Astronomische Zeitreise: Im Jahr 1607 beobachtete der Astronom Johannes Kepler erstmals Sonnenflecken mithilfe einer Camera obscura. Seine Skizzen dieser Flecken torpedieren nun gängige Annahmen zu einer der großen Schwächephasen unserer Sonne, dem Maunder-Minimum. Denn Keplers Zeichnungen korrigieren den Zeitpunkt, an dem damals ein neuer Sonnenzyklus begann. Das wiederum wirft ein neues Licht auf die möglichen Ursachen des Maunder-Minimums.
Die Aktivität unserer Sonne folgt zwar einem rund elfjährigen Zyklus, dieser wird jedoch von längeren Phasen verstärkter und abgeschwächter Sonnenaktivität überlagert. Die letzte große Schwächephase, das sogenannte Maunder-Minimum, dauerte etwa von 1645 bis 1715 an. Sie gilt als mögliche Mitursache für die „Kleine Eiszeit“, während der die Nordhalbkugel extrem kalte Winter und nasse, kühle Sommer erlebte.
Unklar ist jedoch bisher, wie solche „Grand Minima“ der Sonne zustande kommen. Einer Hypothese nach setzt dabei der solare Dynamo vorübergehend aus oder schwächt sich stark ab. Ein Indiz dafür wäre eine veränderte Länge des damaligen Sonnenzyklus. Erste Hinweise auf einen solchen verkürzten Sonnenzyklus direkt vor dem Maunder-Minimum entdeckten Astronomen im Jahr 2023 in historischen Aufzeichnungen aus Korea. Baumringdaten zur Sonnensturmaktivität dieser Zeit sind jedoch widersprüchlich.
Keplers Camera obscura und die Sonnenflecken
Doch jetzt liefert ein weiterer historischer Zeitzeuge Indizien für das Gegenteil – kein Geringerer als der deutsche Astronom Johannes Kepler. Der 1571 geborene Gelehrte war Nachfolger von Tycho Brahe als kaiserlicher Hofastronom und verantwortlich für revolutionäre Erkenntnisse unter anderem zur Himmelsmechanik und den Planetenbahnen. Bedeutsam für die Sonnenforschung sind jedoch Beobachtungen, die der Astronom im Jahr 1607 machte.
In diesem Jahr nutzte Kepler erstmals eine Camera obscura – eine einfache Lochkamera – um die Sonne zu beobachten. Dabei entdeckte er auch mehrere Sonnenflecken. „Ein kleiner Fleck in der Größe einer kleinen Fliege ist im unteren linken Teil des Bilds zu sehen, schwach wie eine dünne Wolke. (…) und ein kleiner Fleck tiefer Schwärze näher am Zentrum“, beschreibt der Astronom dies in seinen Aufzeichnungen. Zwei Zeichnungen dieser Sonnenflecken-Beobachtungen sind bis heute erhalten.
„Dies ist die älteste Sonnenflecken-Zeichnung, die je mithilfe einer Projektion und eines Instruments gemacht wurde“, erklärt Hisashi Hayakawa von der Nagoya Universität. „Keplers Sonnenflecken-Aufzeichnungen sind mehrere Jahre älter als die frühesten aus Teleskopbeobachtungen erhaltenen Sonnenfleckendaten aus dem Jahr 1610.“
Wo lagen Keplers Flecken?
Das Spannende daran: Keplers Sonnenflecken-Zeichnungen stammen aus der Zeit direkt vor Beginn des Maunder-Minimums und damit auch aus der Phase, für die die Länge der Sonnenzyklen bisher strittig ist. „Keplers astronomische Forschung könnte uns daher nun helfen, die Diskussion zu präzisieren“, so Hayakawa und sein Team. Denn aus der Position der Sonnenflecken lässt sich rückschließen, ob die Sonne gerade am Anfang oder am Ende eines Sonnenzyklus steht.
„Sonnenflecken-Gruppen sind dafür bekannt, dass sie im frühen Stadium eines Sonnenzyklus in höheren Breiten der Sonne vorkommen und dann bis zum Ende des Zyklus allmählich weiter Richtung Äquator auftreten“, erklären die Astronomen. Doch wo lagen Keplers Sonnenflecken? „Dafür mussten wir den Beobachtungsstandort und die Neigung des Sonnenäquators in den Aufnahmen ermitteln“, erklärt Hayakawa. Denn erst dies verrät die solare Breite der Flecken.
Sonnenzyklus war nicht verkürzt
Die Analysen enthüllten: Berücksichtigt man die Umkehrung des Bildes durch die Camera obscura und Keplers Standort, dann müssen die von ihm beobachteten Sonnenflecken auf 13,5 und 2,5 Grad südlicher Breite der Sonne gelegen haben. Sie lagen demnach relativ nahe am Sonnenäquator in niedrigen Breiten. „Dies steht in klarem Kontrast zu den Sonnenflecken-Aufzeichnungen aus den frühen 1610er Jahren, die die Fleckengruppen in hohen solaren Breiten zeigen“, berichten Hayakawa und seine Kollegen.
Nach Ansicht der Astronomen spricht dies dafür, dass in der Zeit zwischen 1607 und 1610 ein neuer Sonnenzyklus begonnen haben muss. Kepler sah dadurch die letzten Flecken des alten Zyklus, die Astronomen mit den ersten teleskopgestützten Beobachtungen hingegen die ersten Sonnenflecken eines neuen Zyklus, wie das Team erklärt. Das aber bedeutet auch, dass der von Kepler beobachtete Zyklus nicht, wie teilweise angenommen, anomal kurz oder lang war. Mit einer Dauer von elf bis 14 Jahren war er völlig normal.
Rätsel um solare Schwächephasen hält an
„Keplers Vermächtnis hilft damit der Debatte um den Übergang von normalen Sonnenzyklen zum Maunder-Miniumum“, sagt Hayakawa. „Denn Keplers Beobachtungen erweitern die historische Zeitreihe um mehrere Jahre. Dies liefert uns den Kontext, um die Veränderungen des Sonnenverhaltens in dieser entscheidenden Periode des Übergangs zu verstehen.“ Ob solare Minimumphasen sich durch Abweichungen der normalen Zykluslänge ankündigen, erscheint damit nun fraglich.
Welche Mechanismen für die mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte anhaltenden Schwächephasen der Sonne verantwortlich sind, ist bis heute ungeklärt. Umso wichtiger ist es, die Symptome dieser Schwankungen möglichst genau zu kennen – sie erlauben Rückschlüsse auf das, was dabei im Inneren unseres Sterns passiert. (The Astrophysical Journal Letters, 2024; doi: 10.3847/2041-8213/ad57c9)
Quelle: Nagoya University