Gewöhnliche Differentialgleichung

Typ von Differentialgleichungen
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Eine gewöhnliche Differentialgleichung (oft abgekürzt mit GDGL oder ODE, englisch ordinary differential equation) ist eine Differentialgleichung, bei der zu einer gesuchten Funktion nur Ableitungen nach genau einer Variablen auftreten.

Viele physikalische, chemische und biologische Vorgänge in der Natur lassen sich mit solchen Gleichungen mathematisch beschreiben, z. B. der radioaktive Zerfall, Bewegungsvorgänge von Körpern, viele Arten von Schwingungsvorgängen oder das Wachstumsverhalten von Tier-Populationen. In naturwissenschaftlichen Modellen werden gewöhnliche Differentialgleichungen daher häufig eingesetzt, um solche Vorgänge zu analysieren, zu simulieren oder um Vorhersagen abgeben zu können. In vielen Fällen kann die Differentialgleichung nicht analytisch gelöst werden. Man ist daher auf numerische Verfahren angewiesen.

Historische Entwicklung

Historisch gesehen wurden die ersten Differentialgleichungen verwendet, um die Bewegung von Objekten zu modellieren. Besonders hervorzuheben sind dabei die Gleichungen für die Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit bzw. konstanter Beschleunigung. Im Jahr 1590 erkannte Galileo Galilei den Zusammenhang zwischen der Fallzeit eines Körpers und seiner Fallgeschwindigkeit sowie dem Fallweg und formulierte (noch) mit geometrischen Mitteln das Gesetz des freien Falles.

Als Isaac Newton auch Bewegungen mit Reibungen betrachtete, die zum Betrag oder zum Quadrat der Geschwindigkeit proportional sind, war er genötigt, die Differentialrechnung und den heute geläufigen Formalismus der Differentialgleichungen einzuführen.

Durch die exakte Formulierung des Grenzwertbegriffes, der Ableitung und des Integrals stellte schließlich Augustin Louis Cauchy im 19. Jahrhundert die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen auf ein festes Fundament und machte sie somit vielen Wissenschaften zugänglich.

Das wissenschaftliche Interesse an Differentialgleichungen ist im Wesentlichen darin begründet, dass mit ihnen auf Grund vergleichsweise einfacher Beobachtungen und Experimente vollständige Modelle geschaffen werden können.

Nur wenige Typen von Differentialgleichungen lassen sich analytisch lösen. Trotzdem lassen sich qualitative Aussagen wie Stabilität, Periodizität oder Bifurkation auch dann treffen, wenn die Differentialgleichung nicht explizit gelöst werden kann. Eines der wichtigsten Hilfsmittel für skalare Differentialgleichungen sind Argumente mittels eines Vergleichssatzes.

Allgemeine Definition

Seien   und   eine stetige Funktion. Dann heißt

 

ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem  -ter Ordnung von   Gleichungen (  ist hier die unabhängige Variable,   usw.). Im Fall   nennt man dies eine gewöhnliche Differentialgleichung  -ter Ordnung.

Ihre Lösungen sind  -mal differenzierbare Funktionen  , welche die Differentialgleichung auf einem zu bestimmenden Intervall   erfüllen. Sucht man eine spezielle Lösung, welche zu gegebenen   und   zusätzlich

 

erfüllt, so bezeichnet man dies als Anfangswertproblem.

Kann die Differentialgleichung nach der höchsten vorkommenden Ableitung aufgelöst werden und hat somit die Form

 ,

so heißt sie explizit, andernfalls implizit; siehe auch Satz von der impliziten Funktion.

Zur Notation

In der Literatur zu gewöhnlichen Differentialgleichungen werden standardmäßig zwei unterschiedliche Notationen verwendet. In der einen Variante wird die unabhängige Variable mit   bezeichnet und die Ableitungen der Funktion   nach   mit   usw. Die andere Schule verwendet eine auf Newton zurückgehende Notation. Dabei ist die unabhängige Variable   bereits mit einem Sinn versehen;   ist die Zeit. Lösungen werden dann oft mit   bezeichnet und die Ableitungen nach der Zeit werden als   notiert. Da dieser Artikel von Vertretern beider Schulen bearbeitet wurde, finden sich beide Notationen wieder.

Existenz und Eindeutigkeit

Ob überhaupt eine Lösung existiert, lässt sich anhand einiger Kriterien erkennen. Die Differentialgleichung selbst reicht im Allgemeinen nicht aus, um die Lösung eindeutig zu bestimmen.

Beispielsweise ist der grundsätzliche Bewegungsablauf aller schwingenden Pendel gleich und kann durch eine einzige Differentialgleichung beschrieben werden. Der konkrete Bewegungsablauf ist jedoch durch die Rand- oder Anfangsbedingung(en) (wann wurde das Pendel angestoßen, und wie groß ist die Anfangsauslenkung) bestimmt.

Die lokale Lösbarkeit von Anfangswertproblemen bei gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung wird durch den Satz von Picard-Lindelöf und den Satz von Peano beschrieben. Aus der Existenz einer lokalen Lösung kann man in einem zweiten Schritt auf die Existenz einer nicht-fortsetzbaren Lösung schließen. Mit Hilfe des Satzes vom maximalen Existenzintervall kann man darauf aufbauend von dieser nicht-fortsetzbaren Lösung dann gelegentlich Globalität nachweisen. Die Eindeutigkeit bekommt man als Anwendung der gronwallschen Ungleichung.

Reduktion von Gleichungen höherer Ordnung auf Systeme erster Ordnung

Gewöhnliche Differentialgleichungen beliebiger Ordnung lassen sich immer auf ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung zurückführen. Hat eine gewöhnliche Differentialgleichung die Ordnung  , so führt man dazu die voneinander abhängigen Funktionen   ein:

 

Aus der expliziten Differentialgleichung  -ter Ordnung für   wird dabei:

 

Man erhält also ein System von   gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung:

 .

Umgekehrt kann man aus manchen Differentialgleichungssystemen eine einzige Differentialgleichung höherer Ordnung ableiten.

Beispiele

 
Dieses besagt, dass bei einer Menge instabiler Atome die Anzahl der zerfallenden Atome von der gesamten Anzahl   der vorhandenen Atome proportional abhängt.
 
Durch die Kenntnis der von der Zeit   und der Position   eines Teilchens abhängenden Kraft   treffen diese Gleichungen Aussagen über die Bewegung des Teilchens selbst.
  • Neben einfachen Zusammenhängen der Änderungen einer einzelnen Größe lassen sich aber auch Vorhersagen über mehrere Größen in einem System treffen. In etwa die Lotka-Volterra-Gleichungen der Ökologie:
 
 
Dieses System beschreibt die zeitliche Veränderung der Räuberpopulation   und der Beutepopulation   bei konstanten natürlichen Geburtenraten   und Sterberaten  . Einige wichtige Eigenschaften dieses Modells lassen sich in Form der sogenannten Lotka-Volterra-Regeln zusammenfassen. Dieses und ähnliche Systeme finden in der theoretischen Biologie auch zur Beschreibung von Ausbreitungsprozessen und in Epidemiemodellen breite Anwendung.

Spezielle Typen von Differentialgleichungen

Den bekanntesten Typ der gewöhnlichen Differentialgleichungen bildet die lineare Differentialgleichung  -ter Ordnung mit:

  für stetige  .

Weitere wichtige Typen von gewöhnlichen Differentialgleichungen sind die folgenden:

 .
  mit  .
 , worin das Vektorfeld   eine Potentialfunktion besitzt.
 .
  für stetige   und  .
 .
 .

Autonome Systeme

Ein Differentialgleichungssystem heißt autonom oder zeitinvariant, falls die beschreibende Gleichung nicht von der unabhängigen Variable   abhängt. D.h., wenn das System von der Form

 

ist.

Ein Differentialgleichungssystem

 

heißt vollständig, wenn zu jedem Anfangswert   die globale Lösung auf ganz   definiert und eindeutig ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn   linear beschränkt und Lipschitz-stetig ist. Es bezeichne   diese (eindeutig bestimmte globale) Lösung. Dann nennt man   den Fluss der Differentialgleichung  , und   bildet dann ein dynamisches System.

Besonders einfach zu analysieren ist der Fall   der ebenen autonomen Systeme. Mit Hilfe des Satzes von Poincaré-Bendixson kann man oft die Existenz periodischer Lösungen nachweisen. Ein wichtiges ebenes autonomes System bildet das Lotka-Volterra-Modell.

Da die Poincaré-Bendixson-Theorie zentral auf den jordanschen Kurvensatz aufbaut, sind höherdimensionale Analoga falsch. Insbesondere ist es sehr schwierig, periodische Lösungen höherdimensionaler autonomer Systeme zu finden.

Lösungsverfahren für lineare gewöhnliche Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten

Durch gewöhnliche Differentialgleichungen lassen sich viele dynamische Systeme aus der Technik, Natur und Gesellschaft beschreiben. Viele auf den ersten Blick sehr verschiedene physikalische Probleme lassen sich mit der GDGL jedoch formal identisch darstellen.

Ein dynamisches System ist eine Funktionseinheit zur Verarbeitung und Übertragung von Signalen, wobei die Eingangsgröße   als Ursache und die Ausgangsgröße   als Folge des zeitlichen Übertragungsverhaltens des Systems definiert ist. Ist die Eingangsgröße  , so handelt es sich um eine homogene GDGL, anderenfalls um eine inhomogene GDGL.

Ein dynamisches System verhält sich linear, wenn die Wirkungen zweier linear überlagerter Eingangssignale sich am Ausgang des Systems in gleicher Weise linear überlagern. Eine lineare GDGL enthält die gesuchte Funktion und deren Ableitungen nur in der ersten Potenz. Es dürfen keine Produkte der gesuchten Funktion und ihren Ableitungen auftreten. Die gesuchte Funktion darf auch nicht in Argumenten von Winkelfunktionen, Logarithmen usw. erscheinen.

Ein bekanntes Beispiel aus der Mechanik ist die lineare GDGL zweiter Ordnung eines gedämpften Federpendels mit der Federsteifigkeit  , Masse   und Dämpfungskonstante  . Dabei ist die Eingangsgröße: die Kraft  , die Ausgangsgröße der Weg  .

 .

Linear zeitinvariante Systeme können durch die nachfolgenden Verfahren berechnet werden:

Lösung mit Hilfe des Exponentialansatzes

Die Lösung einer inhomogenen GDGL besteht aus der allgemeinen Lösung der homogenen GDGL und einer speziellen Lösung (partikuläre Lösung) der inhomogenen GDGL. Deshalb erfolgt das Lösungsverfahren der inhomogenen GDGL, unabhängig von der Ordnung, in zwei Stufen. Die Gesamtlösung ist die Summe der beiden Lösungen:

  • Die homogene Lösung der GDGL beschreibt das Systemverhalten mit Anfangswerten der Systemspeicher zum Zeitpunkt   und dem Eingangssignal  . Dies bedeutet für das dynamische System, es ist sich selbst überlassen und hat nur ein Ausgangssignal. Die homogene Lösung der GDGL ist Null, wenn alle Anfangsbedingungen von   und deren Ableitungen Null sind.
  • Die partikuläre Lösung der GDGL beschreibt das Übertragungsverhalten von   für   als erzwungene Bewegung. Je nach Systemordnung müssen alle Anfangsbedingungen   und deren Ableitungen Null sein.
Ist die Übertragungsfunktion   als Laplace-transformierte GDGL gegeben, so ist die Berechnung des System-Ausgangssignals   für ein gegebenes Eingangssignal   bei Anwendung der inversen Laplace-Transformation immer eine partikuläre Lösung. Die partikuläre Lösung der GDGL ist in der Regelungstechnik meist von hauptsächlichem Interesse.

Mit Hilfe des Exponentialansatzes und der sich daraus ergebenden charakteristischen Gleichung lassen sich auch GDGL höherer Ordnung lösen. Dieser Exponentialansatz gilt als universelles Lösungsverfahren für homogene GDGL beliebiger Ordnungen mit konstanten Koeffizienten.

Hat eine GDGL die Ordnung n, so hat ihre Lösung n Integrationskonstanten. Dazu müssen n Anfangsbedingungen gegeben sein.

Der Exponentialansatz   liefert Ableitungen der Form:  .

Werden diese Beziehungen in die homogene GDGL eingesetzt, entsteht die charakteristische Gleichung als Polynom n-ter Ordnung für  . Die homogene Lösung einer inhomogenen Differenzialgleichung lautet damit allgemein für den Fall reeller ungleicher Nullstellen   des charakteristischen Polynoms:

 

Die Lösung einer GDGL erfolgt durch Integration. Jede Integration ergibt Integrationskonstanten  , deren Anzahl durch die Ordnung der GDGL bestimmt ist. Die Lösung einer GDGL n-ter Ordnung enthält   voneinander unabhängige Integrationskonstanten. Diese sind für eine spezielle (partikuläre) Lösung der GDGL abhängig von den Eigenwerten und gegebenen Anfangsbedingungen des Übertragungssystems zu bestimmen.

Die Bestimmung der Integrationskonstanten   bei Systemen höherer Ordnung (> 2) ist sehr umständlich. Weitere Informationen liefert die Fachliteratur.[1]

Anfangswertproblem und Integrationskonstanten für eine homogene GDGL 2. Ordnung

Eine homogene GDGL n-ter Ordnung hat n Anfangswerte. Für die homogene GDGL zweiter Ordnung mit zwei vorzugebenden Anfangswerten   und   können die Koeffizienten   und   errechnet werden, wenn die Nullstellen des charakteristischen Polynoms bekannt sind.

Für jede Anfangsbedingung ergibt sich eine Gleichung ( ,  ).

Beispiel für eine homogene GDGL mit zwei reellen Nullstellen   und   und Anfangswerten  ;  :

Lösung   der homogenen DGL 2. Ordnung:

 

Berechnung der Koeffizienten:

 
 
 

Aus den beiden Gleichungen von   für   und   für   lassen sich die Koeffizienten   und   bestimmen.

Anmerkung: Die Ableitung   von  

Tabelle: Durch die verschiedenen Arten der Lösungen der quadratischen Gleichung, bedingt durch die Größe der Diskriminante, ergeben sich drei unterschiedliche Fälle der Eigenwerte λ der GDGL wie:

Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung
2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten
Nullstellen Anfangswertproblem
Bestimmung C1, C2
Radikand > 0: 2 reelle Nullstellen
 
   
 
Radikand = 0: 2 gleiche Nullstellen
 
   
 
Radikand < 0: konjugiert komplexen Nullstellen
 
 
 
 
 
 

Berechnungsbeispiel der Lösung einer GDGL 2. Ordnung mit reellen Nullstellen

 
* Homogene Lösung der GDGL einer Reihenschaltung von zwei PT1-Gliedern mit Anfangswerten.
* Partikuläre Lösung der GDGL für einen Eingangssprung.
Übertragungsfunktion eines dynamischen Systems bestehend aus zwei PT1-Gliedern
 

Zugehörige systembeschreibende GDGL:

 

Die höchste Ableitung freigestellt:

 
  • Vorgegeben: Willkürlich gewählte Anfangswerte der Energiespeicher (Integratoren):  ;  ;
  • Vorgegeben: Eingangsgröße   ist eine normierte Sprungfunktion für  .
  • Gesucht: Homogene Lösung der GDGL   und partikuläre Lösung  :
Für die homogene Lösung wird   gesetzt.
  • Errechnet laut der oben dargestellten Tabelle der homogenen Lösung:
Es ergeben sich zwei reelle Nullstellen:  
  • Errechnet: Die Integrationskonstanten errechnen sich laut Tabelle mit  ;  .
  • Analytische homogene Lösung laut Tabelle für zwei reelle Nullstellen:
  daraus folgt:
Mit den eingesetzten Zahlenwerten lautet die analytische Lösung der homogenen GDGL:
 
  • Partikuläre Lösung:
Die Berechnung der Systemantwort   des Eingangs-Ausgangsverhaltens über das Faltungsintegral ist aufwendig.
Einfacher ist die Lösung – wie nachfolgend dargestellt – durch die Anwendung der Laplace-Transformation.

Lösung mittels der Übertragungsfunktion

Die allgemeine Form einer Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten   der Ausgangsgröße   und mit   der Eingangsgröße   lautet:

 .

Durch Anwendung des Laplace-Differentiationssatzes einer GDGL entstehen algebraische Gleichungen mit sogenannten Zähler- und Nennerpolynomen.   ist die komplexe Laplace-Variable, die mit einem Exponenten anstelle der Ordnung einer Ableitung steht. Die Übertragungsfunktion   ist definiert als das Verhältnis des Ausgangssignals   zum Eingangssignal  , wobei die Anfangswerte des Systems gleich Null sind.

 .

Die Berechnung des Zeitverhaltens eines Übertragungssystems aus der Übertragungsfunktion   wird üblicherweise für normierte Eingangssignale   durchgeführt. Zur Berechnung der Sprungantwort mit dem Eingangssignal   wird der Übertragungsfunktion der Term   multiplikativ angehängt. Wird letzteres nicht durchgeführt, erhält man an Stelle der Sprungantwort die Impulsantwort.

Übertragungsfunktion in Polynomdarstellung, Pol- Nullstellendarstellung und Zeitkonstantendarstellung:

 

Die Lösung erfolgt durch Partialbruch-Zerlegung der Produktdarstellung in einfache additive Terme, die sich leicht in den Zeitbereich transformieren lassen. Die Partialbruch-Zerlegung von Übertragungsfunktionen höherer Ordnung ist nicht immer einfach, insbesondere wenn konjugiert komplexe Nullstellen vorliegen.

Alternativ können Laplace-Transformationstabellen benutzt werden, welche die häufigsten korrespondierenden Gleichungen im Zeitbereich enthalten.

Partikuläre Lösung der GDGL 2. Ordnung mit Hilfe der Laplace-Transformation

Die partikuläre Lösung beschreibt das Übertragungsverhalten des Systems als Funktion des Eingangssignals   und ist meist von hauptsächlichem Interesse. Die Anfangsbedingungen   und   haben dabei den Wert 0.[2]

Lösung der gegebenen GDGL 2. Ordnung:

 .

Die Übertragungsfunktion eines Systems entsteht nach dem Differentiationssatz durch Austausch der zeitabhängigen Terme einer GDGL mit den Laplace-Transformierten. Voraussetzung ist, dass die Anfangsbedingung des Systems Null ist. Je nach Grad der Ableitungen einer Funktion y(t) entstehen nach der Transformation folgende Laplace-Transformierte Y(s):

 

Mit den transformierten Termen kann die Übertragungsfunktion des dynamischen Systems G(s) aufgestellt werden:

 

Polynome einer Übertragungsfunktion werden durch Nullstellenbestimmungen in Linearfaktoren (Grundpolynome: Monom, Binom und Trinom) zerlegt. Liegen Zahlenwerte der Koeffizienten einer Übertragungsfunktion 2. Ordnung vor, können die Pole (= Nullstellen im Nenner der Übertragungsfunktion) durch die bekannte Formel zur Lösung einer gemischt-quadratischen Gleichung ermittelt werden.

Durch die verschiedenen Arten der Lösungen der Pole bedingt durch die Größe des Radikanden der quadratischen Gleichung ergeben sich drei unterschiedliche Fälle der Eigenwerte   (der Pole  ) der Übertragungsfunktion. Nachfolgend ist eine Korrespondenztabelle des s-Bereichs mit   und des Zeitbereichs für   für einen transformierten Eingangssprung  .

Folgende Grundpolynome (Binome und Trinome bei konjugiert komplexen Polen) entstehen in Abhängigkeit von den Nullstellen. Die Lösungen der Übertragungsfunktionen als Sprungantwort im Zeitbereich sind einer Laplace-Transformationstabelle entnommen worden:

Die Laplace-Transformationstabellen können in zwei Formen der Produkt-Darstellung aufgeführt sein, wobei unterschiedliche Faktoren a0 und K berücksichtigt werden müssen. Die Umrechnung der Pole- Nullstellen-Darstellung in Zeitkonstanten-Darstellung ist einfach, sie sind algebraisch identisch.  .

Pol-Nullstellen-Darstellung (Stabiles System) und Zeitkonstanten-Darstellung:

 
f(s)
Übertragungsfunktion 2. Ordnung
Eingangssprung u(t) = 1 := Multiplikation mit 1/s
f(t)
Partikuläre Lösung
Sprungantwort im Zeitbereich
Bestimmung der Pole   und  
aus der Polynom-Darstellung
2 reelle Nullstellen

 
 
 
 
 
2 gleiche Nullstellen
 
   
 
konjugiert komplexe Nullstellen

 

ω0 = ungedämpfte Kreisfrequenz
 
 

 
 
Dämpfung D

 

 

Wird für den Fall der zwei reellen Nullstellen in die Gleichung für   eingesetzt, entsteht eine Division durch Null  , was nicht zulässig ist. Als „verschiedene“ Nullstellen gelten bereits Nullstellen, wenn sie sich in einer theoretisch unendlichen Dezimalstelle eines Wertes unterscheiden.

Die Gesamtlösung einer GDGL ergibt sich aus der Überlagerung der Systemantworten auf die Anfangsbedingungen und auf das Eingangssignal:

 

Die partikuläre Lösung der GDGL bezieht sich darauf, dass die Anfangswerte   gleich Null sind und das Eingangssignal   ist. Sie lässt sich aus der Übertragungsfunktion   bestimmen, indem die Differentialgleichung einer Laplace-Transformation unterzogen wird.

Berechnungsbeispiel der partikulären Lösung einer GDGL 2. Ordnung mit der Laplace-Transformationstabelle

  • Vorgegeben:
Eingangssignal: Sprungfunktion  .
Übertragungsfunktion des Systems:
 
Gesucht: Partikuläre Lösung   für die gegebene Übertragungsfunktion:
Suchbegriff für die Laplace-Transformationstabelle:
 
  • Errechnet:
Die gefundene analytische Gleichung   der partikulären Lösung laut Transformationstabelle durch Eingabe der Koeffizienten lautet:
 .
Zahlenwerte der Zeitkonstanten eingesetzt:
 .

Grafische Darstellung der partikulären Lösung siehe letztes Bild.

Anmerkung: Enthält die Ausgangsgröße eines Übertragungssystems Schwingungsanteile, ergeben sich laut Transformationstabellen aufwendige trigonometrische Gleichungen.

Lösung einer linearen gewöhnlichen Differentialgleichung mittels der numerischen Berechnung

Eine lineare gewöhnliche Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten, die ein dynamisches System mit einem Eingangssignal und einem Ausgangssignal beschreibt, wird in eine Differenzengleichung umgeformt, indem die Differentialquotienten der GDGL durch Differenzenquotienten ausgetauscht werden.

Die Übertragungsfunktion   mit der komplexen Frequenz   entsteht aus der Laplace-Transformation einer linearen Differentialgleichung. Die Zerlegung der entstehenden Polynomgleichungen im Zähler und Nenner erfolgt durch die Pol-Nullstellenbestimmung ( ) in Linearfaktoren und Faktoren 2. Ordnung.

Die Übertragungsfunktion ist die häufigste Systemdarstellung linearer Systeme, weil nur 3 reguläre Formen – je im Zähler und Nenner – von Linearfaktoren oder deren Vielfache von differenzierenden und verzögernden linearen elementaren Grundsystemen existieren und die Wiedererkennung des Systemverhaltens anhand der Gleichungen hoch ist. Aus den Linearfaktoren im s-Bereich lassen sich einfache Differenzengleichungen im zeitdiskreten k-Bereich entwickeln.

Lineare dynamische Systeme allein oder in Kombination mit nichtlinearen Systemen lassen sich relativ einfach (je nach Art der Nichtlinearität mit logischen Befehlen) mit Hilfe der Differenzengleichungen numerisch berechnen.

Beispiel für die Berechnung eines senkrechten Federpendels mit Anfangswerten.

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Amann: Gewöhnliche Differentialgleichungen, 2. Auflage, Gruyter – de Gruyter Lehrbücher, Berlin New York, 1995, ISBN 3-11-014582-0
  • Bernd Aulbach: Gewöhnliche Differenzialgleichungen, Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2004, ISBN 3-8274-1492-X
  • Martin Hermann: Numerik gewöhnlicher Differentialgleichungen, Anfangs- und Randwertprobleme, Oldenbourg Verlag, München und Wien, 2004, ISBN 3-486-27606-9
  • Harro Heuser: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Teubner, März 2004, ISBN 3-519-32227-7
  • Edward Lincey Ince: Die Integration gewöhnlicher Differentialgleichungen, Dover Publications, 1956, ISBN 0-486-60349-0
  • Wolfgang Walter: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Springer, 2000, ISBN 3-540-67642-2

Einzelnachweise

  1. May-Britt Kallenrode, Universität Osnabrück, Fachbereich Physik: Vorlesungsskript „Mathematik für Physiker“, Kapitel: „Gewöhnliche Differenzialgleichungen“, 611 Seiten, ausgestellt 2007.
  2. Oliver Nelles, Universität Siegen: Vorlesungskonzept Mess- und Regelungstechnik I, Kapitel: „Laplace-Transformation“, 446 Seiten vom 8. Oktober 2009.