Ostindische Spiegel-Bilder
Ostindische Spiegel-Bilder.
Während der slavische Osten in seinem Vorschreiten nach dem Westen der großen germanischen Kultur in letzterer selbst eine Krisis hervorruft und von ihr bekriegt wird, scheint man vor lauter Krieg und Krim die zu gleicher Zeit östlich vordringende Bewegung Rußlands zu übersehen. Erst neuerdings haben englische Blätter aus Indien betimmte Nachrichten darüber gebracht, die von einem gegen das englische Indien gerichteten russischen Heere erzählen und von Gesandten aus innern Reichen Asiens, die bei der englisch-ostindischen Regierung um Hülfe gegen Rußland bäten. Um dieselbe Zeit war ein Gesandter aus dem stolzen birmanischen Reiche angekommen, das die Indien beherrschende englische Kaufmanns-Compagnie neulich um seine besten Lande am Meere beraubt [95] hat. Der auf diese Weise um zwei Drittel seiner Macht gekommene birmanische Kaiser[1], zugleich einziger Kaufmann seines Landes, ließ sich durch seinen Gesandten wenigstens einen Hafen zurück erbitten, da er ohne Hafen nicht handeln könne. Die Engländer nahmen den Gesandten mit ungemeinem Pomp und ausgesuchter Höflichkeit auf, aber den Hafen, meinten sie, möchten sie lieber selber behalten, da nach der Theorie und Praxis der ostindischen Compagnie (an welche sich in dieser Beziehung alle guten Christen auf der Höhe der Bildung anschließen) Nehmen und Behalten seliger ist, als Geben. Kaiser und Volk von Birmanien, in ihren Existenz-Quellen, in ihrem Stolze auf’s Thödlichste verletzt, werden also wahrscheinlich wieder einen Krieg auf Tod und Leben anfangen müssen. Birmanien ist die andere Seite des englischen Ostindiens, während Rußland vom Westen über die kirgisischen Steppen, und die freie Tartarei und die große Bucharei herüber droht und mit einer ganzen Armee schon im Staate Kokan thut, als wenn es zu Hause wäre. Kokan ist einer der kleinen, schwachen Despotenstaaten, welche die großen Räume zwischen den englisch-ostindischen Nord- und russischen Südgrenzen spärlich ausfüllen und durch ihre unaufhörlichen Kriege und Revolutionen im Innern und nach Außen Handel und Gewerbe stören, so daß Rußland die Absicht haben soll, einen einzigen „ordentlichen," soliden, starken Staat daraus zu machen, der durch Anlehnung an oder Einverleibung in Rußland am Stärksten sein würde. Und dann wäre Rußland auf einmal getreuer Nachbar der ostindischen Compagnie. Scheint es doch nicht einmal den gefürchteten Staat Dost Mohamed’s, des Beherrschers der tapfern Afghanen, respectiren zu wollen. Wenigstens hat Letzterer gleich zwei Gesandte hinter einander zu dem englisch-ostindischen Landes-Director geschickt, ob er ihm nicht mit etwas Pulver und Blei und Soldaten unter die Arme greifen wolle.
Alles dies liegt noch weit im Felde, sogar sehr weit, denn zwischen England und Rußland in Asien dehnen sich noch beinahe europagroße Steppen und Gebirge, aber der Russe weiß mit Steppen umzugehen, und wer über den Balkan kam, fürchtet am Ende auch weder die Hinduku-, noch selbst die Himalaya-Gebirge. Und so viel ist gewiß, den Engländern geht die Sache jetzt schon nahe, und die in Ostindien ausgebrochene Russophobie (Russenfurcht) wirkt schon bis mitten hinein in die City von London, wo sich die Bureaux und Lagerhäuser der ostindischen Compagnie wie Königsschlösser und Festungen erheben, unter diesen Umständen denkt man billiger Weise an Ostindien, und sei es nur, um Sebastopol und deren leichengefüllte Sümpfe und Thäler sich einmal aus dem Sinne zu schlagen.
Ostindien! Wer macht sich in unserm kalten, magern, einförmigen Norden eine Vorstellung von Ostindien? Verwitterte Städte, in denen die erste Menschheit gewiegt ward, von denen noch Hunderte, noch Tausende der alten Tempel stehen, in denen einst die Muttersprache aller europäischen Nationen zu Ehren Brahma’s, Vischnu’s, Schiva’s, Mohadöh’s und unzähliger späterer und untergeordneter Götter erklang, Hunderte, Tausende von Tempeln, jetzt keine Götterhäuser mehr mit weißen und weisen Priestern, sondern Schlafstellen für Löwen, Tiger, Schakale und Werkstätten sonderbarer Insekten. Aber noch immer, wie vor Jahrtausenden, wiegt sich in unzähligen Teichen mit schwarzglänzendem Gewässer die Lotosblume zwischen riesigen Blättern, in denen einst die Götter saßen und träumten. Und zwischen den schönen, kupferfarbigen, langschwarzhaarigen, nur sehr spärlich und weiß verhüllten milden, geistig versunkenen Gestalten der Urbewohner tritt straff und stolz der rothröckige Engländer auf, gefürchtet, verehrt und angestarrt von den eingebornen Millionen als Werkzeug der Götter, welche die Erde und die Menschheit darauf für das Zeitalter des Verfalls und der Sünde vorbereiten wollen, Tief hinter Vorbauten zwischen seltsamen, glühenden, duftenden Blumen, und um sich her und in den Himmel hinein wuchernden Bäumen versteckte Strohhütten, am Tage von sengender, tödlicher Hitze und meilenweiter Todtenstille umlagert, des Nachts von Löwen, Tigern, Eulen und riesigen Nachtfaltern umbrüllt und umflattert, von Legionen Ahsen umkreischt, von heiligen, unverletzbaren Ochsen besucht, von Mördern aus Religion umlauert, den ganzen Salven der schwersten Gewittergeschütze umkracht und jede Minute zehn bis zwanzig Mal zwischen pechschwarzer Nacht bis über Mittagshelle erleuchtet, dann vom Sturme gepackt, der Häuser und Menschen und Vieh und tausendjährige Bäume wie lose Blätter mit sich durch die Lüfte reißt und Straßen der entsetzlichsten Verwüstung hundert Meilen weit in wenigen Minuten bahnt, auf der weiten Straße nach heiligen Orten vor Hunger niederstürzende Wallfahrer, weil sie aus Religion verweigern, das von Christen gebackene Brot, das man ihnen mitleidig reicht, zu essen, in ewigen Tod versunkene Andächtige, bewegungslos, wie das verwitterte Götzenbild, dann wieder Religion im unaufhörlichen, elastischen Tanze der schlanken, braunen, perlen- und shawlumflatterten Bajadere – das ist Ostindien. Hunderte vonn Meilen lang und breit in zauberischer, üppiger Naturfülle abgemagerte, zerlumpte Gestalten, matt und scheu mit dem Leibe und den Augen auf dem Boden hinkriechend, dann wieder prächtige, stolze, mit Gewerbe und Welthandel gefüllte, von allen europäischen und asiatischen Nationen wimmelnde Städte, deren Lagerhäuser, Läden und Schiffe sich im Weltmeere spiegeln, eine in London residirende Kaufmannsgesellschaft, die von da aus 120 Millionen Menschen auf dem gesegnetsten Stück Erde beherrscht und neuerdings dem stolzesten Kaiserthum Asiens noch ein paar Hundert der besten Quadratmeilen wegnahm, das ist Ostindien.
Zwanzig große Hauptflüsse mit mehr als 500 Armen von den innern Höhen ewigen Frühlings und von den höchsten Bergen der Erde[2] durch die üppigsten Zauber der nie ermüdenden Natur in unendlichen Windungen und Verbindungen herabströmend an Bäumen, Wäldern, Blumen, Thieren vorbei, die durch Schönheit, Wildheit, Duft, Größe, Farbengluth, Zahl, Gattung und Art die gelehrtesten Naturforscher in Verlegenheit setzen und alle Poesie und Romantik nordischer Völker zu farblosen Schatten abbleichen, das ist Ostindien. Das ist Ostindien in einem allgemeinen Bilder-Complex, als Ouverture, wenn man Alles anklingen läßt, ohne etwas auszuführen. Für Ausführung können wir uns natürlich blos auf einzelne, für sich bestehende Skizzen und Bilder beschränken.
Zuerst ein Wort über die merkwürdigste Erscheinung in der Geschichte, die Herrschaft einiger londoner Kaufleute über das herrlichste Land der Erde und 120 Millionen Menschen. Schon Alfred der Große, der zu Karls des Großen Zeiten, im 9. Jahrhundert, über England herrschte, ließ Schiffe für den Handel mit Ostindien bauen, doch brachten’s diese blos bis Syrien und Aegypten. Venedig und Florenz behielten noch den Welthandel bis nach Entdeckung des Weges um das Cap der guten Hoffnung, wodurch das damals weltseeberühmte Portugal König des Meeres und Lissabon Hauptstapelplatz der Waaren und Wunder Indiens ward. Die Engländer erwachten jetzt, und entflammt von den Schätzen des Indus und Ganges fingen sie an, nach einer Nordwestpassage zu suchen, die bekanntlich neuerdings durch das entdeckte Ende Franklin’s gefunden und zugleich tragisch wieder geschlossen ward. Franz Drake war der erste englische Weltmeerheld und zeigte, daß man den stillen Ocean ohne Gefahr in jeder Richtung durchkreuzen und mit den wilden, indolenten Bewohnern Indiens nach Willkür handeln könne. Zuerst versuchten dies englische Kaufleute über die Türkei, Syrien und Aegypten, nachdem sie 1594 die Königin Elisabeth bewogen, einen Vertrag mit dem Sultan abzuschließen. Doch ohne directen Handel mit Indien ließ sich nicht mit den Holländern und Portugiesen concurriren, so daß sich unter dem Earl George von Cumberland am 31. December 1600 eine besondere Compagnie zu diesem Zweck bildete, die von Elisabeth unter dem Namen „Ost-India-Compagnie“ Corporationsrechte bekam. Sie bestand aus 215 Personen mit einem Capitale von 72,000 Pfund Sterling in Actien zu 50 Pfund. Ihre erste Flotte segelte am 2. Mai 1602 ab. Neun Jahre später war diese Kaufmannsflotte bereits so stark, daß sie die portugiesische bei Surat schlug. Der Indien beherrschende Groß-Mogul bekam dadurch solchen Respekt vor den Engländern, daß er ihnen die bis dahin verweigerte Erlaubniß gab, in Surat, Ahmedabad, Cambaya und Yoga Handelsfaktoreien anzulegen. Jacob I. sandte 1614 einen Bevollmächtigten an den Hof des Groß-Moguls, welcher der Compagnie bestimmte Privilegien auswirkte, 1640 auch die Erlaubniß, in Madras ein Festungswerk zu erbauen. Doch [96] die Hauptquelle der englischen Herrschaft ging von dem bengalischen Meerbusen oder vielmehr von einem gewöhnlichen Chirurgus, Boughton, aus, der die Tochter eines Nabob (oder Stadthalters des Groß-Moguls) curirt hatte und dafür die Erlaubniß bekam, „frei zu handeln," Dieselbe Erlaubniß gab ihm ein anderer Nabob (von Bengalen) für geschickte Kuren, und dehnte dieselbe endlich auf alle Engländer aus. Durch die Revolution in England verfiel die Charte der Compagnie, aber Cromwell (1657) und Karl II. (1661) erneuerten sie wieder. Der lustige Karl bekam mit seiner portugiesischen Heirath die Insel Bombay an der indischen Westküste mit zum Brautgeschenk, aber er verkaufte sie an die Compagnie, die sie 1687 zum Sitz ihrer Regierung machten und eine Stadt an ihrem schönen Hafen bauten, die jetzt 300,000 Einwohner zählt.
Inzwischen hatten sich auch die Franzosen eingefunden und Pondichery gegründet. Die englische Compagnie, eifersüchtig, beschloß jetzt, den Franzosen zuvorzukommen und sich Land, das der Groß-Mogul nicht gern gab, zu nehmen. Durch die demüthigendste Unterwürfigkeit listeten sie dem Groß-Mogul die Erlaubniß ab, auch in Calcutta ein Fort zu bauen, und so errichteten sie Fort William (1698). Für den Export aus Indien gegen alle Petitionen bis zum Jahre 1832 „geschützt" und privilegirt, wurde die Compagnie schon zu Anfange des vorigen Jahrhunderts ein Ungeheuer von Reichthum und kaufte sich Soldaten, mit denen sie von den ringsum gewonnenen, festen Positionen sich keilförmig erobernd in das große keilförmige Land des Groß-Moguls eindrängte, hernach die sich zuspitzenden Linien der Keile auseinander nahm, und sie nach dem Meere rückwärts schob, so daß aus den Spitzen Peripherien von Halbcirkeln wurden. So machte man aus den spitzfindigen Eroberungen abgerundetes Recht, verschmähte es aber „von Gottes Gnaden" dranzufügen, da man meinte, mit dem bloßen Gelde und dessen Allgewalt auszukommen.
Im Jahre 1744 brach ein Krieg zwischen England und Frankreich aus, der in Ostindien von dem Napoleon der ostindischen Compagnie, Robert Clive, mit Waffen, Diplomatie und Geld (mit letzteren Cavalierwaffen zertheilte man die ostindischen Nabobs, um sie hernach zu beseitigen) zum entschiedenen Siege England ausgefochten ward.
Nach der Schlacht bei Plassy (23. Juni 1757) war die englische Herrschaft begründet. Mit Waffen, Bestechung und List breiteten sich die Engländer bald bis an den Fuß der schneebedeckten Himalaya-Gebirge und die furchtbaren Pässe von Kabul aus. Was Clive nicht gethan, übernahm sein Nachfolger Warren Hastings. Er marschirte gegen die Hauptstadt des Groß-Moguls, Delhi, der von revolutionären Mahratten, den Janitscharen Ostindiens, bedroht war, schlug und erschlug eigenhändig verschiedene Nabobs, machte den Groß-Mogul tributpflichtig, und erließ 1818 die famose Proklamation, daß es ihm unter dem Beistande des Allmächtigen gelungen sei, ganz Indien den in der City von London im Bureau arbeitenden Kaufleuten zu Füßen zu legen,
Nachdem die Franzosen (bis auf Pondichery) vertrieben, den Holländern Ceylon abgenommen, und mit Tippoo Saib der letzte der Groß-Moguls und ihre von Dschingis-Chan und Tamerlan herstammende, über Indien (seit 1519) und China ausgedehnle mongolisch-muhamedanische Herrschaft (gegen welche bekanntlich jetzt China revoltirt), wieder gebrochen war, verehren die 120 Millionen Bewohner in den entgegengesetzten Bramah- und Buddha-Kulten, unzähligen Sekten und muhamedanischen, wie verschiedenen christlichen Confessionen mehr als 1000 Gottheiten, aber nur einen Landesvater, die in der City von London residirende „moralische Person" der ostindischen Compagnie, das seltsamste Monstrum in seiner historischen Entstehung, seinen doppelten Direktoren und seinen Verhältnisse zur englischen Regierung. Es giebt in der ganzen Weltgeschichte nichts Aehnliches von Eroberung, Besitz, Art des Besitzes und Landesregierung.
Nachdem nun die ostindische Compagnie auch dem Kaiserthume Birmanien die ganze spitzige Mütze gewaltsam vom Kopfe genommen, mit der es beinahe 150 geographische Meilen lang den Ocean berührte und durch einen der gigantischsten Flüsse, den Ihrawaddi, Leben bis in das Innerste seines langgestreckten Landes bekam, ist dieser pomphafteste Staat Asiens ein kopfloser Stumpf, und das englische Ostindien aus dem dreiköpfigen Staate ein vierköpfiger mit den Regierungssitzen von Calcutta, Madras, Bombay und Rangoon und nach Rußland das mächtigste Reich Asiens geworden. Früher oder später (wahrscheinlich früher) werden die beiden Herren Asiens dort ebenso um die Oberherrschaft streiten, wie jetzt die kleine Halbinsel, die vor Russland liegt und man im gemeinen Leben Europa nennt, mittelbar und unmittelbar zu entscheiden such, wer künftig hier Hammer oder Ambos sein soll.
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Jetzt einen Besuch dem alten Indien, das noch in Tausenden von Trümmern und Tempel-Ruinen seine verknöcherten Hände aus dem Grabe in die jetzige Kultur emporstreckt. Einen der am Besten erhaltenen Buddha-Tempel finden wir in den dickumgrünten Trümmern der alten Stadt Halwad, in der Provinz Gujerat. Es war ein Haupt-Kultusort des Mahadöh, der von seinem himmlischen Throne stieg, um mit Menschen menschlich zu leben, und „mitzufühlen Freud’ und Qual“ und (nach Goethe) selbst die sündige Bajadere mit feurigen Armen in den Himmel zu tragen. Der Tempel bildet ein schwerfälliges, überdomtes Viereck mit einer Reihenfolge kleinerer Dome, deren elephantenköpfige Simse und Colonaden mit dem massiven Körper des Gebäudes den Eindruck des Schauerlichen und Erhabenen hervorrufen, zumal da ringsherum die grüne, blüthenglühende Natur in eben so tiefes Schweigen versunken liegt, wie der Tempel und die umhergestreuten Ruinengebirge. Nur wenn die Sterne am Himmel feurig aufblitzen und der kühle Nachtwind vom Meere her über das Land hinschreitet, wird es hier lebendig. Fledermäuse und große Nachtfalter flattern hinter den Säulen hervor, Elephantenheerden rauschen und krachen mit plumpen Füßen durch das Gebüsch, hinter dem Altare des Mahadöh, der noch immer mit beiden emporgehobenen Händen da steht, springt der bengalische Tiger hervor und blitzt mit wilden, rothglühenden Augen durch die Nacht, aus welcher das krachende Gebrüll des Löwen herandonnert. Dazwischen heulen Schakale und kreischen und toben Legionen von Affen, und in den Gewässern plätschern und spritzen scheußliche Alligatoren.
Der Tempel mit seinen vielen Buddha-Symbolen und Elephantenköpfen erinnert durchaus an die urältesten Tempelruinen [105] von Salselte, welche den alten, vielgötterigen Buddhadienst mit einem christlichen Deismus zu vereinigen suchten. Die Götter stiegen bei ihnen zu der Rolle von Heiligen herab. Auf den steinernen Altarwänden sitzen diese eingehauenen Heiligen zu Dutzenden wie Schneider auf ihren gekreuzten Beinen, versunken in andächtiges ewiges Nichtsthun und Nichtsdenken, die höchste Religiosität der Buddhisten. Zwischen den weißen, steinernen Figuren mit eingesetzten, silbernen Augen (ein schauerlicher Anblick, wenn vor diesen Augen das Licht der vor ihnen brennenden Lampe sich bricht) sitzt zuweilen eine größere schwarze, in welcher die Priester und Gläubigen die göttlichste Verkörperung der Gottheit sehen, ein Glaube, von dem man den weißen Amerikanern einen guten Theil eintrichtern sollte, damit sie in den Negern wenigstens Menschen achten lernen. In dem Tempel von Holwad machen noch zuweilen andächtige, bronzene Weiber und Kinder den silberäugigen Heiligen ihre Aufwartung und setzen ihnen Blumen und „Zuckerkant“ vor, sonst scheinen die Dschäns ziemlich dünn und spärlich geworden zu sein. Unter den vielen noch eifrig verehrten göttlichen Incarnationen treten besonders Kulte des Surya (Sonne), Buddhas, Krishnu’s und Bala-Rama’s hervor. Letzterer ist der Herkules Indiens, in dessen Verehrung eine Art revolutionärer Ermannung gegen den passiven, weichlichen Buddhismus gefunden wird.
Die großartigste alte Tempelstadt findet man einige Meilen von Cuttack, im Lande Gottes Bhobaneswar, zwischen dessen Ruinen noch 999 Tempel stehen (nicht einer mehr), deren Ursprung man weit vor Christi Geburt zurück verfolgen kann.
Diese seltsamen, höhlen- und backofenartigen Tempel mit feinem Schnitzwerk an den Eingangshallen, Löwen, Greifen und Elephanten, zerstreuen sich zwischen Deichen, Baum- und Buschwerk, Steinhaufen und verwitterten Säulen viele Meilen umher, so daß hier einst eine der riesigsten und prächtigsten Städte geblüht haben muß. Nach den Traditionen der Eingebornen wurde sie von einem mächtigen Rajah gebaut, der seine Unterthanen zwang, nichts zu thun als in den Pagoden den Göttern Andacht, ihm aber allein Steuern zu zahlen.
Ueber die Pagodenstadt stürmte verwüstend der Mongole im sechzehnten Jahrhundert, jetzt zieht der englische Soldat mit Weibern und Kindern über deren Ruinen und baut sich für die Nacht Zelte dazwischen auf. An die Stelle der alten indischen Gottheiten ist der englische Soldat der ostindischen Compagnie getreten, der mit seinen Zelten Civilisationsreisen in allen Richtungen des Landes macht und sich Wochen lang in seiner leichten Leinewandstadt zwischen den verfallenen Pagoden häuslich einrichtet.[3]
„Es ist herrlich, während der kühlen Jahreszeit unter den luftigen Zelten zu wohnen," schreibt man von dorther. "Die Tage sind zwar auch etwas warm, dafür aber die Nächte desto angenehmer. Die Sterne blitzen hell herab und wieder herauf aus den Wasserspiegeln unzähliger Teiche, auf welchen der kühlende Seewind mit riesenblätterigen Lotusblumen spielt, schneeweißen heiligen Lotusblumen, brennend rothen und den schönsten von allen, deren blasse Blüthen von rosigen Hauchen angeweht, der schönen Röthe reiner erglühender Wange der Unschuld gleichen. Daneben stieren silbergraue Pagoden-Ruinen in den lotusblumenreichen, glühenden Wassersternhimmel hinab. Aus dem Dickicht grunzen Bären, geifern mit gellem Schrei starrborstige Hyänen und musiciren in tausenderlei fremden Tönen allerlei raubgierige Thiere, die selbst den heiligen Ochsen nicht schonen, den sogar die Engländer noch nicht ungestraft verletzen dürfen. Wir schlafen unter diesem Raubgethier unter offenen Zelten, so daß wir tausend mal aufgefressen werden würden, wenn uns nicht ein stets brennendes Feuer und ein kleiner, couragöser Wachtelhund in Schutz nähme. Aber eines Nachts wurde ich doch mit nicht einem kleinen Schreck aus tiefem Schlafe durch ein furchtbares Grunzen und Schnauben dicht an meinen Ohren aufgeweckt. Ich schrie nicht schlecht nach meinem Ayah (Diener indischer Abkunft), der sofort herein sprang und mir verkündete, daß mich ein heiliger Brahminen-Bulle mit seinem Besuche beehre. Der Ochse stand eine Zeit lang ganz still und sah sich mit religiöser Würde um, nachdem er sich überzeugt haben mochte, daß wir nicht an seine Göttlichkeit glauben, drehte er sich mit mehr Grazie, als ich sonst lebendigem Rindfleisch zutraute, um und ging, indem er einige undeutliche Bemerkungen in [106] Form verschiedener Schnaub- und Grunztöne in den Bart zu murmeln schien.
„Diese Brahminen-Ochsen sind die größte Plage für uns, die wir sie nur gebraten lieben. Sie gehen, wohin sie wollen, und kommen zuweilen selbst in unsere Gesellschaftszimmer, niemand darf ihnen etwas zu Leide thun. Ein Herr, der unlängst einen tödtete, brachte Brahminen und Volk in Masse auf die Beine. Sie beruhigten sich nur, als das englische Gericht dem Schuldigen eine schwere Geldstrafe auferlegt hatte. In Jaggernaut, dem Brennpunkte indischen Priesterthums, giebt es für keinen Preis Kalb- ober Rindfleisch, und ein Engländer, der dort Beefsteak oder Roastbeef äße, würde vom Volke zerrissen werden.
„Die vielen Pilgrime nach Jaggernaut sterben zu Tausenden vor Hunger auf dem Wege, ehe sie Fleisch oder Brot von uns über ihre Lippen bringen. In Cuttack giebt es ein Hospital für diese Pilgrime, wo sie mit Reis versehen werden, so viel sie haben wollen. Etwas Anderes nehmen sie gar nicht an. Von dem Fanatismus und dem Märtyrerthum mancher dieser Wallfahrer könnte man haarsträubende Dinge erzählen. Ich sah einmal einem mit Schmutz bedeckten, zum Skelett abgemagerten Individuum zu, das den ganzen Weg nach Jaggernaut (über 300 englische Meilen von seinem Geburtsorte aus) dadurch zurücklegte, daß es Zoll für Zoll den ganzen Weg mit seiner eigenen Länge maß. Jedesmal warf er sich da, wo er mit dem Kopfe hingereicht hatte, mit den Füßen wieder an und legte so wörtlich die ganze Reise zurück.
„Jetzt laßt mich Euch erzählen, wie wir hier Weihnachten feierten. Ich ging am frühen Morgen hinaus in unsern Garten, eine bloße Abzäunung dessen, was hier die Natur gegärtnert, um mir einen frischen Blumenstrauß und frische Früchte für unser Mittagsessen zum ersten Feiertage zu pflücken: Orangen, Apfelsinen, Plantanen, Guaven, Ananas, schneeweißen Jasmin mit göttlich betäubendem Aroma, Rosen, Verbenen, Heliothropen und riesige glühende Blumen, die ich hier zum ersten Mal sah und noch mehr roch, ohne mich seitdem darum zu kümmern, wie sie der gelehrte Botaniker Hooker nennen mag. Gegen Mittag waren alle unsere Zelte und Bungalows (mit Stroh gedeckte extemporirte Hütten) auf das Ueppigste mit Blumengirlanden behangen. Auf dem Frühstückstische dufteten deliciöse Kuchen und Früchte, auf dem Mittagstische, der alle Offiziere und deren Frauen vereinigle, glänzte das gewaltigste Stück Roastbeef, zu welchem sich auch der rosinen- und gewürzreichste Riese von Plumpudding gesellte. Von Blumendüften mehr trunken, als vom Wein, durch die offenen Thüren warm und weich angeweht, von schwarzbraunen Dienern in leichten weißen Roben umgeben, umrauscht von Militärmusik und englischen Melodien, und spät in der Nacht uns spiegelnd in dem ringsum illuminirten, lotosblumenstrotzenden Deiche, auf welchem die Himmelslichter des Mondes und der Sterne erbleichten – so feierten wir hier Weihnachten!“
Das sieht von Weitem für die Vorstellung ganz herrlich aus, aber es giebt auch einen indischen Sommer und tausend andere Plagen, von denen wir hier uns nichts träumen lassen. „Von der Glühhitze, der wir hier im Juni ausgesetzt waren,“ schreibt derselbe Berichterstatter, „könnte man sich bei Euch nur einen Begriff machen, wenn man, wie die drei Männer der Bibel, direkt in einen feurigen Ofen ginge. Wir haben während der ganzen Zeit kaum des Nachts gespürt, daß wir leben, während der Tage vegetirten wir nur, und thaten nichts, als Thermantica (Mittel gegen die Wärme) und in Salpater gekühltes Pole Ale (blasses Ale, Bier) verschlucken. Wir lechzten hier mehr nach der untergehenden, als ihr für die aufgehende Sonne. Der Sommer ist hier für die Vegetation, was der Winter für Grönland. Alles versengt bis auf den letzten Grashalm, und die größten Flüsse werden zu einem steinharten, gebrannten, trockenen Bette. Luftdicht eingeschlossen in unsere dick mit Stroh gedeckten Bungalows waren wir den ganzen Tag über lebendig begraben. Von Nah und Ferne schwieg Alles todtenstill bis tief in die Nacht. Ich hätte oft Wunder was gegeben für ein einziges Geheul des Schakals oder ein Affengequiek. Nach Sonnenuntergang erhebt sich gewöhnlich ein erquickender Wind vom Meere her und dann schreit und brüllt und flattert und schwirrt es die ganze Nacht hindurch in Tausenden schrecklichen Mißtönen, und der große Frosch, der sich den Tag über in unser Putzzimmer versteckt, springt quakend und kraxend hinaus, um mit 10,000 Collegen Chor zu singen. In unserm besten Zimmer zu Cuttock logiren auch Sperlinge, und weiße Krähen schreiten gravitätisch mit steifen Beinen, wie gichtische Herren, auf unserem Frühstückstisch einher. Jeder Winkel ist den Tag über mit Fröschen angefüllt. Moschus-Ratten schießen in unsern Zimmern umher, als hätten sie alle Hände voll zu thun, und manchmal findet man während des Nachts einen schlanken, glatten Schlafcollegen in Gestalt einer Cobra die Capella (Schlangenart). Aber diese eben nicht sehr beliebten Beischläfer sind Götter gegen die Ameisen, Mosquito’s, die unsere Zimmer durchwimmeln. Jeder Tisch, jeder Stuhl, jedes Bettbein muß in einem Gefäße voll Wasser stehen, wenn uns erstere nicht alle Vorräthe und uns selbst aufzehren sollen, und gegen die Mosquito’s muß man sich in Kasten mit Thüren von Gaze einsperren, wenn man’s haben kann. Auch die Veranda, mit der hier jedes Haus versehen ist, hat ihre Bewohner, die keine Miethe zahlen. Eulen und Fledermäuse, geschwätzige Minah-Vögel und eine thätig Mosquito’s vertilgende, wunderliebliche, muntere Eidechse von hübschem Silbergrau mit rothem Schwanze. Auch darf ich die grausame Mauerwespe nicht vergessen. Sie sieht braun und schwarz aus, baut ihr Nest an Bilderrahmen, Stuhlbeine oder sonst an Orte, an denen sie Gefallen findet, und macht es in Form eines Taubeneies bis auf eine kleine Oeffnung fertig. Jetzt legt sie ihre Eier hinein, fliegt dann mehrmals aus und kehrt hierauf mit kleinen grünen Käfern zurück, deren sie etwa ein Dutzend lebendig in die Wiege ihrer Nachkommen mit einmauert, damit sie sich erst stärken können, ehe sie ihr Ei-Haus durchbrechen.
Als die Regenzeit mit fürchterlichen Gewittern kam, fanden wir eines Tages in dem noch trockenen Bett eines Flusses eine ganze Heerde halbverwes’ter Affen, kein seltener Fund hier, da sie und andere Thiere, wie Menschen, oft in Flußbetten, wo sie nach einem Tropfen Wasser suchen, verdursten und zu Mumien zusammentrocknen.
Und was dem Menschen in Indien sonst noch Alles passiren kann, darüber muß man die Briefläufer fragen, welche hier statt der Posten, Eisenbahnen und Telegraphen dienen. Sie gehören größtentheils der untersten Kaste, den Schuliahs oder Paria’s an, sind von der Regierung angestellt und wohnen durch das ganze Land hin in allen Richtungen an bestimmen Stationen. So laufen sie beinahe mit Schnellpostgeschwindigkeit Tag und Nacht ihre Touren ab, wo die nächsten sofort die Briefpackete, die nicht selten auch Uhren, Juwelen und sonstige Kostbarkeiten enthalten, in Empfang nehmen und ihre Station absolviren. Kein Wetter, kein Sturm, kein Strom, kein reißendes Thier hält sie auf, und wenn sie Einem des Nachts mit ihren Fackeln im Dickicht, das von giftigen und reißenden Thieren strotzt und diese beleuchtet, begegnen, kann man wohl behaupten, Lebensbilder von dem höchsten malerischen Effect gesehen zu haben. Die beiden Briefträger (denn es laufen deren allemal zwei) werden des Nachts von zwei Fackelträgern begleitet, welche mit ihren geschwungenen Feuerbüscheln fast stets die wilden Thiere, die von allen Seiten, Unten und Oben lauern, zurückscheuchen. Mit Stürmen, Strömen, Gewittern, Felsen, Sümpfen haben sie oft lebensgefährlicher zu kämpfen, doch neuerdings sind die Wege größtentheils so geregelt, daß man nicht mehr von so viel umgekommenen Briefläufern hört. Am Schlimmsten haben’s die Reisenden, die sich oft an diese Briefläufer anschließen müssen, um gewisse Orte zu erreichen. Als Beamte, denen eine gewisse Zeit vorgeschrieben ist, können sie ihren Schritt nicht nach der Kraft des Reisenden messen, so daß letztere nicht selten liegen bleiben und verschiedenen Raubthieren zur Beute werden.
Doch größere Schrecken drohen dem Menschen vom Menschen, als von der Natur. In vielen Gegenden hausen noch die Dacoits, d. h. Banden von je 30, 40 professionellen Räubern, Dieben und Mördern, welche des Nachts die Häuser der Wohlhabenden überfallen, ausplündern und deren Bewohner systematisch in einer Art von Religiosität todtmartern. Lord Dalhousie und Halliday, die obersten Gouverneurs Indiens, haben inzwischen ernstliche Schritte gethan, dieses furchtbare Uebel auszurotten. Sie haben durch eine der großartigsten Polizei-Untersuchungen Person, Wohnung und Signalement jedes Dacoit-Anführers ausfindig gemacht, um sich nach jedem Verbrechen ihrer Art an sie zu halten und für sie den Drei-Instanzen-Prozeß aufzuheben, so dass der Schuldige nach der ersten Verurtheilung sogleich gehangen werden kann.
Ein noch entsetzlicheres Uebel sind die Mörder aus Profession [107] und Religion, die Moplahs, deren es allein an der malabarischen Küste über 100,000 geben soll. Es sind von Hause aus wechabitische Muhamedaner, welche in absoluter Sinnlichkeit fest an die schönen Houri’s glauben, in deren Schooße sie sofort nach ihrem Tode in Ewigkeit schwelgen sollen. Sie kennen daher nicht nur keine Todesfurcht, sondern suchen oft den Tod aus demselben Triebe, der sonst zur Liebe treibt. In wollüstiger Aufregung ziehen sie ihre Messer, ermorden den ersten, besten Hindu und lassen sich dann ruhig verurtheilen und hinrichten. Man findet sie in der Regel heerdenweise beisammen. Die Sepoys (englische Soldaten von Eingebornen rekrutirt) sind nie gegen sie zu gebrauchen, weniger aus Feigheit, als Aberglauben. So kann man ihnen blos mit englischen Soldaten beikommen, von denen in der Regel eben so viel fallen, als Moplahs da sind. So wie sie eine Salve bekommen haben, springen sie mil brauner, nackter Brust in die Bayonnette hinein, indem sie das lange Messer mit Wucht und Sicherheit in das Gehirn des Soldaten hineinschleudern. Die Regierung von Malabar hat jetzt auch Maßregeln getroffen, diese wahnsinnigen Fanatiker unschädlich zu machen. Jeder Ort ist für seine Einwohner verantwortlich gemacht worden, so daß die Magistrate scharf aufpassen und die Schuldigen ausliefern müssen, die nicht mehr gehangen, sondern verbrannt werden sollen. – Die Zerstörung des Körpers durch Feuer soll dem überlebenden Moplah den wollüstigen Aberglauben ausbrennen, daß er direkt aus dem irdischen Tode in sein Paradies fliege.
So wird sich die westliche Civilisation auch in Ostindien und darüber hinaus bis China fort- und durchsetzen, zumal nachdem sie durch Krisen und Kriege mit dem Osten, materielle und moralische Niederlagen sich gezwungen gesehen haben wird, ihre eigenen dünkelhaften Vorurtheile, ihre mittelalterlichen Barbareien und ihre geldmachende Habgier abzulegen und einen neuen Adam anzuziehen.
- ↑ Wir werden ihn und sein Land nächstens durch „birmanische Spiegel-Bilder“ weiter kennen lernen.
- ↑ Nach Dr. J. D. Hooker, dem neuesten Forschungsreisenden in Indien, besonders durch den Himalaya, ist nicht mehr der Dawalagiri (27,600 Fuß hoch), sondern der im wahren Centrum der Himalaya-Gebirge sich 28,178 Fuß hoch erhebende Kangschan-junga der höchste Berg der Erde.
- ↑ Kleine militärische Züge begleiten und unterstützen die Civilisation und die Civil-Beamten, welche Steuern eintreibend durch die Lande ziehen, wenigstens da, wo die Gottheit der Kraft Bala Rama mehr verehrt wir, als die entmannenden buddhistischen Gottheiten. Diese englischen Civil-Aemter, deren Besetzung bis jetzt ein Privilegium der Direktoren in London ist, sollen, besonders auf Anregung Macaulay's, der allgemeinen Concurrenz des Verdienstes eröffnet werden, worüber in England freudige Aufregung herrscht, da diese Stellen in der Regel bald mit einem jährlichen Einkommen von 10,000 Pfund und mehr in's freie Privatleben zurückführen, um andern Steuereintreibern Platz zu machen. Wie über den Tausenden von Leichen vor Sebastopol das aristokratisch-nepotistische Militärsystem Englands zusammenbrach, wird in Indien ein nicht weniger scheußliches Privilegium endlich fallen.