Richtig falsch zu singen, das ist eine echte Kunst. Die schrägen Töne von Johanna von Koczian gefielen dem Publikum bei der Berliner Premiere von “Glorious!“ in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm.

Sie guckt, sie schnauft, nimmt Anlauf. Und verpasst, mit absoluter Verlässlichkeit, das hohe C mal wieder gnadenlos. Wenn im Sprechtheater gesungen wird, ist das meist ein Wagnis für alle Beteiligten. Johanna von Koczian muss es aktuell an der Komödie am Kurfürstendamm direkt mit der Oberliga der Sopranistinnenliteratur aufnehmen: Königin der Nacht, Tosca, Fledermaus. Dabei ist ihre Herausforderung eine ganz und gar ungewöhnliche. Sie könnte wahrscheinlich mit Fug und Recht behaupten: Das bisschen Koloratur ist doch kein Problem. Doch ausgerechnet sie, die ausgebildete Sopranistin, hat den Auftrag, zwei Stunden lang jeden einzelnen Ton komplett zu versemmeln. Johann von Koczian spielt in „Glorious!“ den musikalischen Albtraum Florence Foster Jenkins, die schlechteste Sängerin aller Zeiten.

Ihre Geschichte ist eine wahre: Der Gatte riet ihr ab, der Vater verweigerte eine Gesangsausbildung, hinterließ ihr aber nach seinem Tod ein beachtliches Vermögen, mit dem sie sich ihr exzentrisches musikalisches Vergnügen finanzierte, mit der unerschütterlichen Überzeugung, sie dürfe der Welt ihre „strapazierfähige Kehle“ nicht vorenthalten. Bis zu ihrem Tod 1944 hat die Jenkins als schräges Unikum ihre unwiderlegbare Unmusikalität einem erlesenen Publikum in diversen selbst organisierten Konzerten präsentiert und avancierte damit in den 30er und 40er Jahren des letzen Jahrhunderts zum Geheimtipp. Sie war, auch wenn sie selbst das nicht bemerkte, die Trash-Queen von New York, ihr Publikum lachte Tränen, die sie als Zeichen der Rührung deutete.

Der britische Autor Peter Quilter hat Florence Foster Jenkins mit „Glorious!“ eine ziemlich muntere Hommage geschrieben und Regisseur Martin Woelffer hat mit Johanna von Koczian seine Optimal-Besetzung gefunden. Gerade 77 geworden, hat sie fast exakt das Alter der Jenkins bei ihrem letzten, furiosen Konzert in der Carnegie Hall, das hier in Teilen nachgestellt wird, inklusive der legendären Engelsflügel, die nun auf dem Rücken der von Koczian beben. Mit jeder Faser scheint sie diese Figur zu lieben. Wie sie keck die Nase kräuselt, wie sie mit unbeirrbarer Naivität, bisweilen geradezu mädchenhaft, dieses Leben nachzeichnet, ungelenk zur Habanera tanzt, das ist keine böse Parodie, das ist pure Zuneigung. Und dann natürlich der Gesang. Live und echt und, wenngleich quasi versehentlich durchaus perfekte Töne dazwischen rutschen, inbrünstig schräg. Es ist, des Ohren Leid, des Zwerchfells Freud, schlicht zum auf den Sesseln kringeln.

Julia Hattstein hat für die Lebensgeschichte der Freestyle-Sopranistin eine schlicht-elegante Bühne geschaffen, die durch verschiebbare Rückwände ebenso als Appartement wie als Carnegie Hall funktioniert. Unverzichtbarstes Requisit des Abends: ein großer schwarzer Steinway-Flügel. Bedient wird der von Horst Maria Merz, der als gequälter Pianisten Cosme McMoon anfangs noch etwas hölzern agiert, dann aber Fahrt aufnimmt. „Nur Mut!“ wirft ihm die Jenkins aufmunternd zu und trommelt ungeduldig mit den Fingern auf dem Klavierdeckel, während ihr Begleiter fassungs- und ratlos versucht, ihren kapriziösen Tempo- und Rhythmuswechseln nachzueilen.

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Der Rest ist Beiwerk: eine griesgrämige mexikanische Haushälterin (sehr komisch: Darinka Ezeta Batres), Freundin Dorothy (Ute Willing), eine ungehaltene Konzertboykotteurin (Ev-Katrin Weiß) und Jenkins Geliebter St. Clair Bayfield, den Anton Rattinger mit viel zu großen Gesten ausstattet. Nein, dieser Abend gehört nicht der eher unspektakulären Regie, nicht den Mitspielern, er gehört ohne Wenn und Aber der hinreißenden Johanna von Koczian, weil sie es mit ihrem warmherzigen Spiel fertig bringt, die verrückte singende Alte kein bisschen bloß zu stellen. Und es sei der Jenkins als kuriose Fußnote der Musikgeschichte sehr gegönnt, dass ausgerechnet sie, noch mehr als 60 Jahre nach ihrem Tod, dermaßen zu unterhalten vermag.

Komödie am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206-210, Charlottenburg. Tel.: (030) 88591188. Termine: bis 16. Januar 2011.