Jacob Herle
Jacob Herle (* 25. Juni 1885 in Erkelenz im Rheinland; † 8. September 1957 ebendort) war ein deutscher Wirtschaftsfunktionär. Er amtierte lange Jahre als Geschäftsführer des Reichsverbandes der Deutschen Industrie.
Leben und Tätigkeit
Frühes Leben
Herle war der Sohn des Buchhändlers Bernhard Herle (1845–1898) und seiner Ehefrau Gertrud geb. Derichs (1846–1904). Er besuchte das humanistische Gymnasium in Rheydt und studierte anschließend Volkswirtschaften in Bonn, Berlin und Tübingen. 1911 wurde er in Tübingen mit einer von Wildbrandt betreuten Arbeit zum Dr. rer. pol. promoviert.
Walther Herrmann zufolge war Herle schon als Student die „Gabe des humorvollen, optimistischen Schlichtens“ zu eigen, die „sein ganzes Lebenswerk“ gekennzeichnet habe.
Tätigkeit von 1910 bis 1945
Von 1910 bis 1914 amtierte Herle als Geschäftsführer des Bundes deutscher Industrieller. Diese Stellung erhielt er aufgrund seiner Verbindung mit dem späteren Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann, der damals stellvertretender Präsident des Bundes war. Als der Bund sich kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges mit dem konservativ-schutzzöllnerisch ausgerichteten Centralverband Deutscher Industrieller im Kriegsausschuss der deutschen Industrie zusammenschloss, wurde Herle Geschäftsführer des vereinigten Verbandes: In der Folge amtierte er von 1914 bis 1919 als Geschäftsführer des Kreisausschusses der Deutschen Industrie und der Deutschen Industrie-Rates. Zugleich war er Schriftleiter der Mitteilungen des Kriegsausschusses der deutschen Industrie.
Von 1919 bis 1934 amtierte Herle als Geschäftsführer des Reichsverbandes der Deutschen Industrie in Berlin. Während dieser Zeit wurde er Begründer der Kartellstelle des Reichsverbandes, des Rußland-Ausschusses der deutschen Wirtschaft sowie des Ausstellungs- und Messeamtes der Industrie. Kastl hat in Herle während dieser Jahre die „Seele der Organisation“ des Reichsverbandes gesehen.
1925 gründete Herle den Industrie-Pensions-Verein, der den Zweck hatte, einen Syndikustyp heranzuziehen, der, so Herrmann „dem politischen Stil der Demokratie angemessen war und seine Interessenvertretung nicht in den unbekümmerten Lobbyismus abgleiten“ lassen würde.
Daneben war er in der Weimarer Zeit ehrenamtlicher Leiter des Deutschen Ausstellungs- und Messeamtes sowie Vorstands und Ausschussmitglied zahlreicher wirtschaftlicher und kultureller Organisationen, Vorstandsmitglied des Deutschen versicherungs-Schutzverbandes.
Als „Geschäftsführer des Reichsstandes der deutschen Industrie“ gehörte Herle 1933 zu den Gründungsmitgliedern der nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht[1] Hans Franks.
Nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten wurde Herle im Zuge der Überführung der freien Selbstverwaltung des Unternehmertums in die staatlich gelenkte „Organisation der gewerblichen Wirtschaft“ (1935) aus seiner Stellung verdrängt, wobei auch seine Freundschaft mit Heinrich Brüning laut Herrmann ein Grund gewesen sein dürfte, weshalb er ins Visier genommen wurde.
Herle kam stattdessen in der Leitung der Wirtschaftsstelle des Reichsverbandes der deutschen Zeitungsverleger unter.
Ab Mai 1935 wurde Herle in den Veröffentlichungen des Deutschen Reichsanzeigers mehrfach als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Ala Anzeigen AG genannt.[2] Der SS-Obergruppenführer und NSDAP-Reichsleiter für die Presse Max Amann wird als Vorsitzender des Aufsichtsrats genannt. In der Weimarer Republik waren die Ala und die Annoncen-Expedition Rudolf Mosse die umsatzstärksten Announcenvermittler, die das lukrative Geschäft mit überregionalen Zeitungsanzeigen weitgehend unter sich aufteilten. Die Unternehmen der jüdischen Familie Mosse gerieten in den 1920er Jahren zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten und wurden im April 1933 arisiert. Die Ala wurde am 4. Mai 1934 von Alfred Hugenbergs Scherl Verlag verkauft. Neue offizielle Eigentümer wurden der Franz-Eher-Verlag[3] zu 70 % und der Werberat der deutschen Wirtschaft zu 30 %. Das Aktienkapital der Ala wurde allerdings stellvertretend weitgehend von den von Max Winkler geleiteten Treuhandgesellschaften Cautio Treuhand GmbH und Cura Revisions- und Treuhand GmbH gehalten. In einem Rundbrief wurde den Kunden 1934 mitgeteilt, dass die Ala nun auch die parteiamtliche Werbestelle der NS-Presse sei. Überregionale Anzeigen in NS-Publikationen waren über die Ala aufzugeben.
Herle stellte am 25. Januar 1936 den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP.[4] Zum 1. April 1936 wurde Herle in die NSDAP aufgenommen (Mitgliedsnummer 3.759.329).[5]
Im Dezember 1939 übernahm Herle die Leitung der Gruppe IV Industrie bei der Haupttreuhandstelle Ost (HTO).[6] Nach Umstrukturierung war er bei der HTO als Abteilungsleiter III Industrie bis zum 30. Juni 1942 tätig.[7] 1941 stellte der Leiter der HTO Max Winkler fest: »Die eingegliederten Ostgebiete, in denen die HTO ihre Sonderaufgaben durchzuführen hat, umfasst ein Gebiet von nicht weniger als 87.000 qkm [Quadratkilometern, entspricht etwa 27 % der Fläche Polens]. Es sind wichtige Erzeugungsgebiete der Landwirtschaft, aber auch Gebiete einer leistungsfähigen und zukunftsreichen Industrie. Dieser neue Osten darf künftig nicht mehr wie bisher von einer Mischbevölkerung bewohnt werden. Seine rein deutsche Besiedelung muss sichergestellt werden. Dafür leistet die HTO entscheidende wirtschaftliche Vorarbeit.«[8] Herles Tätigkeit ist nach heutigen Maßstäben als (Beihilfe zu) Kriegsverbrechen nach Artikel 8 Abs. 2 a Nr. iv (Aneignung von Eigentum in großem Ausmaß) oder Artikel 8 Abs. 2 b Nr. viii (Beschlagnahme feindlichen Eigentums) der Legaldefinition in Artikel 8 Abs. 2 Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs anzusehen.
1941 wurde Herle Mitglied der nach ihrem Leiter Hugo Klein benannten "Klein-Kommission", einer vom Reichswirtschaftsminister eingesetzten dreizehnköpfigen Kommission zur Erstellung von Gutachten über die „Verteilung“ (im Sinne von Plünderung) der Eisen- und Stahlindustrie in Frankreich, Belgien und Luxemburg an deutsche Interessenten.[9]
1942 wurde Herle Mitglied des Vorstands der Pulverfabriken Köln-Rottweil AG und der Westfälisch-Anhaltinischen Sprengstoff AG sowie 1943 der WASAG.Chemie AG.[10]
Nachkriegszeit
Am 7. Mai 1945 wurde Herle in der Wolzogenstraße 15 in Berlin-Zehlendorf von der sowjetischen Besatzungsmacht festgenommen.[11] In der Folge war er sieben Jahre lang in Posen, Landsberg/Warthe, Buchenwald und ab 10. Februar 1950 in der Strafanstalt Waldheim inhaftiert. Am 12. Mai 1950 verurteilte die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Chemnitz Herle in einem der Waldheimer Prozesse zu 10 Jahren Zuchthaus und zum Einzug seines Vermögens.[12] Herle wurde am 15. Januar 1952 aus der Strafanstalt Waldheim entlassen und durfte nach Westdeutschland ausreisen.[13] 1954 erklärte das Kammergericht Berlin alle Waldheim-Urteile für nichtig.[14]
Nach seiner Rückkehr nach Westdeutschland wurde Herle zunächst in den Geschäftsführenden Ausschuss der Wasag-Chemie AG aufgenommen. Im Jahr 1953 wurde er Mitglied des Aufsichtsrates dieser Firma und 1955 dessen Ehrenvorsitzender.[15]
Herle war Aufsichtsratsmitglied bei sechs weiteren Industrieunternehmen und Versicherungen (Aufsichtsrat: Kronprinz AG, Solingen-Ohligs, Guanowerke AG, Hamburg, Allianz Lebensversicherungs-AG, Stuttgart, Kupferberg & Co., Mainz und Leonhard Monheim AG, Aachen; Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats: Concordia Bergbau-AG, Oberhausen).[16] Er war Beirat der Rhein-Ruhr Bank, Düsseldorf, Vorsitzender des Verwaltungsrats des Industrie-Pensions-Verein e.V., Varel, Vorstand des „Internationalen Rates für Jugendaufstieg und Selbsthilfe“ und dessen Rechtsnachfolgerin Carl-Duisberg-Gesellschaft sowie Kuratoriumsmitglied des Deutschen Industrieinstituts.[16][17]
Herle wurde im Juli 1955 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Er war seit 1955 Ehrenbürger von Erkelenz. Eine Straße in Erkelenz wurde zur Erinnerung an ihn als „Dr.-Jakob-Herle-Straße“ benannt.
Familie
Herle war seit dem 19. Juni 1916 mit Clara Rudolfina Elisabeth Wagener (* 3. Oktober 1890 in Amsterdam) verheiratet.[18] In zweiter Ehe war er seit 1923 mit Maria Warlimont (* 1895), der Tochter des Kaufmanns Joseph Warlimont (1853–1927) aus Erkelenz, verheiratet, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte.
Schriften
- Die Tarifgemeinschaften in der deutschen Buchbinderei. 1910.
- Aufgaben und Tätigkeit des Reichsverbandes der Deutschen Industrie. Reichsverband der Deutschen Industrie, Berlin 1924.
- Aufgaben und Tätigkeit der Kartelle in der Gegenwart. Reichsverband der Deutschen Industrie, Berlin 1925.
- Die Stellung des Verbandsgeschäftsführers in der Wirtschaft. Reimar Hobbing, Berlin 1926.
- Neue Beiträge zum Kartellproblem. Reimar Hobbing, Berlin 1929.
- Wirtschaftsgestaltung als geistiges und kulturelles Problem. Quelle & Meyer, Leipzig 1930.
- Carl Duisberg, ein deutscher Industrieller. Dux-Verlag, Berlin 1931. (mit Heinrich Gattineau)
- Zur Neuordnung der gewerblichen Wirtschaft. In: Die nationale Wirtschaft. 2. Jg., Heft 6, 5. Juni 1934, S. 201–203.
- Der Weg zum Reichsverband der Deutschen Industrie. Deutsche Industrieverlags-Gesellschaft, Köln 1956.
Literatur
- Fischer, Wolfram: WASAG. Die Geschichte eines Unternehmens 1891-1966. Berlin: Duncker & Humblot, 1966, Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 4.
- Georg Wenzel (Bearb.): Deutscher Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten. Ein Nachschlagebuch über 13.000 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg/ Leipzig/ Berlin 1929, Spalte 925. (Digitalisat)
- Walther Herrmann: Herle, Jakob. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3-428-00189-3, S. 625 (Digitalisat).
- H. Scharp: Jacob Herle zu seinem 70 Geburtstag. In: Der Weg zum industriellen Spitzenverband. 1956.
- Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Bd. 1.
- Lebensbilder aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Jg. 1955–57, 1960, S. 107–109.
Weblinks
- Jacob Herle im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- Literatur von und über Jacob Herle im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht, 1. Jahrgang 1933/34. Hrsg. von Hans Frank. (München, Berlin, Leipzig: Schweitzer Verlag), S. 254.
- ↑ Deutscher Reichsanzeiger vom 10. Juli 1935, Nr. 158, p.6; ebd. vom 23. Dezember 1936, Nr. 299, p.6.
- ↑ Der Eher-Verlag war der Zentralverlag der NSDAP und wurde vom NSDAP-Reichsleiter für die Presse Max Amann geleitet. Auflagenstarke und heute dem Namen nach noch bekannte Veröffentlichungen waren das Buch Mein Kampf und der Völkische Beobachter.
- ↑ Bundesarchiv R 9361-VII KARTEI 98 2365: NSDAP-Aufnahmeantrag von Dr. Jakob Herle.
- ↑ Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/15090727
- ↑ Rosenkötter, Bernhard: Treuhandpolitik. Die "Haupttreuhandstelle Ost" und der Raub polnischer Vermögen 1939-1945, Essen: Klartext-Verlag, 2003, S. 89 f.
- ↑ Mitteilungsblatt der Haupttreuhandstelle Ost vom 25. Juni 1941, Berlin, Nr. 5, S. 232 (https://d-nb.info/014681005); Bundesarchiv R144/137 Tageskopien der HTO, 1.-3. Juli 1942: Schreiben des Leiters der HTO Winkler vom 1. Juli 1942 über das Ausscheiden von Dr. Herle bei der HTO zum 30. Juni 1942 und seine zukünftige Tätigkeit bei den Unternehmen Pulverfabriken Köln-Rottweil AG und Westfälisch Anhaltinische Sprengstoff AG.
- ↑ Aus polnischer wird deutsche Wirtschaft. Dr. h.c. Winkler über die Haupttreuhandstelle Ost, in: Deutsche Zeitung im Ostland (Riga), Nr. 141, 23. Dezember 1941, S. 8. Aus der Tätigkeit der HTO, in: DAZ Nr. 620, 27. Dezember 1941, S. 4.
- ↑ Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Band II: 1941-1943, Berlin: Akademie-Verlag, 1985, S. 398, Anm. 25.
- ↑ Fischer: WASAG. Die Geschichte eines Unternehmens 1891-1966, S. 248.
- ↑ Bundesarchiv DO 1 110378 Herle: Karteikarte 1013, ausgestellt am 8. März 1950.
- ↑ Bundesarchiv DO 1 110378 Herle 2 Rückseite: Karteikarte des Untersuchungsorgans Waldheim W/162/50/925/201, ausgestellt am 10. Mai 1950.
- ↑ Bundesarchiv DO 1 110378 Herle Rückseite: Vermerk zur Entlassung auf Rückseite der Karteikarte.
- ↑ Beschluss des Kammergerichts vom 15. März 1954, 1 RHE AR 7/54 (PDF; 262 kB).
- ↑ Fischer: WASAG. Die Geschichte eines Unternehmens 1891-1966, S. 246.
- ↑ a b Hoppenstedt: Leitende Männer der Wirtschaft, 1957/58, S. 357.
- ↑ Herrmann, Walther, „Herle, Jakob“, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 625 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/.html
- ↑ Nord-Holland Archiv in Haarlem (Niederlande), Bürger Registrierung Ehen burgerlijke stand van de gemeente Amsterdam, Archiefdeel van (dubbele) registers van huwelijken v..., Amsterdam, Archiv 358.6, Inventarnummer 2181, 19-06-1916, Huwelijksakten van de gemeente Amsterdam, 1916, Archivnummer Reg. 4E fol. 4.
Personendaten | |
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NAME | Herle, Jacob |
ALTERNATIVNAMEN | Herle, Jakob |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Wirtschaftsfunktionär |
GEBURTSDATUM | 25. Juni 1885 |
GEBURTSORT | Erkelenz im Rheinland |
STERBEDATUM | 8. September 1957 |
STERBEORT | Erkelenz im Rheinland |