-8, S. 1.</ref> |
Laut Maurizio Bach wird Pareto gemeinhin als Außenseiter und Sonderling unter den Gesellschaftstheoretikern der klassischen Periode betrachtet. Man zähle ihn dennoch zu den Hauptvertretern der modernen theoretischen Soziologie und stelle ihn in eine Reihe mit [[Émile Durkheim]] und [[Max Weber]], doch diese Zuordnung sei inzwischen meist rein rituell. Die inhaltliche Rezeption seines Werkes werde vernachlässigt. Man könne Pareto deshalb eine „vergessenen Soziologen“ nennen.<ref>Maurizio Bach: ''Jenseits des rationalen Handelns. Zur Soziologie Vilfredo Paretos''. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14220-8, S. 1.</ref> |
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Aktuelle Version vom 29. Oktober 2024, 16:55 Uhr
Vilfredo Frederico Damaso Pareto (seit 1882 zusätzlich: Marchese di Parigi), gebürtig Wilfried Fritz Pareto[1]; * 15. Juli 1848 in Paris; † 19. August 1923 in Céligny, Kanton Genf[2] war ein schweizerischer Ingenieur, Ökonom und Soziologe italienisch-französischer Herkunft.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut Gottfried Eisermann sind in der Geburtsurkunde Paretos die Vornamen Fritz Wilfried dokumentiert[3] Diese Vornamen stünden auch auf dem Deckblatt der Dissertationsschrift Paretos.[4] Warum seine Eltern ihm die deutschen Vornamen gaben sei eines der ungeklärten Rätsel im Leben Paretos. [3]
Der Vater Raffaele Pareto Marchese di Parigi (1812-1882), ein Ingenieur aus Genua, lebte als Republikaner und Gegner des Hauses Savoyen seit den 1830er-Jahren im Pariser Exil.[5] Den Adelstitel Marchese, der nach dem Tode des Vaters auf Vilfredo Pareto überging (der ihn jedoch nicht verwendete), hatte Napoleon dem Großvater verliehen.[6] Die Mutter, Marie Pareto Marchesa di Parigi, geborene Metenier (1816-1889), war Französin und stammte aus einfachen sozialen Verhältnissen. Das Kind wuchs zweisprachig (Italienisch, Französisch) auf.
1852 konnte die Familie wegen einer Amnestie nach Genua zurückkehren, zog dann mehrfach um, weil wegen der beruflichen Karriere des Vaters (erst als Französischleher, dann als Professor und schließlich als Ministerialbeamter) Ortswechsel notwendig wurden.
1859 begann Pareto seine schulische Ausbildung am Istituto Tecnico Leardi, Sezione fisico-matematica, in Casale Monferrato in, an dem sein Vater Professor war. Er setzte den Schulbesuch in Florenz und Turin fort, wo er 1864 die Licenza di Maturità erhielt. Bis 1867 folgte eine Studium der Mathematik und Physik an der Universität Turin, das 1967 mit der Licenza in scienza matematiche e fisiche abgeschlossen wurde. Darauf folgte, ebenfalls in Turin und unterbrochen durch kurzen Wehrdienst, ein Ingenieursstudium, das Pareto 1870 mit Promotion beendete.
Von 1870 bis 1873 war Pareto Eisenbahnangestellter als Ingenieur in Florenz. 1873 begann Paretor Karriere als leitender Angestellte in der Wirtschaft, erst als Signore Incaricato der Eisenwarenfirma Società dell'Industria del Ferro in San Giovanni Valdarno und dann von 1880 bis 1890 (nach Namensänderung der Firma in Società delle Ferriere Italiane) als deren Generaldirektor. Nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus der Geschäftsführung blieb er bis 1992 Berater der Firma.
Laut Online-Biografie hatte er 1880 und 1882 in zwei verschiedenen Wahlkreisen der Toskana erfolglos für die Camera dei deputati kandidiert.[7] Nach anderen Quellen verzichtete er nach dem ersten Mißerfolg auf eine weitere Kandidatur zur italienischen Abgeordnetenkammer, sei aber von 1877 bis 1881 Mitglied des Gemeinderates San Giovanni Valdarno gewesen.[8]
1893 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie an der Universität Lausanne an und wurde damit Nachfolger des Begründers der neuen mathematischen Ökonomie, Léon Walras.[9] 1911 wurde er emeritiert, hatte sich aber bereits 1906 von seinen Lehrverpflichtungen befreien lassen, um sich ganz der Arbeit an seiner Allgemeinen Soziologie widmen zu können.[10]
Nach einer reichen Erbschaft zog er 1900 in eine Villa in Céligny. Dort starb er am 19. August 1923 an Herzversagen.
Pareto war zweimal verheiratet, seit 1889 mit Alessandrina „Dina“ Bakounine (1860-1940) und seit 1923 mit Jeanne Régis (1879-1948), mit der er seit 1906 zusammenlebte. Nach Paretos Tod stritten die beiden Frauen um Erbe und Adelstitel, was zur vollständigen Vernichtung des schriftlichen Nachlasses führte.[11]
Verhältnis Paretos zum Faschismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In seinem letzten Lebensjahr wurden Pareto von Benito Mussolini zwei Ehrungen angetragen: Erst wurde im eine Ernennung zum Vertreter Italiens in der Kommission für Abrüstung im Völkerbund angetragen, dann der Titel des Senators auf Lebenszeit. Auf beide Ansinnen, so Maurizio Bach, reagierte er mit „vornehmer Zurückhaltung“.[11]
Maurizio Bach nennt Paretos Verhältnis zum italienischen Faschismus „ambivalent“. Bestimmte Aspekte seiner politischen Doktrin, die deutliche Züge eines „antidemokratischen Elitismus“ trage, hätten zur Legitimation der Machteroberung Mussolinis beigetragen. Anfangs habe Pareto Mussolini wegen dessen Charisma ein gewisses Wohlwollen entgegengebracht. In seinen letzten Stellungnahmen, wenige Monate nach dem Marsch auf Rom überwiege aber eine gewissen Skepsis gegenüber der auf Beseitigung der parlamentarischen Deokratie angelegten Politik des späteren „Duce“. Der einstige Sympathisant sei so am Ende seines Lebens zu einem der prominentesten Kritiker des Faschismus im liberal-konservativen Lagers geworden.[12]
Werk
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Paretos wissenschaftliches Lebenswerk besteht aus seinen früheren theoretischen Arbeiten zur Volkswirtschaftslehre und seinen Schriften zur Soziologie, dessen Hauptwerk 1916 als Trattato di sociologia generale in zwei Bänden erschien.
Von der Ökonomie zur Soziologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Neben seiner kaufmännischen Geschäftstätigkeit betrieb Pareto ein autodidakktisches Studium der Wirtschaftswissenschaft und wurde zum überzeugten Verfechter der neoklassische Schule.[13] Wirtschaftspolitisch vertrat er vehement liberale Auffassungen und hielt staatliche Interventionen in die Wirtschaft für schädlich, weil sie nicht den Prinzipien wirtschaftlicher Vernunft folgen. Mit diesen theoretischen Grundannahmen geriet er in Konflikt mit seiner Lebensrealität. Als Manager in der Eisenindustrie stieß er auf erhebliche interne und externe Widerstände, als er versuchte das Unternehmen auf den Wettbeerb am Markt auszurichten, statt auf staatliche Protektionsmaßnahmen zu setzen. Bei seinem erfolglosen Versuch ein Parlamentsmandat in der Deputiertenkammer zu gewinnen gewann er die Überzeugung, dass sich eine rein an ökonomischer Rationalität orientierte Politik sich durchsetzen lässt. Daher zog er sich aus praktisch-ökonomischen und praktisch-politischen Aktivitäten zurück und konzentrierte sich auf die theoretische Wirtschaftswissenschaft, hält Vorträge und publiziert in Fachzeitschriften. 1983 wurde er dann auf den Lehrstuhl in Lausanne berufen.
Richard Münch betont, dass Paretos ökonomische Schriften zum Kanon der modernen Volkswirtschaftslehre gehören.[14] Noch heute seien sein Gesetz der Einkommensverteilung und das Pareto-Optimum bedeutsam.
Wohlfahrtsökonomie (belegen)
In den Jahren seiner wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Publizistik wurde Pareto immer deutlicher, dass ökonomische Modelle zwar zu vollkommener analytischen Schärfe und Perfektion gelangt waren, sich damit aber auch immer weiter von der gelebten Realität entfernt hatten. Um solche Realität beschreiben zu können, wandte er sich zunehmend der Ausarbeitung einer allgemeinen Soziologie zu.
Soziologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die soziologische Arbeiten Paretos haben zwei Schwerpunkte, einmal die Differenzierung zwischen logischem und nicht-logischen Handeln, die eine Soziologie der Emotionen enthält[15] und die Dynamik von Machtgewinn und Machtverlust, womit er neben seinen italienischen Landsleuten Gaetano Mosca und Robert Michels den klassischen Vetretern der Elitesoziologie zugeordnet wird[16].
Methodologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als ausgebildeter Naturwissenschaftler und praktizierender Ökonom sah sich Pareto den Idealen der positiven Wissenschaft verpflichtet, die er als „logisch-experimentelle Wissenschaft“ bezeichnete. Aus diesem Blickwinkel muss die Soziologie von Tatsachen über die Induktion zu allgemeinen Gesetzen voranschreiten, die dann wieder durch Tatsachen geprüft werden müssen.[17]
Logisches und nicht-logisches Handeln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut Pareto gibt es keine ausschließlich auf Vernunft beruhende Gesellschaft, der größte Teil menschlichen Handelns sei nicht logisch.[18] Logisches Handeln sei im Wesentlichen auf das Gebiet der rationalen ökonomischen Kalkulation und auf wissenschaftliche Forschung beschränkt. Nicht-logisches Handeln erfülle eine nützliche Funktion, weil es dem Einzelnen und der Gesellschaft Orientierung und Zielrichtungen verleihe.
Leider gebe es in Philosophie und Sozialwissenschaften eine bedauerliche Tendenz, die Bedeutung nicht-logischen Handelns zu bestreiten oder zu rationalisieren. Nicht-logisches Handeln werde meistens von großen Anstrengungen begleitet, entsprechenden Handlungen vernünftige Begründungen zu verleihen. Solche pseudowissenschaftlichen Begründungen fungierten als Ideologien. Dazu seien Liberalismus, Marxismus oder Sozialdarwinismus zu zählen. Diese Theorien enthielten teilweise wissenschaftlich überprüfbare Aussagen, die jedoch mit widerlegten und mit unüberprüfbaren Aussagen verbunden seien. Folglich sei beispielsweise das Eintreten für den Kapitalismus oder den Sozialismus nicht durch wissenschaftliche Theorien gestützt. Es seien von ihrem Wesen her nicht-logische Theorien. Die seien für das menschliche Handeln deshalb nützlich, weil sie eine gemeinsame Überzeugung schaffen und gesellschaftliche Entwicklung auf gemeinsame Ziele hinführen.
Gefühle, Residuen und Derivationen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Pareto analysierte und klassifizierte die Ursprünge nicht-logischen Handelns, wobei er ein unveränderliches und ein veränderliches Element solchen Handelns benannte.[19] Das unveränderliche Element nannte er Residuen (von Gottfried Eisermann als Gefühlsstrukturen bezeichnet[20]) , das veränderliche Element Derivationen (Ideen).
Pareto klassifizierte etwa 50 Residuen und ordnete sie in sechs Hauptklassen:
- Kombination –
- Persistenz –
- Expressivität –
- Sozialität –
- Individualismus –
- Erotik –
Derivationen in vier Klassen:
- Behauptung –
- Autorität –
- Übereintimmungen von Gefühlen und Prinzipien –
- Beweise mit Worten –
Elitensoziologie: Machtgewinn und Machtverlust
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut Pareto ist jede Gesellschaft in eine Minderheit (Elite) und eine Mehrheit der Nicht-Elite (Massse) aufgeteilt, wobei die Elite in eine herrschende und eine nicht-herrschende Elite unterteilt ist.[22]
Wirkungsgeschichte und Rezeption des soziologischen Werkes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Paretos Hauptwerk Trattato di sociologia generale hatte in den Jahren nach seinem Erscheinen weder in Italien noch in Frankreich keinen nennenswerten Einfluss auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs. Erst die Übersetzung ins Englische Mitte der 1930er-Jahre löste großes Interesse an Pareto in der USA aus. Vor allem an der Harvard University weckten seine Ideen großes Interesse, wo ich um den Physiologen und Philosophen Lawrence J. Henderson eine jahrelang aktive Pareto-Studiengruppe bildete. Ebenfalls an der Harvard University beschäftigte sich Talcott Parsons mit Paretos Soziologie. Er stellte in seinem einflussreichen Hauptwerk The Structure of Social Actions Paretos Trattato den großen Entwürfen Max Webers und Émile Durkheims gegenüber, womit er ihm den „kanonischen Status eines »Klassikers«“ der Soziologie verlieh.[23] Allerdings gingen Überlegungen von Weber und Durkheim sehr viel stärker in das Theoriegebäude Parsons’ ein.[24]
Nach dem Zweiten Weltkrieg forschten und publizierten besonders Norberto Bobbio, Dino Fiorot und Carlo Mongardini in Italien, Raymond Aron und Julien Freund in Frankreich und Gottfried Eisermann in Deutschland zu Pareto.[23]
Laut Maurizio Bach wird Pareto gemeinhin als Außenseiter und Sonderling unter den Gesellschaftstheoretikern der klassischen Periode betrachtet. Man zähle ihn dennoch zu den Hauptvertretern der modernen theoretischen Soziologie und stelle ihn in eine Reihe mit Émile Durkheim und Max Weber, doch diese Zuordnung sei inzwischen meist rein rituell. Die inhaltliche Rezeption seines Werkes werde vernachlässigt. Man könne Pareto deshalb eine „vergessenen Soziologen“ nennen.[25]
Franco Ferrarotti schrieb im Internationalen Soziologenlexikon, alle Theorien Paretos enthielten einen mehr oder weniger offenen Angriff auf den Menschen als ein vernünftiges Wesen: „der Mensch sei ein ideologisches und schwatzhaftes Tier. das nie müde werde, sich selbst und andere zu täuschen.“ Die pessimistische Theorie von der Zirkulation der Eliten besage, „daß alle Bemühungen, soziale Situationen zu ändern, nutzlos sind, wie heroisch sie auch immer sein mögen.“[26]
Schriften Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Maurizio Bach: Jenseits des rationalen Handelns. Zur Soziologie Vilfredo Paretos. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14220-8.
- Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131.
- Anja Eckstein und Stefan Eckstein: Vilfredo Pareto. Begründer der Wohlfahrtsökonomie und Skeptiker gegenüber der Rationalität der Menschen. In: Bernd Otto Weitz (Hrsg.): Bedeutende Ökonomen. Oldenbourg, München/Wien 2008, ISBN 978-3-486-58222-2, S. 89–97.
- Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5.
- Gottfried Eisermann: Max Weber und Vilfredo Pareto. Dialog und Konfrontation. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1989, ISBN 3-16-545457-4.
- Franco Ferrarotti: Vilfredo Pareto (1848–1923). In: Wilhelm Bernsdorf, Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Bd. 1., Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen, Enke, Stuttgart 1980, ISBN 978-3-432-82652-3, S. 323–327.
- Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto).
- Hans-Jürgen Wagener: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Heinz D. Kurz (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens. Band 2, C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57372-9, S. 26–47.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Biografie Vilfredo Pareto im Internet-Lexikon 50 Klassiker der Soziologie.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Als deutsche Vornamen werden in verschiedenen Quellen auch Fritz Wilfried oder Fritz Wilfrid genannt.
- ↑ Personendaten gemäß Biografie Vilfredo Pareto im Internet-Lexikon 50 Klassiker der Soziologie.
- ↑ a b Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5, S. 1, Anmerkung 1.
- ↑ Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5, S. 6.
- ↑ Biographische Angaben beruhen, wenn nicht anders belegt, auf der Biografie Vilfredo Pareto im Internet-Lexikon 50 Klassiker der Soziologie.
- ↑ Hans-Jürgen Wagener: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Heinz D. Kurz (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens. Band 2, C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57372-9, S. 26–47, hier S. 26.
- ↑ Biografie Vilfredo Pareto im Internet-Lexikon 50 Klassiker der Soziologie.
- ↑ Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264. hier S. 240.
- ↑ Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 113.
- ↑ Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264. hier S. 241.
- ↑ a b Maurizio Bach: Jenseits des rationalen Handelns. Zur Soziologie Vilfredo Paretos. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14220-8, S. 9.
- ↑ Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 114.
- ↑ Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto), hier S. 240 f.
- ↑ Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264, hier S. 241.
- ↑ Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 121.
- ↑ Miguel Tamayo und Talar Valentina Acemyan: Ewig minorenn – Mosca, Pareto und Michels über Macht und Herrschaft. In: Peter Imbusch (Hrsg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien. 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-17924-7, S. 73–96.
- ↑ Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264, hier S. 245.
- ↑ Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto), hier S. 245–248 und 256.
- ↑ Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto), hier S. 248–251 und 257.
- ↑ Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-545207-5, S. 143.
- ↑ Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 119 ff.
- ↑ Angaben zu diesem Abschnitt beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto), hier S. 251–255 und 257–259.
- ↑ a b Maurizio Bach: Vilfredo Pareto (1848−1923). In: Dirk Kaesler (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. Band 1., Von Auguste Comte bis Alfred Schütz. 7. Auflage, Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-64297-5. S. 112– 131, hier S. 129.
- ↑ Richard Münch: Soziologische Theorie. Band 1., Grundlegung durch die Klassiker, Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN ISBN 3-593-37052-2, S. 239–264 (Die italienischen Tradition des Machiavellismus. Vilfredo Pareto), hier S. 262.
- ↑ Maurizio Bach: Jenseits des rationalen Handelns. Zur Soziologie Vilfredo Paretos. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14220-8, S. 1.
- ↑ Franco Ferrarotti: Vilfredo Pareto (1848–1923). In: Wilhelm Bernsdorf, Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Bd. 1., Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen, Enke, Stuttgart 1980, ISBN 978-3-432-82652-3, S. 323–327, hier S. 325.