Eine gewöhnliche Differentialgleichung (oft abgekürzt mit GDGL oder ODE, englisch ordinary differential equation) ist eine Differentialgleichung, bei der zu einer gesuchten Funktion nur Ableitungen nach genau einer Variablen auftreten.
Viele physikalische, chemische und biologische Vorgänge in der Natur lassen sich mit solchen Gleichungen mathematisch beschreiben, z. B. der radioaktive Zerfall, Bewegungsvorgänge von Körpern, viele Arten von Schwingungsvorgängen oder das Wachstumsverhalten von Tier-Populationen. In naturwissenschaftlichen Modellen werden gewöhnliche Differentialgleichungen daher häufig eingesetzt, um solche Vorgänge zu analysieren, zu simulieren oder um Vorhersagen abgeben zu können. In vielen Fällen kann die Differentialgleichung nicht analytisch gelöst werden. Man ist daher auf numerische Verfahren angewiesen. Siehe Hauptartikel: Liste numerischer Verfahren#Numerik gewöhnlicher Differentialgleichungen.
Historische Entwicklung
Historisch gesehen wurden die ersten Differentialgleichungen verwendet, um die Bewegung von Objekten zu modellieren. Besonders hervorzuheben sind dabei die Gleichungen für die Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit bzw. konstanter Beschleunigung. Im Jahr 1590 erkannte Galileo Galilei den Zusammenhang zwischen der Fallzeit eines Körpers und seiner Fallgeschwindigkeit sowie dem Fallweg und formulierte (noch) mit geometrischen Mitteln das Gesetz des freien Falles.
Als Isaac Newton auch Bewegungen mit Reibungen betrachtete, die zum Betrag oder zum Quadrat der Geschwindigkeit proportional sind, war er genötigt, die Differentialrechnung und den heute geläufigen Formalismus der Differentialgleichungen einzuführen.
Durch die exakte Formulierung des Grenzwertbegriffes, der Ableitung und des Integrals stellte schließlich Augustin Louis Cauchy im 19. Jahrhundert die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen auf ein festes Fundament und machte sie somit vielen Wissenschaften zugänglich.
Das wissenschaftliche Interesse an Differentialgleichungen ist im Wesentlichen darin begründet, dass mit ihnen auf Grund vergleichsweise einfacher Beobachtungen und Experimente vollständige Modelle geschaffen werden können.
Nur wenige Typen von Differentialgleichungen lassen sich analytisch lösen. Trotzdem lassen sich qualitative Aussagen wie Stabilität, Periodizität oder Bifurkation auch dann treffen, wenn die Differentialgleichung nicht explizit gelöst werden kann. Eines der wichtigsten Hilfsmittel für skalare Differentialgleichungen sind Argumente mittels eines Vergleichssatzes.
Allgemeine Definition
Seien und eine stetige Funktion. Dann heißt
ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem -ter Ordnung von Gleichungen ( ist hier die unabhängige Variable, usw.). Im Fall nennt man dies eine gewöhnliche Differentialgleichung -ter Ordnung.
Ihre Lösungen sind -mal differenzierbare Funktionen , welche die Differentialgleichung auf einem zu bestimmenden Intervall erfüllen. Sucht man eine spezielle Lösung, welche zu gegebenen und zusätzlich
erfüllt, so bezeichnet man dies als Anfangswertproblem.
Kann die Differentialgleichung nach der höchsten vorkommenden Ableitung aufgelöst werden und hat somit die Form
- ,
so heißt sie explizit, andernfalls implizit; siehe auch Satz von der impliziten Funktion.
Zur Notation
In der Literatur zu gewöhnlichen Differentialgleichungen werden standardmäßig zwei unterschiedliche Notationen verwendet. In der einen Variante wird die unabhängige Variable mit bezeichnet und die Ableitungen der Funktion nach mit usw. Die andere Schule verwendet eine auf Newton zurückgehende Notation. Dabei ist die unabhängige Variable bereits mit einem Sinn versehen; ist die Zeit. Lösungen werden dann oft mit bezeichnet und die Ableitungen nach der Zeit werden als notiert. Da dieser Artikel von Vertretern beider Schulen bearbeitet wurde, finden sich beide Notationen wieder.
Existenz und Eindeutigkeit
Ob überhaupt eine Lösung existiert, lässt sich anhand einiger Kriterien erkennen. Die Differentialgleichung selbst reicht im Allgemeinen nicht aus, um die Lösung eindeutig zu bestimmen.
Beispielsweise ist der grundsätzliche Bewegungsablauf aller schwingenden Pendel gleich und kann durch eine einzige Differentialgleichung beschrieben werden. Der konkrete Bewegungsablauf ist jedoch durch die Rand- oder Anfangsbedingung(en) (wann wurde das Pendel angestoßen, und wie groß ist die Anfangsauslenkung) bestimmt.
Die lokale Lösbarkeit von Anfangswertproblemen bei gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung wird durch den Satz von Picard-Lindelöf und den Satz von Peano beschrieben. Aus der Existenz einer lokalen Lösung kann man in einem zweiten Schritt auf die Existenz einer nicht-fortsetzbaren Lösung schließen. Mit Hilfe des Satzes vom maximalen Existenzintervall kann man darauf aufbauend von dieser nicht-fortsetzbaren Lösung dann gelegentlich Globalität nachweisen. Die Eindeutigkeit bekommt man als Anwendung der gronwallschen Ungleichung.
Reduktion von Gleichungen höherer Ordnung auf Systeme erster Ordnung
Gewöhnliche Differentialgleichungen beliebiger Ordnung lassen sich immer auf ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung zurückführen. Hat eine gewöhnliche Differentialgleichung die Ordnung , so führt man dazu die voneinander abhängigen Funktionen ein:
Aus der expliziten Differentialgleichung -ter Ordnung für wird dabei:
Man erhält also ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung:
- .
Umgekehrt kann man aus manchen Differentialgleichungssystemen eine einzige Differentialgleichung höherer Ordnung ableiten.
Beispiele
- Ein einfaches Beispiel aus der Physik ist das Zerfallsgesetz:
- Dieses besagt, dass bei einer Menge instabiler Atome die Anzahl der zerfallenden Atome von der gesamten Anzahl der vorhandenen Atome proportional abhängt.
- Eine wichtige Klasse weiterer Differentialgleichungen bilden die newtonschen Bewegungsgleichungen:
- Durch die Kenntnis der von der Zeit und der Position eines Teilchens abhängenden Kraft treffen diese Gleichungen Aussagen über die Bewegung des Teilchens selbst.
- Neben einfachen Zusammenhängen der Änderungen einer einzelnen Größe lassen sich aber auch Vorhersagen über mehrere Größen in einem System treffen. In etwa die Lotka-Volterra-Gleichungen der Ökologie:
- Dieses System beschreibt die zeitliche Veränderung der Räuberpopulation und der Beutepopulation bei konstanten natürlichen Geburtenraten und Sterberaten . Einige wichtige Eigenschaften dieses Modells lassen sich in Form der sogenannten Lotka-Volterra-Regeln zusammenfassen. Dieses und ähnliche Systeme finden in der theoretischen Biologie auch zur Beschreibung von Ausbreitungsprozessen und in Epidemiemodellen breite Anwendung.
Spezielle Typen von Differentialgleichungen
Den bekanntesten Typ der gewöhnlichen Differentialgleichungen bildet die lineare Differentialgleichung -ter Ordnung mit:
- für stetige .
Weitere wichtige Typen von gewöhnlichen Differentialgleichungen sind die folgenden:
- .
- mit .
- , worin das Vektorfeld eine Potentialfunktion besitzt.
- .
- Lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung von Gleichungen
- für stetige und .
- .
- .
Autonome Systeme
Ein Differentialgleichungssystem heißt autonom oder zeitinvariant, falls die beschreibende Gleichung nicht von der unabhängigen Variable abhängt. D.h., wenn das System von der Form
ist.
Ein Differentialgleichungssystem
heißt vollständig, wenn zu jedem Anfangswert die globale Lösung auf ganz definiert und eindeutig ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn linear beschränkt und Lipschitz-stetig ist. Es bezeichne diese (eindeutig bestimmte globale) Lösung. Dann nennt man den Fluss der Differentialgleichung , und bildet dann ein dynamisches System.
Besonders einfach zu analysieren ist der Fall der ebenen autonomen Systeme. Mit Hilfe des Satzes von Poincaré-Bendixson kann man oft die Existenz periodischer Lösungen nachweisen. Ein wichtiges ebenes autonomes System bildet das Lotka-Volterra-Modell.
Da die Poincaré-Bendixson-Theorie zentral auf den jordanschen Kurvensatz aufbaut, sind höherdimensionale Analoga falsch. Insbesondere ist es sehr schwierig, periodische Lösungen höherdimensionaler autonomer Systeme zu finden.
Lösungsverfahren für lineare gewöhnliche Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Durch gewöhnliche Differentialgleichungen lassen sich viele dynamische Systeme aus der Technik, Natur und Gesellschaft beschreiben. Viele auf den ersten Blick sehr verschiedene physikalische Probleme lassen sich mit der GDGL jedoch formal identisch darstellen.
Ein dynamisches System ist eine Funktionseinheit zur Verarbeitung und Übertragung von Signalen, wobei die Eingangsgröße als Ursache und die Ausgangsgröße als Folge des zeitlichen Übertragungsverhaltens des Systems definiert ist. Ist die Eingangsgröße , so handelt es sich um eine homogene GDGL, anderenfalls um eine inhomogene GDGL.
Ein dynamisches System verhält sich linear, wenn die Wirkungen zweier linear überlagerter Eingangssignale sich am Ausgang des Systems in gleicher Weise linear überlagern. Eine lineare GDGL enthält die gesuchte Funktion und deren Ableitungen nur in der ersten Potenz. Es dürfen keine Produkte der gesuchten Funktion und ihren Ableitungen auftreten. Die gesuchte Funktion darf auch nicht in Argumenten von Winkelfunktionen, Logarithmen usw. erscheinen.
Ein bekanntes Beispiel aus der Mechanik ist die lineare GDGL zweiter Ordnung eines gedämpften Federpendels mit der Federsteifigkeit , Masse und Dämpfungskonstante . Dabei ist die Eingangsgröße: die Kraft , die Ausgangsgröße der Weg .
- .
Linear zeitinvariante Systeme können durch die nachfolgenden Verfahren berechnet werden:
- Klassisch mit Hilfe des Exponentialansatzes,
- Laplace-Transformation,
- Numerisch.
Lösung mit Hilfe des Exponentialansatzes
Die Lösung einer inhomogenen GDGL besteht aus der allgemeinen Lösung der homogenen GDGL und einer speziellen Lösung (partikuläre Lösung) der inhomogenen GDGL. Deshalb erfolgt das Lösungsverfahren der inhomogenen GDGL, unabhängig von der Ordnung, in zwei Stufen. Die Gesamtlösung ist die Summe der beiden Lösungen:
- Die homogene Lösung der GDGL beschreibt das Systemverhalten mit Anfangswerten der Systemspeicher zum Zeitpunkt und dem Eingangssignal . Dies bedeutet für das dynamische System, es ist sich selbst überlassen und hat nur ein Ausgangssignal. Die homogene Lösung der GDGL ist Null, wenn alle Anfangsbedingungen von und deren Ableitungen Null sind.
- Die partikuläre Lösung der GDGL beschreibt das Übertragungsverhalten von für als erzwungene Bewegung. Je nach Systemordnung müssen alle Anfangsbedingungen und deren Ableitungen Null sein.
- Ist die Übertragungsfunktion als Laplace-transformierte GDGL gegeben, so ist die Berechnung des System-Ausgangssignals für ein gegebenes Eingangssignal bei Anwendung der inversen Laplace-Transformation immer eine partikuläre Lösung. Die partikuläre Lösung der GDGL ist in der Regelungstechnik meist von hauptsächlichem Interesse.
Mit Hilfe des Exponentialansatzes und der sich daraus ergebenden charakteristischen Gleichung lassen sich auch GDGL höherer Ordnung lösen. Dieser Exponentialansatz gilt als universelles Lösungsverfahren für homogene GDGL beliebiger Ordnungen mit konstanten Koeffizienten.
Hat eine GDGL die Ordnung n, so hat ihre Lösung n Integrationskonstanten. Dazu müssen n Anfangsbedingungen gegeben sein.
Der Exponentialansatz liefert Ableitungen der Form: .
Werden diese Beziehungen in die homogene GDGL eingesetzt, entsteht die charakteristische Gleichung als Polynom n-ter Ordnung für . Die homogene Lösung einer inhomogenen Differenzialgleichung lautet damit allgemein für den Fall reeller ungleicher Nullstellen des charakteristischen Polynoms:
Die Lösung einer GDGL erfolgt durch Integration. Jede Integration ergibt Integrationskonstanten , deren Anzahl durch die Ordnung der GDGL bestimmt ist. Die Lösung einer GDGL n-ter Ordnung enthält voneinander unabhängige Integrationskonstanten. Diese sind für eine spezielle (partikuläre) Lösung der GDGL abhängig von den Eigenwerten und gegebenen Anfangsbedingungen des Übertragungssystems zu bestimmen.
Die Bestimmung der Integrationskonstanten bei Systemen höherer Ordnung (> 2) ist sehr umständlich. Weitere Informationen liefert die Fachliteratur.[1]
Anfangswertproblem und Integrationskonstanten für eine homogene GDGL 2. Ordnung
Eine homogene GDGL n-ter Ordnung hat n Anfangswerte. Für die homogene GDGL zweiter Ordnung mit zwei vorzugebenden Anfangswerten und können die Koeffizienten und errechnet werden, wenn die Nullstellen des charakteristischen Polynoms bekannt sind.
Für jede Anfangsbedingung ergibt sich eine Gleichung ( , ).
Beispiel für eine homogene GDGL mit zwei reellen Nullstellen und und Anfangswerten ; :
Lösung der homogenen DGL 2. Ordnung:
Berechnung der Koeffizienten:
Aus den beiden Gleichungen von für und für lassen sich die Koeffizienten und bestimmen.
Anmerkung: Die Ableitung von
Tabelle: Durch die verschiedenen Arten der Lösungen der quadratischen Gleichung, bedingt durch die Größe der Diskriminante, ergeben sich drei unterschiedliche Fälle der Eigenwerte λ der GDGL wie:
Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung
2. Ordnung mit konstanten KoeffizientenNullstellen Anfangswertproblem
Bestimmung C1, C2Radikand > 0: 2 reelle Nullstellen
Radikand = 0: 2 gleiche Nullstellen
Radikand < 0: konjugiert komplexen Nullstellen
Berechnungsbeispiel der Lösung einer GDGL 2. Ordnung mit reellen Nullstellen
- Übertragungsfunktion eines dynamischen Systems bestehend aus zwei PT1-Gliedern
Zugehörige systembeschreibende GDGL:
Die höchste Ableitung freigestellt:
- Vorgegeben: Willkürlich gewählte Anfangswerte der Energiespeicher (Integratoren): ; ;
- Vorgegeben: Eingangsgröße ist eine normierte Sprungfunktion für .
- Gesucht: Homogene Lösung der GDGL und partikuläre Lösung :
- Für die homogene Lösung wird gesetzt.
- Errechnet laut der oben dargestellten Tabelle der homogenen Lösung:
- Es ergeben sich zwei reelle Nullstellen:
- Errechnet: Die Integrationskonstanten errechnen sich laut Tabelle mit ; .
- Analytische homogene Lösung laut Tabelle für zwei reelle Nullstellen:
- daraus folgt:
- Mit den eingesetzten Zahlenwerten lautet die analytische Lösung der homogenen GDGL:
- Partikuläre Lösung:
- Die Berechnung der Systemantwort des Eingangs-Ausgangsverhaltens über das Faltungsintegral ist aufwendig.
- Einfacher ist die Lösung – wie nachfolgend dargestellt – durch die Anwendung der Laplace-Transformation.
Lösung mittels der Übertragungsfunktion
Die allgemeine Form einer Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten der Ausgangsgröße und mit der Eingangsgröße lautet:
- .
Durch Anwendung des Laplace-Differentiationssatzes einer GDGL entstehen algebraische Gleichungen mit sogenannten Zähler- und Nennerpolynomen. ist die komplexe Laplace-Variable, die mit einem Exponenten anstelle der Ordnung einer Ableitung steht. Die Übertragungsfunktion ist definiert als das Verhältnis des Ausgangssignals zum Eingangssignal , wobei die Anfangswerte des Systems gleich Null sind.
- .
Die Berechnung des Zeitverhaltens eines Übertragungssystems aus der Übertragungsfunktion wird üblicherweise für normierte Eingangssignale durchgeführt. Zur Berechnung der Sprungantwort mit dem Eingangssignal wird der Übertragungsfunktion der Term multiplikativ angehängt. Wird letzteres nicht durchgeführt, erhält man an Stelle der Sprungantwort die Impulsantwort.
Übertragungsfunktion in Polynomdarstellung, Pol- Nullstellendarstellung und Zeitkonstantendarstellung:
Die Pole und Nullstellen der Übertragungsfunktion sind die wichtigsten Kenngrößen des Systemverhaltens. Die Pole (Nullstellen des Nennerpolynoms) sind gleichzeitig die Lösung des Systems und bestimmen das System-Zeitverhalten. Die Nullstellen des Zählerpolynoms haben nur Einfluss auf die Amplituden der Systemantwort.
Die Lösung erfolgt durch Partialbruch-Zerlegung der Produktdarstellung in einfache additive Terme, die sich leicht in den Zeitbereich transformieren lassen. Die Partialbruch-Zerlegung von Übertragungsfunktionen höherer Ordnung ist nicht immer einfach, insbesondere wenn konjugiert komplexe Nullstellen vorliegen.
Alternativ können Laplace-Transformationstabellen benutzt werden, welche die häufigsten korrespondierenden Gleichungen im Zeitbereich enthalten.
Partikuläre Lösung der GDGL 2. Ordnung mit Hilfe der Laplace-Transformation
Die partikuläre Lösung beschreibt das Übertragungsverhalten des Systems als Funktion des Eingangssignals und ist meist von hauptsächlichem Interesse. Die Anfangsbedingungen und haben dabei den Wert 0.[2]
Lösung der gegebenen GDGL 2. Ordnung:
- .
Die Übertragungsfunktion eines Systems entsteht nach dem Differentiationssatz durch Austausch der zeitabhängigen Terme einer GDGL mit den Laplace-Transformierten. Voraussetzung ist, dass die Anfangsbedingung des Systems Null ist. Je nach Grad der Ableitungen einer Funktion y(t) entstehen nach der Transformation folgende Laplace-Transformierte Y(s):
Mit den transformierten Termen kann die Übertragungsfunktion des dynamischen Systems G(s) aufgestellt werden:
Polynome einer Übertragungsfunktion werden durch Nullstellenbestimmungen in Linearfaktoren (Grundpolynome: Monom, Binom und Trinom) zerlegt. Liegen Zahlenwerte der Koeffizienten einer Übertragungsfunktion 2. Ordnung vor, können die Pole (= Nullstellen im Nenner der Übertragungsfunktion) durch die bekannte Formel zur Lösung einer gemischt-quadratischen Gleichung ermittelt werden.
Durch die verschiedenen Arten der Lösungen der Pole bedingt durch die Größe des Radikanden der quadratischen Gleichung ergeben sich drei unterschiedliche Fälle der Eigenwerte (der Pole ) der Übertragungsfunktion. Nachfolgend ist eine Korrespondenztabelle des s-Bereichs mit und des Zeitbereichs für für einen transformierten Eingangssprung .
Folgende Grundpolynome (Binome und Trinome bei konjugiert komplexen Polen) entstehen in Abhängigkeit von den Nullstellen. Die Lösungen der Übertragungsfunktionen als Sprungantwort im Zeitbereich sind einer Laplace-Transformationstabelle entnommen worden:
Die Laplace-Transformationstabellen können in zwei Formen der Produkt-Darstellung aufgeführt sein, wobei unterschiedliche Faktoren a0 und K berücksichtigt werden müssen. Die Umrechnung der Pole- Nullstellen-Darstellung in Zeitkonstanten-Darstellung ist einfach, sie sind algebraisch identisch. .
Pol-Nullstellen-Darstellung (Stabiles System) und Zeitkonstanten-Darstellung:
Tabelle: Berechnung der Sprungantworten eines Übertragungssystems 2. Ordnung in Abhängigkeit von den Polstellenarten:
f(s)
Übertragungsfunktion 2. Ordnung
Eingangssprung u(t) = 1 := Multiplikation mit 1/sf(t)
Partikuläre Lösung
Sprungantwort im ZeitbereichBestimmung der Pole und
aus der Polynom-Darstellung2 reelle Polstellen:
2 gleiche Polstellen:
Konjugiert komplexe Polstellen:
Dämpfung D:
Wird für den Fall der zwei reellen Nullstellen in die Gleichung für eingesetzt, entsteht eine Division durch Null , was nicht zulässig ist. Als „verschiedene“ Nullstellen gelten bereits Nullstellen, wenn sie sich in einer theoretisch unendlichen Dezimalstelle eines Wertes unterscheiden.
Die Gesamtlösung einer GDGL ergibt sich aus der Überlagerung der Systemantworten auf die Anfangsbedingungen und auf das Eingangssignal:
Die partikuläre Lösung der GDGL bezieht sich darauf, dass die Anfangswerte gleich Null sind und das Eingangssignal ist. Sie lässt sich aus der Übertragungsfunktion bestimmen, indem die Differentialgleichung einer Laplace-Transformation unterzogen wird.
Berechnungsbeispiel der partikulären Lösung einer GDGL 2. Ordnung mit der Laplace-Transformationstabelle
- Vorgegeben:
- Eingangssignal: Sprungfunktion .
- Übertragungsfunktion des Systems:
- Gesucht: Partikuläre Lösung für die gegebene Übertragungsfunktion:
- Suchbegriff für die Laplace-Transformationstabelle:
- Errechnet:
- Die gefundene analytische Gleichung der partikulären Lösung laut Transformationstabelle durch Eingabe der Koeffizienten lautet:
- .
- Zahlenwerte der Zeitkonstanten eingesetzt:
- .
Grafische Darstellung der partikulären Lösung siehe letztes Bild.
Anmerkung: Enthält die Ausgangsgröße eines Übertragungssystems Schwingungsanteile, ergeben sich laut Transformationstabellen aufwendige trigonometrische Gleichungen.
Lösung einer linearen gewöhnlichen Differentialgleichung mittels der numerischen Berechnung
Eine lineare gewöhnliche Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten, die ein dynamisches System mit einem Eingangssignal und einem Ausgangssignal beschreibt, wird in eine Differenzengleichung umgeformt, indem die Differentialquotienten der GDGL durch Differenzenquotienten ausgetauscht werden. Die rekursive Lösung einer Differenzengleichung erster Ordnung erfolgt von einer Anfangsbedingung durch nummerierte Folgegleichungen. Jede Folgegleichung bezieht sich auf das Ergebnis einer zurückliegenden Folgegleichung.
Bei allen numerischen Verfahren wird der Wert der gesuchten Funktion für diskrete Zeitpunkte ermittelt.[3]
Die numerische Gesamtlösung des Systems erfolgt – bei einfachen Differenzengleichungen – rekursiv (sich selbst aufrufend) über viele Berechnungsfolgen in meist je kleinen konstanten Zeitstufen. Die Form der Gesamtlösung ist damit tabellarisch für die gesuchten Werte (Stützpunkt, Knoten) eines Funktionsverlaufs im zeitlichen Abstand .
Das einfachste numerische Verfahren ist das Euler-Streckenzugverfahren. Zu den Einschritt-Verfahren gehören Euler-Vorwärtsverfahren (Explizites Euler-Verfahren), Euler-Rückwärtsverfahren (Implizites Eulerverfahren), Runge-Kutta-Verfahren, Heun-Verfahren. Bei den Mehrschrittverfahren wird die Information aus den zuvor bereits errechneten Stützpunkten gebildet.
Zum weiteren Verständnis der numerischen Berechnung linearer dynamischer Systeme in Form von linearen gewöhnlichen Differentialgleichungen siehe:
- Anwendung der numerischen Berechnung nach dem Euler-Streckenzugverfahren:
- siehe Hauptartikel Differenzengleichung.
- Tabelle der Differenzengleichungen dynamischer Systeme (Euler-Rückwärts) und diskreten Signalen:
- siehe Hauptartikel „Digitaler Regler“: Tabelle Differenzengleichungen.
- Beispiel der numerischen Berechnung der Sprungantwort eines Schwingungsgliedes ( -Glied) als Differenzengleichung 2. Ordnung:
- Siehe Hauptartikel Differenzengleichung#Differenzengleichungen höherer Ordnung.
- Beispiel für die numerische Berechnung eines senkrechten Federpendels mit Anfangswerten für ein System 2. Ordnung nach dem Signalflussplan der Regelungsnormalform:
- Siehe Hauptartikel Dynamisches System (Systemtheorie)#Federpendel.
Software
Einige CAS können Differentialgleichungen lösen, z. B.:
Siehe auch
Literatur
- Herbert Amann: Gewöhnliche Differentialgleichungen, 2. Auflage, Gruyter – de Gruyter Lehrbücher, Berlin New York, 1995, ISBN 3-11-014582-0
- Bernd Aulbach: Gewöhnliche Differenzialgleichungen, Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2004, ISBN 3-8274-1492-X
- Martin Hermann: Numerik gewöhnlicher Differentialgleichungen, Anfangs- und Randwertprobleme, Oldenbourg Verlag, München und Wien, 2004, ISBN 3-486-27606-9
- Harro Heuser: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Teubner, März 2004, ISBN 3-519-32227-7
- Edward Lincey Ince: Die Integration gewöhnlicher Differentialgleichungen, Dover Publications, 1956, ISBN 0-486-60349-0
- Wolfgang Walter: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Springer, 2000, ISBN 3-540-67642-2
Einzelnachweise
- ↑ May-Britt Kallenrode, Universität Osnabrück, Fachbereich Physik: Vorlesungsskript „Mathematik für Physiker“, Kapitel: „Gewöhnliche Differenzialgleichungen“, 611 Seiten, ausgestellt 2007.
- ↑ Oliver Nelles, Universität Siegen: Vorlesungskonzept Mess- und Regelungstechnik I, Kapitel: „Laplace-Transformation“, 446 Seiten vom 8. Oktober 2009.
- ↑ Prof. Dr. Johannes Wandinger, Hochschule München, Vorlesungsskript "Numerische Methoden"
- ↑ ExpressionsinBar. Abgerufen am 17. Mai 2020.
- ↑ dsolve - Maple Programming Help. Abgerufen am 17. Mai 2020.
- ↑ Basic Algebra and Calculus — Sage Tutorial v9.0. Abgerufen am 17. Mai 2020.
- ↑ Symbolic algebra and Mathematics with Xcas. Abgerufen am 17. Mai 2020.