Semnonenhain

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Semnonenhain nach Emil Doepler 1905

Der Heilige Hain der Semnonen ist eine Kultstätte der Semnonen, die in Tacitus' Germania um etwa 100 n. Chr. beschrieben wird. Zudem ist in der Lieder-Edda im Heldenlied Helgakviða Hundingsbana II ebenso eine Erinnerung an einen Fesselhain bewahrt. Zwischen beiden Hainen liegt offenkundig eine Analogie vor,[1] die der Altgermanist Otto Höfler zu beweisen versuchte.[2]

Quellen

Tacitus beschreibt den Fesselhain wie folgt:

„Stato tempore in silvam auguriis patrum et prisca formidine sacram omnes eiusdemque sanguinis populi legationibus coeunt caesoque publice homine celebrant barbari ritus horrenda primordia. Est et alia luco reverentia: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur, ut minor et potestatem numinis prae se ferens. si forte prolapsus est, attolli et insurgere haud licitum: per humum evolvuntur. eoque omnis superstitio respicit, tamquam inde initia gentis, ibi regnator omnium deus, cetera subiecta atque parentia.“

„Zu bestimmter Zeit treffen sich sämtliche Stämme desselben Geblüts, durch Abgesandte vertreten, in einem Haine, der durch die von den Vätern geschauten Vorzeichen und durch uralte Scheu geheiligt ist. Dort leiten sie mit öffentlichem Menschenopfer die schauderhafte Feier ihres rohen Brauches ein. Dem Hain wird auch sonst Verehrung gezeigt: niemand betritt ihn, er sei denn gefesselt, um seine Unterwürfigkeit und die Macht der Gottheit zu bekunden. Fällt jemand hin, so darf er sich nicht aufheben lassen oder selbst aufstehen; auf dem Erdboden wälzt er sich hinaus. Insgesamt gründet sich der Kultbrauch auf den Glauben, dass von dort der Stamm sich herleite, dort der allbeherrschende Gott wohne, dem alles unterworfen, gehorsam sei.“

Tacitus, Germania, 39

Im Lied Helgakviða Hundingsbana II heißt es:

„Var Helgi eigi gamall. Dagr, Högna sonr, blótaði Óðin til föðurhefnda. Óðinn léði Dag geirs síns. Dagr fann Helga, mág sinn, þar sem heitir at Fioturlundi. Hann lagði í gognom Helga með geirnom. Þar fell Helgi.“

Helgi wurde nicht alt. Dag, Högnis Sohn, opferte Odin um Vaterrache. Odin lieh Dag seinen Speer. Dag traf Helgi, seinen Schwager an dem Ort der Fjöturlund (Fesselhain) heißt. Er durchbohrte Helgi mit dem Speer. Dort fiel er.[3]

Helgakviða Hundingsbana II (Das Zweite Lied von Helgi dem Hundingstöter), 29

Religiöse Bedeutung

Der Heilige Hain enthielt kein Götterbild. Auch gab es keinen Tempel. Der ganze Hain galt als göttlich. Das Menschenopfer, das dem Hain gegeben wird, war ein verbindendes Element der suebischen Stämme.[4] Höfler konnte zudem nachweisen, dass das Opfer kein Niedriggestellter war, sondern ein Auserwählter, der sein Geschick freiwillig auf sich nahm.

Lokalisierung

Ein konkreter Ort konnte bisher nicht ausfindig gemacht werden. Es gibt eine Reihe von Theorien. Zusammenfassend werden folgende Kriterien herangezogen, um den Hain zu lokalisieren:

  1. Er muss im Siedlungsgebiet der Semnonen, also zwischen Oder und Elbe, liegen. Es sollte eine möglichst dichte Besiedlung in der Nähe nachgewiesen sein.
  2. Der Hain sollte in einer exponierten Lage liegen, zum Beispiel an einer Handelsroute, auf einem Berg oder bei einem bedeutenden Stein.

Der Brandenburghistoriker Johannes Schultze verortete den Hain in Zootzen (Friesack), wo eine alte Geschichte überliefert ist, die an den Fesselhain erinnert.[5] Der Rathenower Stadtarchivar Dr. Rudolf Guthjahr (1904-1988) siedelte den Semnonenhain zwischen Nauen und Velten im Krämer Forst an.[6] Zudem gab es Vorschläge, den Hain im Blumenthal bei Prötzel oder in den Rauener Bergen[7] zu suchen. Für die Rauener Berge sprächen, neben der hügeligen Landschaft, die großen Markgrafensteine und der anliegende Scharmützelsee.

Wolfgang Ribbe verwirft diese Orte, da sie außerhalb des semnonischen Siedlungsgebietes lägen, und plädiert stattdessen für das dicht besiedelte Havelland. Neuere Forschungen weisen aber darauf hin, dass es im östlichen „Brandenburg“ eine dichtere Besiedlung gegeben hat als bisher angenommen. So konnten mit Susudata (Fürstenwalde) und Colancorum (Küstrin) zwei Handelsstädte im östlichen Brandenburg nachgewiesen werden.[8]

Literatur

  • Otto Höfler: Das Opfer im Semnonenhain und die Edda. In: Hermann Schneider (Hrsg.): Edda, Skalden, Saga. Festschrift zum 70. Geburtstag von Felix Genzmer. Heidelberg 1952, DNB 451042751, S. 1–67.
  • Rudolf Much: Die Germania des Tacitus. 3. Auflage. Wolfgang Lange (Hrsg.) unter Mitarbeit durch Herbert Jankuhn, Verlag C. Winter, Heidelberg 1967, DNB 457642858.
  • Wolfgang Ribbe: Geschichte Berlins. Band 1. Berlin 1986, ISBN 3-7678-0681-9, S. 35–38.
  • Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 3. Auflage. Berlin 1970.

Einzelnachweise

  1. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X.
  2. Otto Höfler: Das Opfer im Semnonenhain und die Edda. In: Hermann Schneider (Hrsg.): Edda, Skalden, Saga. Festschrift zum 70. Geburtstag von Felix Genzmer. Heidelberg 1952, S. 1–67.
  3. Übersetzung von Arnulf Krause: Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda. Reclam Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-050047-8, S. 289.
  4. Heinrich Beck: Menschenopfer in der literarischen Überlieferung. S. 240–258.
  5. Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg. Band 1: Entstehung und Entwicklung unter den askanischen Markgrafen (bis 1319). Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1961, S. 18.
  6. http://www.die-mark-online.de/nachrichten/lokales/landkreis-havelland/rathenow/kaiser-augustus-havelland-978479.html
  7. Georg F.G. Goltz: Diplomatische Chronik Fürstenwalde. Fürstenwalde 1837, S. 9–10.
  8. Andreas Kleineberg, Christian Marx, Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann: Germania und die Insel Thule. Die Entschlüsselung von Ptolemaios' "Atlas der Oikumene". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010.