Idyll
Der Begriff Idyll (n., von altgriechisch εἰδύλλιον eidýllion, ursprünglich „Bildchen“, dann „kleines Gedicht“), auch Idylle (f.), bezeichnet umgangssprachlich ein harmonisch verklärtes ländliches Leben. Man meint damit meist ein Bild oder einen Zustand, die auf den Betrachter beschaulich und friedlich wirken. Gestellte reizvolle Landschaftsaufnahmen, die häufig Burgen, Schlösser und einprägsame Naturobjekte oder Kulturlandschaften bildlich oder graphisch darstellen und in denen störende Objekte ausgeblendet bleiben, werden als Postkartenidylle bezeichnet.
Daneben bezeichnet die Idylle (oder das Idyll) eine Gattung der Epik, die ebenso wie die umgangssprachliche Verwendung auf die Idylle (Εἰδύλλια Eidýllia) des altgriechischen Dichters Theokrit zurückgeht, in denen er in Form von Hirtengedichten (Bukolik) das ländliche Leben zum Hauptgegenstand machte. Die literarische Gattung der Idylle muss von dem gattungsübergreifenden Phänomenbereich des Idyllischen unterschieden werden, der in der Regel ein Komplex aus Merkmalen darstellt.[1]
Geschichte der literarischen Gattung der Idylle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Römische Dichter wie Vergil und Catull oder der englische Dichter Tennyson haben diese Dichtung nachgeahmt. In der deutschsprachigen Literatur hatte die Idylle im 18. Jahrhundert eine Blütezeit. Besonders einflussreich war etwa Salomon Gessner.[1] Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts begann man mit der Umdeutung der Idylle, teils mit gesellschaftskritischer Absicht wie bei Johann Heinrich Voß, teils mündend in eine bürgerliche Idylle wie in Johann Wolfgang Goethes Hermann und Dorothea (1797) oder gar ganz in ein städtisches Milieu verpflanzt wie in Johann Martin Usteris De Herr Heiri oder in Jonas Breitensteins Der Her Ehrli. Zur literarischen Idylle gehört der Topos des locus amoenus, des lieblichen Ortes, oft an einem abgelegenen Quell oder in einem ruhigen Hain gelegen. Eng verbunden ist die Idylle – zumindest in modernen Imagination – mit der Vorstellung eines mythischen Arkadien, einem Ort jenseits aller gesellschaftlichen Zwänge.
Johann Heinrich Voß löste den Begriff von der Bindung an das Landleben und vor allem vom Stimmungsgehalt der „heilen Welt“ und des harmonischen Miteinanders. Seine Idyllen stellen menschliche Grundhaltungen wie Liebe, Zufriedenheit, aber auch Aberglauben oder Freiheitsstreben in leicht überschaubaren Szenen dar. Mit seinem „ländlichen Gedicht in drei Idyllen“ Luise bahnte er den Weg zum Klein-Epos, das mit Goethes Hermann und Dorothea begann und sogleich den Gipfel erreichte. Im Unterschied zur statischen Idylle schildert das Klein-Epos ein Geschehen, in dem ein unvorhergesehenes Ereignis zu neuen Entwicklungen führt.[2]
Innerhalb der amerikanischen Literatur hat die Idylle mit der Amish Romance Novel seit den 2000er Jahren eine gewisse Wiederbelebung gefunden.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Carsten Behle: „Heil dem Bürger des kleinen Städtchens“. Studien zur sozialen Theorie der Idylle im 18. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 2001, ISBN 3-484-36571-4 (Kurzfassung der Dissertation Justus-Liebig-Universität Gießen 2000, 413 Seiten).
- Jan Gerstner/Jakob C. Heller/Christian Schmitt (Hrsg.): Handbuch Idylle. Verfahren - Traditionen - Theorien. Stuttgart 2022.
- Jan Gerstner/Christian Riedel (Hrsg.): Idyllen in Literatur und Medien der Gegenwart. Aisthesis, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8498-1279-9. Leseprobe
- Karin Kluger: Der letzte Augenblick der hübschen Idylle: Rezeptionsästhetische und rezeptionsgeschichtliche Überlegungen zur Problematisierung der Idylle bei Wilhelm Raabe, UMI, Ann Arbor, MI 1999 DNB 956059244 (Dissertation Universität New York, 256 Seiten).
- York-Gothart Mix: Idylle. In: Dieter Lamping in Zusammenarbeit mit Sandra Poppe, Sascha Seiler, Frank Zipfel (Hrsg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Kröner, Stuttgart 2009, S. 393–402, ISBN 978-3-520-84101-8.
- Christian Schmitt: Labiles Gleichgewicht. Vermittlungen der Idylle im 19. Jahrhundert. Wehrhahn Verlag 2022, ISBN 978-3865258847.
- Helmut J. Schneider: Bürgerliche Idylle: Studien zu einer literarischen Gattung des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Johann Heinrich Voss. Bonn 1975, DNB 760673586 (Dissertation Universität Bonn 1975, 202 Seiten).
- Helmut J. Schneider (Hrsg.): Idyllen der Deutschen. Texte und Illustrationen. Insel, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-458-05031-0.
- Johann Heinrich Voß: Die kleinen Idyllen; herausgegeben von Klaus Langenfeld (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Nr. 416). Heinz, Akademischer Verlag Stuttgart, Stuttgart 2004, ISBN 3-88099-421-8.
- Gero von Wilpert: Stichwort „Idylle“. In: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5.
- Julia Wirxel: Idyllen in der zeitgenössischen Kunst (= Kunst und Kulturwissenschaft in der Gegenwart, Band 5), Athena, Oberhausen 2012, ISBN 978-3-89896-516-3 (Dissertation Universität Duisburg 2008, 392 Seiten mit Illustrationen, 24 cm).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Felix Knode: Literarische Anthropologie und empfindsame Idyllik. Zum Verhältnis von Literatur und Philosophie im Erzählwerk Friedrich Heinrich Jacobis. 1. Auflage. transcript Verlag, Bielefeld 2024, ISBN 978-3-8376-6858-2, S. 79–90.
- ↑ Johann Heinrich Voß: Die kleinen Idyllen; herausgegeben von Klaus Langenfeld (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Nr. 416). Heinz, Akademischer Verlag Stuttgart, Stuttgart 2004, ISBN 3-88099-421-8.