ADB:Mannhardt, Johann
[201] Leben. Er besserte mit seinem Meister z. B. die Kirchthurmuhr zu Gmund aus, versah selbe mit einem neuen Steigrad, und bemerkte, da er während eines Jahres täglich diese Uhr aufzog, bald gründlich ihre Mängel, welche der Lehrling aus eigenem Ingenium verbesserte. Darüber kam es zu Zerwürfnissen und M. machte sich 1821 als Geselle selbständig. Arbeit suchend und völlig mittellos kam er nach Miesbach zu einer Schlosserswittwe, welche neben diesem Gewerbe auch eines für Großuhrmacherei vereinigt hatte; M. sollte das darniederliegende Geschäft heben, hatte aber erst alle Werkzeuge neu zu machen. Hier erhielt M. im Sohn der Wittwe, welchen er in die Geheimnisse seiner Kunst einführte, einen Schüler. Endlich kam ein Auftrag für Egern am Tegernsee, wobei M. die Gelegenheit ergriff, ein Werk eigener Construction mit einem Gang und ganz abweichend von dem bisher bekannten System, auszuführen. Ein weiterer Zufall führte ihn mit dem Generalmauthdirector von Miller zusammen, welcher Mannhart’s Uhr in München zur Ausstellung brachte, wo selbe durch eine eigene Commission des polytechnischen Vereins geprüft wurde; ihr sachverständiges Urtheil rühmte die Vorzüge dieses in seiner Weise völlig neuen Werkes (vgl. Nr. 27 Kunst-Gewerbeblatt vom 16. Septbr. 1826). M. übersiedelte bald in die Stadt, wohin er eine neue Plombirmaschine mitbrachte, welche bei allen baierischen Zollämtern eingeführt wurde. Da in München das Thurmuhrengeschäft anfänglich sehr flau ging, begnügte sich M. bei seiner Vielseitigkeit mit anderen Arbeiten, griff überall zu und gewann den Ruf eines gewandten erfindungsreichen Kopfes. So lieferte er für den Thurm der ersten protestantischen Kirche (1833) die heute noch eines ausgezeichneten Rufes sich erfreuende Uhr, machte Fässeraufzüge in die Keller der Großbräuer und begründete endlich zu Anfang der vierziger Jahre in einem damals noch abgelegenen Stadttheile Münchens eine Werkzeug- und Maschinenfabrik und beschäftigte bald zahlreiche Arbeiter. Hier schmiedete der unermüdliche, rastlos thätige Mann neue Projecte, sann über den seltsamsten Problemen, verbesserte Hergebrachtes, in alle Phasen der Familie und des Staatshaushaltes eingreifend; das Großartigste stand oft hart an dem scheinbar Läppischen, Alles aber hatte Hand und Fuß, Zweck und Berechtigung; überall war der Reiz der Neuheit und einer bisher kaum geahnten Vereinfachung. Letzteres mit den allerprimärsten Mitteln zu erreichen und an Material und Stoff, also an Umfang und Schwere, Zeit und Raum zu sparen, gehörte überhaupt zu Mannhart’s Maximen. So construirte er neue Pressen für Teigwaaren, Farbmaschinen, Lithographie- und Torf-Pressen, Bratmaschinen u. A. Unter seiner Leitung wurden die eisernen Oberlicht-Dachstühle für die Pinakothek gefertigt. Seine verbesserten Werkzeuge gingen reißend ab; sogar für Maffei’s Maschinenfabrik lieferte M. Hammerwerk, Kammrad etc., besorgte die mechanischen Einrichtungen für den Wagenfabrikanten und Hofschmiedemeister Rathgeber, für den Mühlenbaumeister Schelsan und für das Staatsgut Schleißheim. Alle Lithographiepressen in der königlichen Steuercommission waren seine Arbeit, dazwischen liefen Maschinen für Münzprägestöcke, Eisengießereien, Zeughäuser etc. Mit dem Mechaniker Koch erbaute M. die erste rationelle Oelmühle in München und gewann den dafür ausgesetzten Regierungspreis; dann erfand M. einen mechanischen Webstuhl, dessen Kurbel von einem Kinde in Bewegung gebracht werden konnte, um zwei Ellen breite Tücher zu weben. In Mannhart’s zu einem Hammerwerk und einer Maschinenfabrik ausgedehnten Anstalt entstand auch der mächtige gußeiserne Dachstuhl für die Walhalla in Donaustauf. Schon damals dachte er an eine Maschinen - Flachs- und Hanf-Spinnerei, die M. zu „Louisenthal“ an der Mangfall mittelst einer Actiengesellschaft etablirte, welche sich jedoch damals nicht rentirte, alle Ersparnisse dieses Mannes verschlang und zuletzt, wie so manches andere Unternehmen, in welches M. rücksichtslos seine heißverdienten Kapitalien steckte, in die Brüche [202] ging. M. arbeitete sich aus diesen zerschellten Hoffnungen geschickt in die Höhe, indem er wieder zur Großuhrmacherei griff. Nachdem M. schon 1834 eine Uhr in dem (seither wieder abgebrochenen) Zeughause aufgestellt hatte, folgte 1842 sein epochemachendes, später noch vielfach verbessertes Werk für die Münchener Frauenkirche. Das durch eine eigene Commission feierlich abgegebene Gutachten trug seinen Namen neuerdings in die Welt, von überall liefen Bestellungen ein. M. ging nun auf Reisen, untersuchte die berühmtesten Thurmuhren in Deutschland, Frankreich, in ganz England und Italien. Er versorgte mit seinen Thurmuhren ganz Deutschland, die Städte und Bahnhöfe der Schweiz, sowie Böhmen, Ungarn, Mähren, Siebenbürgen, Moldau, Walachei (Galatz), Croatien, Holland (Utrecht), England (nach London, Liverpool und Manchester), Irland (2 Stück nach Dublin), Rußland, Griechenland, Italien (insbesondere 3 Werke nach Rom), Mailand, Venedig, Triest, Nordamerika, Mexiko, Valparaiso, Westindien, ja selbst Afrika und den äußersten Süden (Capstadt). Kurz nacheinander construirte M. ein Uhrwerk mit freier Pendelbewegung und nur zwei Rädern für das neue Rathhaus in Berlin und für den Vatican in Rom. Von allen Seiten kamen Auszeichnungen, Medaillen, Preise, Ehrendiplome, Mitgliedschaften und Titel. Darauf antwortete er wieder durch neue Constructionen von Pressen (für Buchbinder und Kupferdrucker), machte neue Eisenbahnbillet-Druck, -Datum und -Zähl-Maschinen, lieferte Riesen-Kaffeemühlen für Gasthöfe und Restaurants etc. Einen großen Triumph feierte M. auf der Pariser Industrieausstellung 1855, wo er mit etlichen seiner gelungensten Schöpfungen glänzte. Darunter war eine Eisenbahnwagenräder-Drehbank (abgebildet schon 1851 im Illustr. Kalender, Leipzig bei Weber, S. 112), welche an Regelmäßigkeit und Genauigkeit die ausgezeichnetsten Resultate sicherte, an Umfang und Gewicht aber kleiner war, als alle bisherigen Constructionen. Die Symmetrie der Bewegung, die Festigkeit des Hauptgestells und des Meißels ließen nicht das leiseste schadenbringende Schwingen und Zittern zu, was früher kaum durch einen ungeheuern Aufwand von Eisen und Gewicht zu vermeiden war. Dann zeigte M. eine Paralleldrehbank, bei welcher der Support also angebracht war, daß in jedem beliebigen Winkel selbstthätig gedreht werden konnte; auch war dabei der Reitstock in seiner ganzen Länge durch eine eigene Vorrichtung mit geringem Kraftaufwand ungemein fest zu spannen. Ferner eine kleine transportable Eisenbahnschienen-Abstoßmaschine, welche, durch Menschenhand bewegt, in kürzester Zeit eine rechtwinkelig abgestoßene Schiene lieferte. Außerdem hatte er daselbst noch neu construirte Schraubstöcke, eine Steinschneid- und -Hobelmaschine, deren jede, bei rechtem Betrieb, einem Industriellen allein schon eine gesicherte Reichthumsquelle zu werden versprach. M. war freilich nicht der Mann, die Früchte von seines Geistes Kindern einzuheimsen; ihn durstete nur nach neuen Problemen; statt das Gewonnene auszunutzen, begnügte er sich mit Privilegien, die er aber wieder vergaß oder nutzlos verschleuderte, um, wie der rastlose Glücksjäger seinem Idol, neuen Projekten nachzueilen, welche oft auch im Bereiche der Unmöglichkeit verliefen. Wer Mannhart’s Projekte durchblättert, denkt unwillkürlich an Lionardo da Vinci und dessen an Ludovico Moro gerichtetes Promemoria seiner Leistungen. So finden sich im Katalog der Pariser Exposition 6 Musketen verzeichnet, welche, wenigstens nach dem Stande der damaligen Gewehrfabrikation die große Ueberraschung boten, daß man sie zerlegen, die Theile beliebig untereinander mengen und sie ohne besondere Kennzeichen wieder zusammensetzen konnte. Es kam immer ein tadelloses Gewehr zum Vorschein. Natürlich brachte M. außer einer zur Papierfabrikation gehörigen Knotenmaschine nach Paris auch eine Thurmuhr mit zwei Hauptwerken, wovon eines die Viertel schlug, die Zeiger trieb, zum Schlagen selber auflöste und [203] (beinahe ein Perpetuum mobile) in jeder Minute sich selber wieder aufzog; das andere Werk schlug die Stunden, repetirte sie nach einer Pause auf einer dritten Glocke, zeigte nach den vier Seiten Stunden und Viertel und hatte im Ganzen – um dreißig Räder weniger als die gewöhnlichen Uhren! Mannhart’s Maschinen wurden für alle technischen Anstalten zu Lissabon und Florenz angekauft; er selbst aber erhielt ein Diplom, worin es hieß: M. sei einer jener Männer „welche mit Recht die Hochachtung der gebildeten Menschen aller Länder beanspruchen können“. Welch’ neuer Sporn für den Mann, der sich noch nicht befriedigt fühlte! Er sinnirte über einer neuen Uhr und stellte sie auch wirklich her, die mit der minutiösen Schärfe eines Thermometers arbeitete und die leiseste Temperaturdifferenz bei Nacht und Tag, im Winter und Sommer und in den verschiedenen Monatszeiten durch den retardirenden oder fördernden Einfluß des mehr erstarrten oder flüssigen Oels auf den Secundengang des Pendels dem Meister bemerkbar machte. Er konnte an seiner auf dem Isarthorthurm aufgestellten Uhr schon bei zwei Grad Temperaturunterschied den hundertsten Theil einer Linie als Schwingungsdifferenz ablesen. Noch mehr! M. erfand (ausgestellt zuerst im Februar 1868) eine Uhr mit zwei Rädern und einem, mittelst eines eigenen Antriebsmechanismus, ohne Zapfenreibung und Oele frei schwingenden Pendel – also mit einem Mechanismus, an dem sich nie etwas ändern kann, weshalb diese Uhr stets gleich geht. M. löste siegreich und mit einmüthiger Anerkennung eine Aufgabe, welche bisher immer „am Steigrad und an der Schmiere hängen geblieben war“. Auf den beiden Kunst-Industrie-Ausstellungen zu München 1869 und 1876 erhielten Mannhart’s Werke jedes Mal die schwerverdiente Prämiirung. In den 52 Jahren, welche M., zuletzt unter dem Titel eines „Stadtuhrmachers“ in München arbeitete, lieferte er bis zu seinem am 25. August 1878 erfolgten Tode über 1200 Thurmuhren nach allen Theilen der Welt. Das von diesem Original-Charakterkopf hier gezeichnete Porträt ist aber noch unvollständig, man muß wissen, daß M. nie eine nur halbwegs annehmbare Schulbildung genoß und mit Lesen, Schreiben und Rechnen zeitlebens auf gespanntem Fuße blieb. Auch hier half ihm sein instinktiver Genius, obwohl es ihm trotz aller später aufgewendeten Mühe doch unmöglich blieb, alle aus der Jugendzeit stammenden Lücken, Spalten und Schluchten zu überbrücken. Wie hätte sich wohl diese staunenswerthe Kraft entwickelt, wenn ihr rechtzeitig die richtige Bildung zu Theil geworden wäre.
Mannhart: Johann M., Mechaniker und Uhrmacher, geb. am 31. Aug. 1798 zu Bürstling bei Gmund am Tegernsee, Sohn eines Zimmermeisters, wuchs nach dem frühen Tode des Vaters ohne Lehre und Unterweisung auf, zimmerte als Kühbub im Sommer auf der Alpe, machte Kesselhänge und Flechtwerk, schnitt im Winter Holzschuhe und Oekonomiegeräth, machte Uhrkästen und Bienenstände und konstruirte für sich eine Drehbank. Mit der zerbrochenen Uhr eines Knechtes kam M. zufällig nach Gmund zu dem ländlichen Uhrmacher Deisenrieder, welcher den aufgeweckten Jungen gegen eine achtjährige Lehrzeit umsonst aufnahm; das Wenige was M. hier lernen konnte, entschied doch sein- Vgl. s. Biographie in Nr. 175 der Neuen Münchner Ztg. vom 24. Juli 1857. Schafhäutl, Geschichte der Uhren im Kunst-Gewerbe-Blatt 1864. Jos. Obermayr, Gesch. der Pfarrei Gmund, 1868. S. 589 ff. Sepp, Ludwig Augustus, 1869. S. 80 ff. S. Nekrolog in B. 249 Allg. Ztg. 6. Septbr. 1878.