Selflove? Warum? Wenn jeder nur an sich denkt, ist an niemanden gedacht. Wir müssen das individuelle Wohl wieder stärker in Beziehung zum Wohl der Allgemeinheit setzen und Armut, Glück, Klimakrise und Demokratie mehr denn je zu politischen Kampfzonen erklären. Für ein gutes Leben für alle.
Jean-Philippe Kindler ist auf der Suche nach neuen gesellschaftlichen Konzepten. Er geht mit sich, seiner Generation und den Linken genauso hart ins Gericht wie mit den Konservativen und dem Kapitalismus – ein wütendes, inspirierendes, langersehntes Buch.
«Auf den ersten Blick scheinen junge Menschen ungemein politisch zu sein. Sie sind sprachsensibel, sie sind rassismuskritisch, sie geben bußfertig Beichte über ihre unverdienten Privilegien ab. Sie sind laut Tinder-Biografie äußerst empathisch und kennen ihren Persönlichkeitstyp, sie ernähren sich vegan und verzichten aufs Fliegen ... Jene Konzepte individueller Glücksmaximierung scheinen aber nur auf den ersten Blick ein kulturelles Gegenprogramm zur neoliberalen Anforderung der Selbstoptimierung zu sein. Denn auch in den unzähligen Aufforderungen sich selbst und den unperfekten Körper zu lieben, seine Mitmenschen korrekt und sprachsensibel anzusprechen, sich nachhaltig und emissionsarm zu verhalten, blitzt die Obsession mit dem eigenen Selbst ganz deutlich auf.» Jean-Philippe Kindler
Ich habe wahrlich nicht wenig (populärwissenschaftliche) Literatur zu diesem und verwandten Themen gelesen. Dennoch hat mich lange kein Buch derart beeindruckt wie dieses: Jean -Philippe Kindler schreibt hart, manchmal zynisch, oftmals hörbar erbost, aber dabei unglaublich pointiert und lakonisch über eine entpolitisierte Gesellschaft, die den neoliberalen Glauben an sozialen Aufstieg durch Leistung verinnerlicht hat und die gerade zu stoisch festhält an einer Politik der Individualisierung, die die Schuld beim Einzelnen sieht und sucht (etwa im Kontext Klimapolitik), ohne dabei auf eine nötige Systemkritik einzugehen.
Kindler brilliert nicht nur mit einer gestochen scharfen Kapitalismuskritik, durch gut gesetzte Vergleiche ("Am Ende gibt es nämlich eine große Gemeinsamkeit zwischen den Versprechen der liberalen Demokratie und Sanifair-Gutscheinen auf Autobahntoiletten: Beides basiert im Kern darauf, nicht eingelöst zu sein werden." ), sondern auch mit der treffenden Verortung dieser immerwährenden ermüdenden linken Grabenkämpfe, die sich nicht nur auf europäischer, Bundes- und Landesebene beobachten lassen, sondern die ich selbst auch im eigen Mikrokosmos auf etwa hochschulpolitischer Ebene oder im aktivistischen Bereich bei linken Plenar in welcher Form auch immer erlebe. Kindler hält "den Linken" , und damit auch sich und seiner Generation, gekonnt den Spiegel vor. Und ehrlicher Weise habe auch ich das ein oder andere Mal ertappt beim Lesen aufgeschaut und erstmal eine Weile über das Geschriebene (und vor allem ganz viel über mich selbst) nachgedacht.
"Es ist Ausdruck einer unsäglichen Arroganz, dass mittlerweile in vielen linken Kreisen die Auffassung herrscht, die deutsche Boomer-Bevölkerung habe erst mal alle neuen sprachlichen Codes zu lernen, bevor man sie in die eigenen Kämpfe mit einbezieht. Wenn Linke großen Wert auf Verbündetenschaft legen, dann muss die intellektuelle Leistung erbracht werden, dass man sich auch mit denjenigen zu verbünden hat, die einem vielleicht nicht jeden Dienstag im Judith-Butler-Seminar begegnen oder das Geld haben, sich im Coworking Space den großen Hafermilch-Cappuccino für fünf Euro zu leisten."
Ich nehme ganz viel mit. Vor allem viel Stoff für Selbstreflektion und auch ein neues Quäntchen Hoffnung und Motivation, "eine massentaugliche Staatskritik zu entwickeln und sich nicht länger damit zufrieden zu geben, sich ACAB auf die Wade zu tätowieren oder bierschwanger in der linken Stammkneipe die Internationale zu singen". ;)
Ein differenziertes und kluges Plädoyer für mehr Klassenbewusstsein, das ich rundum empfehlen kann.
Klassenkampf? - Ohja, aber bitte nicht so! Eine "neue Kapitalismuskritik" ist das ganze keineswegs.
Kindler sieht Identitätspolitik als Feindbild von "wahrer" Kapitalismuskritik und "echtem" Klassenkampf und versteht leider nicht so viel davon, wie einzelne (als von ihm verstandene) identitätspolitische Themen wie z.B intersektionaler Queer-Feminismus oder Anti-Rassismus & Anti-Kolonialismus überhaupt erst erklären, warum und wie genau Kapitalismus und Klassenverhältnisse aufrecht erhalten werden. Patriarchale, koloniale und rassistische Re/Produktionsverhältnisse stellen aber eben nicht nur einen Nebenwiderspruch dar, sondern sind als Hauptwiderspruch zu verstehen! Ich möchte diesbezüglich den neuen Band von Friederike Beier ("Materialistischer Queer-Feminismus") empfehlen.
Weitere Anmerkungen:
S. 28: Monopoly wurde übrigens nicht 1930 von Darrow erfunden, sondern bereits 1902 von Elisabeth "Lizzie" Magie Philipps unter dem Namen "The Landlord's Game" als antikapitalistisches Spiel entworfen.
S. 104: "Ich liebe Amazon und ich finde es wahnsinnig albern, wenn Linke versuchen, Menschen davon zu überzeugen, dass Amazon boykottiert gehört." - Bro, wie kannst du Klassenkampf fordern und dann moderne Sklaverei ausblenden?!?!
S. 126: Gefühle sind materiell wahrnehmbar, aber auch politisch und gesellschaftlich organisiert und inhärent in patriarchale Geschlechterverhältnisse und kapitalistische Re/Produktionsverhältnisse verankert. Hierzu kann ich Sara Ahmeds Werke "The cultural politics of emotion" oder "Feminist Killjoy" empfehlen.
Kap. 6: Ich habe ehrlicherweise keine Kraft mehr mich über Kindlers mono-heteronormative Sichtweise auf Liebesbeziehungen aufzuregen.
Joa naja. Also bei einigen Aspekten war ich definitiv dabei a la mehr Klassenkampf etc. Jedoch fällt er in ein altes Loch in dem er "klassische Kapitalismuskritik" gegen "Identitätspolitik" ausspielt. Bei richtig verstandener Identitätspolitik geht es eben nicht darum, einzelne Identitäten auseinanderzumanövrieren, sondern Klasse ist ein essenzieller Bestandteil dieser Kritik. Man kann Klasse nur verstehen, in dem man Rassismus etc versteht und eben genauso auch umgekehrt. Man muss dazu sagen, dass Identitätspolitik tatsächlich absolut verwässert wurde und sich von der bürgerlichen Linksmitte angeeignet, um sie auf individuelle Probleme zu reduzieren. Da bin ich ganz bei ihm, nur sind da nicht das Problem "die Linken" und die Identitätspolitik an sich, wie er es schön über einen Kamm schert, sondern eine individualistisch orientierte bürgerliche Linksmitte. Mir wäre es doch sehr lieb, wenn Identitätspolitik mal richtig verstanden würde, als die Kapitalismuskritik, die sie eigentlich inherent in sich trägt, die aber von vielen Seiten ausgeblendet wird. Auch der Rant über Hafermilch etc fällt in so ne Kategorie von, lass mal die Dekadenten flamen, eine Kritik, so alt wie die Welt selbst, anstatt sie auf jene zu richten, die tatsächlich Probleme machen. Das ist mir zu Sarah Wagenknecht mäßig. Wie gesagt, bei vielen Sachen bin ich ganz bei ihm und stimme auch zu (weniger Individualismus, mehr Streik, mehr Klassenkampf), aber die Kritik ist mal wieder so merkwürdig geframed. Anstatt "die Linken" als Monolith anzugehen, wäre es sehr viel sinnvoller, die Strömungen zu verstehen. Denn es gibt definitiv die Strömung, die er beschreibt und sie ist auch sehr präsent und nervig. Das ist aber nicht "die Linke" und auch nicht "Identitätspolitik".
Jean-Philippe Kindler als den größten Linken Social Media Star zu bezeichnen, mag durchaus kontrovers sein. Einer der hellsichtigsten ist er aber mit Sicherheit. In seinem Buch schafft er es, Kritik an der heutigen Linken und zugleich am kapitalistischen System sehr gut verständlich zu formulieren. Natürlich sind es nur gute 130 Seiten, aber für das, was es sein soll (eine Art modernes Manifest), ist es überaus einsichtsreich. Das geschieht in 6 Kapiteln, die er der Repolitisierung diverser (linker) Themen widmet. Dabei stellt er sich u.a. in eine Reihe mit Mark Fisher und widmet sich der Aufgabe, die vermeintliche naturgesetzliche Gesellschaftsform des neoliberalen Kapitalismus als eben das zu entlarven, was sie ist: Ideologie und keineswegs Naturgesetz. Meiner Meinung nach gelingt ihm das auch außerordentlich gut. Man kann nur hoffen, dass viele Linke (und die, die es werden wollen) dieses Buch lesen und die Einsichten in ihre Praxis tragen werden.
Auf jeden Fall viele streitbare Meinungen auf relativ wenigen Seiten. Teilweise ist es zu kurz gedacht und mich nervt, dass Kindler Identitätspolitik als unvereinbar mit fundamentaler linker Politik ansieht. Klar ist es nicht sinnvoll, sich in Diskussionen über Identität zu verlieren, sodass andere Themen auf der Strecke bleiben. Aber Intersektionalität is a thing, you know? Und sind wir nicht alle schon weiter? White Feminism, choice Feminism... das haben wir doch eigentlich schon hinter uns gelassen, oder? Meiner Meinung nach funktioniert Klassenkampf nur, wenn er gleichzeitig feministische, antirassistische und pro LGBTQIA+ Werte vertritt.
Kleine Meckereien: - Was Kindler mit seinem Plädoyer für Paarbeziehungen bezwecken wollte, ist mir unbegreiflich. Und das sage ich, für die eine poly Beziehung auch nicht infrage käme... Was hat das in einem Buch über Klassenkampf verloren? Ich finde ja den Gedanken gut und richtig, dass Frauen die sexuelle Revolution oft als Befreiung verkauft wird, obwohl sie sich für Frauen auch (unter anderem) nachteilig ausgewirkt hat. Aber insgesamt war der Abschnitt sehr wirr, viel zu kurz und gerade im Bezug auf soziale Ungerechtigkeit könnte man eine klassische Beziehung ja eher wieder als Korsett für Frauen werten.. Es war mMn einfach ein unnötiger und wenig durchdachter Abschnitt. - Die Sprache. Können wir bitte aufhören, so geschwollen daher zu reden? Insbesondere, und gerade, wenn es um Klasse geht? Ich fand es unfreiwillig komisch, wie Kindler einerseits intellektuelle "Lifestyle Linke" (diesen Begriff hasse ich übrigens aus tiefster Seele) angreifen will, aber andererseits keinen Satz in einfacher Sprache schreiben kann oder will... Es ist eine Kunst, komplexe Sachverhalte in einer verständlichen Sprache wiederzugeben.
Insgesamt fand ich dieses Büchlein interessant und viele seiner Punkte würde ich genauso unterschreiben. In Erinnerung bleiben wird es mir aber nicht.
Mit Abstrichen fand ich das sehr bereichernd und eine gute Erinnerung, was man mit den Klassenkampf eigentlich erreichen will. Allein schon die Erwähnung, dass „Die Tafel“ ursprünglich ins Leben gerufen wurde, um nicht verkaufte Lebensmittel zu retten und aber inzwischen für viele arme und armutsgefährdete Menschen essenziell ist, um etwas zu essen zu haben und die Politik da seit Jahren nichts gegen macht, hat schon gereicht, mich wieder ordentlich zu radikalisieren. Trotzdem, und auch wenn der Autor mir jetzt zu 100% meine Identitätspolitik zum Vorwurf machen kann, hat mich gestört aus was für einer komplett weißen männlichen Sicht das Buch kommt. In einer Kritik unseres Wirtschaftssystems nicht über Kolonialvergangenheit und Wohlstand durch sogenannte Gastarbeiter*innen und moderne Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen in Deutschland zu sprechen, zeugt für mich von einem blinden Fleck.
Fünf Kapitel begeisternde, prägnante Argumente für eine bessere Idee von Linkssein, von sozialer Gerechtigkeit und Kämpfen, die es sich zu kämpfen lohnt, gefolgt von einem Absturz im letzten Teil, wo der Autor eine Idee vom guten Leben fast ausschliesslich an eigenen Auffassung von zwischenmenschlicher Romantik fest macht und alternative, nicht-monogame Beziehungsmodelle als neoliberale Auswüchse deklariert. Who hurt you, buddy?
"Am ende gibt es eine große Gemeinsamkeit zwischen der liberalen Demokratie und Sanifair-Gutscheinen auf Autobahntoiletten: Beides basiert im Kern darauf, nicht eingelöst zu werden." 117
Das buch ist relativ kurz und teilweise bisschen schwach, gerade was seine, meiner Meinung nach bisschen undifferenzierte und überzogene Kritik an positiver Psychologie und auch mit Identitätspolitik angeht. Ansonsten aber einfach nen nices Plädoyer für konsequente Kapitalismuskritik jenseits der "lifestyle-linken" er wirbt für eine konsequente Re-Politisierung von Armut (Reichtum), Glück, Klimakrise (nur sehr kurzes Kapitel), Demokratie (und die Kombi mit Neoliberalismus) und Linkssein an sich ihm gehts im kern da drum, Linkssein besser kommunizierbar zu machen, einer Klasse ihre eigene Ausbeutung bewusst machen und die Überindividualisierung neoliberalistischer Entwürfe konsequent zu dekonstruieren und eine breitere Partizipation zu ermöglichen bockt auf jeden fall, teilweise echt witzig, bisschen zynisch, Kapitel 1, 2 und 4 aber definitiv am stärksten, der rest eher bisschen schwächer, weil auch einfach bisschen kurz und dadurch undifferenziert
Alles schon mal (besser) gehört, vieles war zu oberflächlich, einige Punkte konnte ich nicht nachvollziehen und der ganze Vibe hat mich so gar nicht gepackt. 👀
Ich liebe kurze kluge Bücher, die schnell gelesen sind und nachhaltig meine Perspektive schärfen. Dieses Buch ist so eins.
Viele „Aha!“- und „Du hast es auf den Punkt gebracht“-Momente und einige neue Impulse. Besonders bereichernd war für mich die solidarische Kritik an Identitätspolitik sowie die Argumentation gegen #selflove-Diskurse.
Empfehle das Buch allen, die sich nach besseren gesellschaftlichen Verhältnisse sehnen.
Eine Leseempfehlung für Menschen, welche sich mit linken Ideen und linker Politik auseinandersetzen wollen und diese versuchen zu verändern. Denn Veränderung benötigen wir und damit meine ich sehr explizit nicht eine BSW-Änderung, sondern ein neues Klassenbewusstsein und -Verständnis, sowie damit einhergehend einen neuen Klassenkampf. Wir müssen die entscheidenden Bereiche repolitisiere. Hierbei schreibe ich bewusst in der „Wir“-Form, denn es reicht nicht die*der Einzelne aus, sondern wir müssen es gesamtgesellschaftlich diskutieren, reflektieren und bearbeiten.
"am ende gibt es nämlich eine große gemeinsamkeit zwischen den versprechen der liberalen demokratie und sanifair-gutscheinen auf autobahntoiletten: beides basiert im kern darauf, nicht eingelöst zu werden"
grundthese: gesellschaftliche probleme werden heute auf individuelle reduziert. kindler spielt das an mehreren beispielen durch: in der klimakrise wird an den einzelnen appelliert, er solle sich ökologisch korrekt verhalten und damit die illusion geschürt, man könne auf diese Weise den klimawandel aufhalten, viele menschen besuchen burnoutseminare und versuchen individuell stressresistenter zu werden, aber stellen die arbeitsbedingungen, die ihnen den burnout bringen, nicht infrage. forderungen nach frauenquoten und gendergerechtigkeit werden zwar gestellt, aber das gesellschaftliche grundproblem bleibt die ausbeutung. ob mich "männer" oder "frauen" ausbeuten, ist doch egal.
ein kluges kurzes buch das sich, meiner meinung nach, gut für eine erste übersicht zum thema und einsteiger eignet.
Das Buch ist unglaublich gut! Ein durchaus populärwissenschaftliches Buch, keine Frage, aber dennoch werden wichtige Fragestellungen dargelegt, die vorallem für die Linken in unserer Zeit von großer Bedeutung sind. Und das in einer Sprache, die für alle verständlich ist. Das Buch zeigt, wie sehr uns der Kapitalismus unterbewusst in allen unseren Denkweisen beeinflusst. Kurz zusammengefasst handelt das Buch unter anderem von Missverständnissen wie "Erfolg = Intelligenz" oder anderen Problematiken unserer Zeit, die ich wie folgt zusammengefasst habe: "Die Gesellschaft fokussiert sich darauf, inneren Frieden zur Bewältigung des Stresses im Arbeitsleben und Sozialleben zu bewältigen, anstatt die Ursache zu erkennen: Den Kapitalismus. Es kann doch nicht zur Normalität gehören, dass so viele junge Menschen wie noch nie psychische Erkrankungen aufweisen" oder "Die Auffassung einer Beziehung erinnert an die Freiheitsauffassung vieler bekannter Neoliberaler: "Freiheit ist, alles zu bekommen, was ich möchte." Dass kein Gefühl unbefriedigt bleibt und immer das Maximale erstrebt werden muss." Ein sehr starkes, wachrüttelndes Buch, das zeigt, wie unfassbar tief die Wurzeln des kapitalistischen Denkens in unserer Psyche verankert sind. Leseempfehlung für jeden!
Einige gute Punkte (YES zu mehr class consciousness, mehr Kapitalismuskritik, mehr radikalem Widerstand, mehr Fokus auf die gesellschaftliche Verantwortung für Ungerechtigkeit und weniger Fokus auf individuelle Glücksfindung), und einige die mich sehr genervt haben. Ich kann nicht mit seiner Evaluation von Polyamorie und Hookup culture übereinstimmen, welche diese als Zeichen kapitalistischer Befriedigungsgier darstellt - ich glaube die Motivation und Gesellschaftsdynamiken hinter polyamorösen Beziehungen sind komplizierter als er es so darstellt, und auch hookup culture wurde mir hier viel zu sehr simplifiziert. Ich hatte auch mehrere Probleme mit anderen Punkten, und fand vieles nur sehr oberflächlich argumentiert.
Wenn ihr diesen Blog lest, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr ähnlich denkt wie ich, und in der ersten Sekunde total verwirrt von diesem Titel sind. Wie sollen denn bitte Selflove und Klassenkampf zusammenhängen? Aber naja, um uns diesen Zusammenhang zu erklären, dafür ist ja Jean-Philippe Kindler da. Er erklärt hier, warum der aktuelle Trend rund um Selflove ein Zeichen dafür ist, dass der Klassenkampf schon lange überfällig ist. Anschließend geht er auch noch auf andere Bereiche unseres Lebens ein und stellt die Frage: Wo zeigt sich das noch? Dabei geht er auf viele interessante Punkte ein und zeigt so, wie ein neuer Klassenkampf die Situation für uns alle verbessern würde.
Ich persönlich war bis zum Ende etwas verwirrt, wie ein Klassenkampf denn nun wirklich aussehen würde. Ich höre dieses Schlagwort aktuell immer und immer wieder - aber weiß bis heute nicht, was ich mir darunter vorstellen kann. Auch dieses Buch konnte diese Frage leider nicht klären.
Ich stimme dem Autoren sicher nicht in jedem Detail seiner Argumentation zu. Aber: Er spricht viele wichtige Punkte an, argumentiert gut und ich kann seine große Message unterstützen. Ich kann mir zwar (wie so viele von uns) keine Alternative zum Kapitalismus vorstellen, aber das hängt wahrscheinlich eher damit zusammen, dass ich halt in diesem System aufgewachsen bin und darin lebe. Das geht sicher den meisten von uns so. Trotzdem kann der Kapitalismus nicht unsere beste oder sogar unsere einzige Option sein. Dieses System basiert auf der Ausbeutung von Menschen und der Natur. Das darf nicht unsere beste Option sein. Daran will ich einfach nicht glauben.
Mein Fazit? Ein interessanter Essay, den ich gerne gehört habe.
3.5 Sterne. Es gibt wahrscheinlich nie einen Menschen mit dem man politisch (in einer grundsätzlichen politischen Mentalität und einer politischen Umsetzungsstrategie) übereinstimmt, deshalb versuche ich immer auf den gemeinsamen Nenner und das große Ganze zu schauen. Und da gibt es hier drinnen einige gute Gedanken zu finden, vor allem im Angesicht des Sahra Wagenknecht-Debakels und dem Aufbruch/Abbruch (so oder so ein neues Kapitel) der Linksfraktion, der gerade stattfindet, betrachtet - u.a. weniger Individualismus, mehr Universalismus, Kapitalismuskritik, Antikapitalismus sowie der Aufruf für mehr Radikalität bei Umsetzungen von idealistischen Ideen und Konzepten, anstatt Scheindebatten zu führen.
Eine durchdachte Analyse und Darstellung der aktuellen gesellschaftlichen Probleme und Schieflagen, ausgelöst durch ein durch und durch neoliberalisiertes System des "Höher, schneller, weiter". Kindler schafft es aufzuzeigen, wie uns die systemisch angelegte Individuen-orientierte Problemlösung als einzig mögliche erscheint während wir kollektive, gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Ziele und Interessen aus den Augen verlieren. Besonders gelungen ist die Kritik an der heute als besonders erstrebenswert angesehenen, bedingungslosen "Selflove".
Und auch Lösungsansätze werden konkret und überzeugend geliefert, kurz zusammengefasst: Arbeitskampf und Repolitisierung zentraler Lebensbereiche.
Dass es in einigen Kapiteln zwar selten, aber doch hin und wieder Themensprünge gibt, bei denen man sich als Leser fragt, wo der inhaltliche Kern der Aussage eigentlich gerade liegt, ist mein einziger Kritikpunkt.
Ansonsten sehr lesenswert, auch als Denkanstoß für Menschen, die sich vielleicht selbst als weniger radikal als Kindler einordnen würden.
4,5 unbedingt lesen und drüber nachdenken! hab zu manchen Themen um Identitätspolitik ein bisschen ne andere Wahrnehmung aber gehe grundsätzlich absolut mit seiner Analyse mit. Ist echt ein mega Buch, sprachlich einfach und schön, die Sachen auf den Punkt gebracht, kritisch, ideenreich und nachvollziehbar. Es wird Zeit für Diskussionen, Brücken bauen und den Mut wieder mehr zusammen zu tun, Kämpfe zusammenzulegen.
Bin wirklich 0 drin, was Podcasts angeht & kannte den Autoren deswegen auch nicht. Hatte mir nicht viel davon erwartet, aber seine Analysen konnten mich sehr überzeugen! Verweise auf Mark Fischer sehe ich sowieso gerne. :)
Ich stimme vielleicht nicht in allem überein, aber doch in sehr vielen Punkten. Alles in allem eine unerwartet gute Kapitalismuskritik, die mit Humor auf den Punkt gebracht wird.
Ein Plädoyer für mehr Klassenkampf, für eine Repolitisierung und für das gute Leben. Hier gibt es nicht wirklich neue Inhalte, aber die braucht es theoretisch ja auch nicht.
4,5 Sterne Fand es richtig gut und vor allem sehr wichtig. Konnte aber nicht mit allem hundertprozentig mitgehen. Manche Sachen waren mir zu abstrakt oder einseitig beleuchtet, aber eine sehr sehr große Empfehlung ist es trotzdem!
Auf den Punkt gebracht + spannende Denkanstöße! Eine Aufforderung wieder Größer zu denken und nicht im Kampf um die kleinsten Kleinigkeiten, das große Ganze zu vergessen. Sei es Armut oder Klimakrise, mit dem Finger auf Andere (eigentlich Verbündete?!) zu zeigen bringt uns nicht weiter. Macht Mut zu Mehr!
Edit: Ja ich hab's direkt nochmal gehört, sue me! Es ist einfach ein super Einstieg in das Thema für alle, die irgendwie links sind. Er macht in unterschiedlichen Themenblöcken klar, wieso individuelle Ansätze bzw. Konsumkritik nicht reichen, um ein gutes Leben für alle zu erkämpfen. Er geht auch darauf ein, wieso Identitätspolitik nicht der richtige Ansatz ist, ohne in so ein komisches Woke Bashing zu verfallen. Dabei ists ne gute Abwechslung zwischen Fakten, Meinung, und Joppel-Humor. Hörbuch lohnt sich auch, da vom Autor selbst gelesen, im Vergleich zu manch anderen Autorenlesungen aber halt gut.
((Hab es relativ schnell gehört und muss es definitiv nochmal lesen. Als NuS Ultra war wenig neues aber freue mich, dass es ein Buch gibt, das die Themen für viele zugänglich macht. Mag seine Art einfach sehr, zynisch aber witzig. Warum er Polycules trotz shitstorm in einem Satz mit Hookup Culture erwähnt bleibt mir aber schleierhaft😂))
Irgendwie scheine ich hier ein bisschen in der Minderheit zu sein, aber dieses Buch konnte mich irgendwie so gar nicht überzeugen.
Ich empfand den Schreibstil als arg polemisch, die inhaltliche Tiefe als sehr oberflächlich und die Argumentation wenig überzeugend. Einzelne Kritikpunkte an der deutschen Linken nahm ich als sehr treffend beobachtet war, allerdings missfiel mir die Haltung Kindlers, der sich hier ein wenig ausklammerte und als die Person mit der einzig richtigen Lösung präsentierte. Manche Kapitel waren zwar etwas besser als andere, z.B. das zu Linkssein wirkte als wäre Kindler hier in seinem Element. Ich fand es dann nur schade, dass viele Themen viel zu kurz kamen. Vielleicht, weil sich ein bisschen viel vorgenommen wurde ohne wirklich einen klaren roten Faden zu haben. Mir hätte eine klarere Fokussierung auf weniger Themen vielleicht besser gefallen. Andere Kapitel wie etwa das zum Thema Klimakrise fand ich einfach nur enttäuschend; eine Aneinanderreihung von Zitaten ohne wirklich irgendwas auch nur ansatzweise Neues beizutragen. Mit Aussagen wie "Niemand wirklich niemand braucht SUVs" werden Bedürfnisse verschiedener Menschen einfach übergangen und mit diesem Schwarz-weiß-denken ist die Klimakrise auch nicht gelöst. Ich glaube wir müssen hier ein bisschen tiefer gehen. Generell hätte ich mir ein bisschen mehr Tiefe und Reflektion gewünscht und insgesamt stehe ich der Aussage, dass Selbstliebe und Introspektion nur schädlich und individualistisch sind kritisch gegenüber (Again, alles bis zu einem bestimmten Punkt und es gibt mehrere Seiten). Vielmehr denke ich, dass es wichtig ist auch sich selbst besser zu kennen und nach sich zu schauen, um auch für andere da sein zu können und in Verbindung gehen zu können.
3.5 Sterne. Ich finde es schwierig, Identitätspolitik gegen Kapitalismuskritik auszuspielen. Ich finde es schwierig, polyamore Beziehungen pauschal als ein hedonistisches Sich-Bedienen an Menschen zur Bedürfnisbefriedigung zu bezeichnen. Beides hat Kindler vielleicht nicht wirklich getan oder gewollt, aber Tendenzen sind zu finden und er hätte sich präziser ausdrücken können. Es gibt sicherlich einiges an diesem Buch auszusetzen. Einiges fand ich zu vereinfacht erzählt oder zu spitz/polemisch, aber prinzipiell ist das Buch dafür, was es ist, gut: ein politisches Meinungsmanifest und Plädoyer für eine Vereinigung von Linken für Solidarität und einen Kampf für ein gutes Leben für alle. Und das gewohnt eloquent und auch klug. Und man merkt, dass es Kindler wirklich ein Herzensanliegen ist.