Air France ohne Pilot
Streik, Chaos und ein gestürzter Chef: Die französische Fluggesellschaft ist in der Krise - und verliert zunehmend den Anschluss an ihre Konkurrenten Lufthansa und British Airways.
Der Streik des Air France-Personals am Montag und Dienstag war gut gewählt: Zehntausende von Franzosen wollten in dieser Maiwoche mit gleich zwei Feiertagen verreisen. Viele kamen nicht einmal über den Pariser Flughafen Roissy hinaus. Dass es in den langen Warteschlangen nicht zu Tumulten kam, ist wohl einzig dem Gewöhnungseffekt zu verdanken: Seit Februar streiken die 47.000 Air-France-Bediensteten schon zum 13. Mal für eine Lohnerhöhung von sechs Prozent. Die Direktion will die auf vier Jahre strecken. Dagegen sind namentlich die Piloten, die zu den bestbezahlten der Welt zählen: Ein erfahrener Bordkommandant verdient brutto rund 20.000 Euro im Monat.
Air France-KLM-Vorstandschef Jean-Marc Janaillac platzte nach wochenlangen fruchtlosen Verhandlungen der Kragen: Er setzte im April eine betriebsinterne Abstimmung über seinen Tarifplan an, wobei er den Ausgang mit seinem eigenen Mandat verknüpfte. Doch die Piloten sind intern weniger isoliert, als Janaillac annahm: Am Freitag lehnten 55 Prozent der Angestellten die neue Lohnskala ab. Der Konzernchef kündigte daraufhin umgehend seinen Rücktritt zum 15. Mai an.
Air France schlittert damit führungslos in die schwerste Krise seit ihrer Fusion mit der niederländischen KLM im Jahr 2003. Im vergangenen Geschäftsjahr hat Air France-KLM zwar noch einen Gewinn ausgewiesen; dieser ging aber vor allem auf die starke Leistung des holländischen Partners zurück. Air France allein hat im ersten Quartal 2018 einen Verlust von 269 Millionen Euro eingeflogen – und das trotz eines weltweit steigenden Passagieraufkommens. Die wiederholten Streiktage gehen ebenso ins Geld wie die steigenden Kerosinpreise.
Die Pilotengewerkschaft SNPL wirft der Direktion aber auch Unfähigkeit vor. Janaillac ist wie seine Vorgänger – deren drei wechselten sich seit 2011 ab – ein ehemaliger Staatsfunktionär. Er galt als fast so hochmütig wie der selbstherrliche SNPL-Leiter Philippe Evain.
Das Duell dieser Egos wurde nun von Gewerkschaften entschieden, die in der internen Abstimmung die Nein-Parole herausgegeben hatten. Wie angespannt das Betriebsklima bei Air France ist, hatten 2015 schon Personalvertreter bewiesen, als sie mehreren Direktoren das Hemd vom Leib rissen und sie zwangen, sich mit einem Sprung über Eisengitter in Sicherheit zu bringen.
Die KLM-Manager in Amsterdam murren immer lauter, bisher aber ohne jeden Erfolg. Kapitalmäßig haben sie nichts zu sagen, während der französische Staat faktisch mehr Einfluss hat, als es sein Kapitalanteil von 14,3 Prozent glauben macht. Andere Air- France-Partner wie Delta Air Lines und China Eastern halten je 8,8 Prozent der Anteile.
Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire rief die Belegschaften von Air France am Sonntag zur Besonnenheit auf und warnte sie: „Wenn die Gesellschaft die nötigen Anstrengungen für ihre Wettbewerbsfähigkeit unterlässt, wird sie verschwinden.“ Er verwies auf andere Fluggesellschaften wie Alitalia, Swiss oder Austrian, die ihre Unabhängigkeit verloren hätten.
Unbestreitbar sei, dass Air France gegenüber seinen direkten Konkurrenten immer mehr ins Hintertreffen gerate, gibt der Luftfahrtexperte Gérard Feldzer zu bedenken. Und wer nicht ganz vorne dabei sei, werde in Europa rasch von der Konkurrenz der Billiganbieter und Golf-Airlines überflügelt. Air France hatte nach der Übernahme von KLM vorübergehend den größten Umsatz aller Airlines ausgewiesen. Seither verliert sie in Europa aber Marktanteile. Während Lufthansa heute rund 130 Millionen Passagiere im Jahr befördert, kommt Air France-KLM nur auf 100 Millionen.