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Killer in Vilnius vor Gericht

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Der frühere Sowjetoffizier Konstantin Nikulin ist wegen Mordes angeklagt.
Der frühere Sowjetoffizier Konstantin Nikulin ist wegen Mordes angeklagt. © getty

Vor 20 Jahren verübte eine Todesschwadron ein Massaker an litauischen Grenzern – jetzt werden die Bilder der Bluttat wieder lebendig. Denn nun muss sich der mutmaßlichen Täter vor Gericht verantworten.

Bei der Zollstation in Medininkai, einem winzigen Ort an Litauens Grenze zu Weißrussland, stehen sieben Marmorkreuze. Sie erinnern an ein Massaker, das hier vor fast 20 Jahren begangen wurde: Elitesoldaten der berüchtigten sowjetischen Omon-Einheit überfielen die unbewaffneten Grenzwächter und ermordeten sieben Männer, die ihren freiwilligen Dienst für das um seine Unabhängigkeit ringende Litauen versahen. Jetzt werden die Bilder der Bluttat wieder lebendig, denn einer der mutmaßlichen Täter muss sich nun vor einem Gericht in Vilnius verantworten.

Vor drei Jahren hatte die lettische Polizei den damals 40-jährigen Konstantin Michailow festgenommen und an Litauen ausgeliefert. Er wird beschuldigt, unter seinem früheren Namen Nikulin als in Riga stationierter Omon-Offizier bei dem Überfall auf den Grenzposten am 31. Juli 1991 zumindest zwei der Opfer erschossen zu haben.

Er selbst bestreitet dies: er sei an jenem Tag gar nicht im Dienst gewesen. Litauens Ankläger halten seine Schuld für erwiesen und fordern lebenslange Haft. Die Hinterbliebenen verlangen strenge Strafen: „Wäre es möglich, würde ich ihm die Todesstrafe wünschen“, sagte Jolanta Orlaviciute, die Tochter eines der Toten, dem Nachrichtendienst BNS. „Das war nicht nur ein Verbrechen gegen die Opfer, sondern gegen den litauischen Staat. Unsere Wunden heilen nicht, und er sitzt auf der Anklagebank und grinst.“

Das Massaker fiel in den Zeitraum, in dem Litauen seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt, Moskau diese aber nicht anerkannt hatte. Die Baltenrepublik litt unter einem von Sowjetchef Gorbatschow verhängten Warenboykott, deshalb blühte der Schmuggel von Lebensmitteln und Benzin. Litauen versuchte, dies mit freiwilligen Grenzwächtern zu unterbinden – für Moskau eine weitere Provokation. Viele der Posten wurden überfallen und oft verprügelt.

Nicht so am 31. Juli. „Wir saßen in unserer Hütte, da stürmte die Truppe herein“, berichtete später Tomas Sernas, der als einziger das Attentat schwer verletzt überlebte. „Einer der Soldaten richtete die Waffe auf mich und brüllte: Hinlegen!“ Dann hörte er das Klicken der Magazine, einen Körper, der schwer auf den Boden fiel, „und dann explodierte alles in einem Schlag“.

Ob der Überfall ein Racheakt war, ob er bewaffneten Widerstand provozieren sollte, um dann die Unabhängigkeitsbewegung als „Aufruhr“ brandmarken und niederkämpfen zu können, wer den Auftrag für die Ermordung der Unbewaffneten gab – all das ist immer noch ungeklärt und kann auch durch den Prozess in Vilnius nicht ausgeleuchtet werden. „Ich würde lieber die Leute auf der Anklagebank sehen, die das Verbrechen angeordnet haben“, sagt Alyte Mustekiene, die Witwe eines der Hingerichteten.

Kreml schützt die Täter

Doch über die Verantwortlichen hält auch heute noch der Kreml die Hand. Auch die Auslieferung von drei namentlich bekannten Omon-Offizieren, die der Todesschwadron angehört haben sollen, verweigert Moskau. Nun erwägt die litauische Justiz, gegen sie ein Verfahren in Abwesenheit einzuleiten, um eine Verjährung der Untat zu verhindern.

Damals fanden Helfer am nächsten Morgen sechs Leichen, ein siebter Mann starb drei Tage später im Krankenhaus. Tomas Sernas, damals 29, ist wegen seiner Verletzungen heute noch an den Rollstuhl gefesselt. Nach langer Rehabilitation lernte er wieder sprechen, studierte Theologie. Am Grenzposten in Medininkai steht auch ein hölzernes Mahnmal mit einem trauernden Christus, sieben Schusslöchern und einem achten, das nur angedeutet ist. Das ist für die Kugel, die Sernas nicht tötete.

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