„Künstliche Intelligenz (KI)“ ist erst 2019 Thema des Wissenschaftsjahres, daher waren die DGI-Praxistage einige Monate voraus, als sie die Fachöffentlichkeit am 8. und 9. November 2018 zu den DGI-Praxistagen nach Frankfurt am Main einluden. Unter dem dynamischen Motto „Der Algorithmus, wo man mit muss“ sollte beleuchtet werden, „wie KI und Mining-Technologien die Arbeitswelt von Information Professionals verändern“.
Mit dieser Vorausschau stand die DGI jedoch nicht allein: seit einigen Jahren ist „Artificial Intelligence“, so der Begriff im englischen Original, wieder in aller Munde, und besonders die ökonomischen Potentiale der sehr vielfältigen Technologien, die mit diesem Begriff zusammengefasst werden, rufen auch die politischen Akteure auf den Plan. Wer forschungspolitisch in diesem Feld nicht die Nase vorn hat, wird schnell als großer Verlierer der Zukunft abgeschrieben.
KI wird in der Öffentlichkeit vor allem mit spektakulären Automatisierungsprozessen in Verbindung gebracht, die den Anwendern durch Roboter oder wenigstens sprechende digitale Geräte begegnen. Die DGI legte erwartungsgemäß den Fokus darauf, welche Bedeutung Anwendungen der KI bereits jetzt, aber durchaus auch in Zukunft für das Berufsfeld der Information Professionals haben könnten bzw. haben sollten.
In der eintägigen Veranstaltung (dass man auch am Vortag schon gewinnbringend an den DGI-Praxistagen 2018 teilnehmen konnte, wird an anderer Stelle berichtet, s. S. 67) wurde dem Publikum vor vollem Haus unter der Moderation von Barbara Reißland zwischen 10 und 17 Uhr eine ganze Reihe von interessanten Einblicken in teilweise sehr unterschiedliche Anwendungsfelder geboten. Die Beiträge sind als Abstracts und auch über ihre Präsentationsfolien gut im Internet dokumentiert: https://dgi-info.de/dgi-praxistage-2018-programm-der-algorithmus-wo-man-mit-muss/. Daher soll hier vor allem eine Einschätzung der Veranstaltung im Vordergrund stehen.
Nach einer kurzen Einführung durch die DGI-Präsidentin Marlies Ockenfeld bot der Einstiegsvortrag von Prof. Dr. Harald Sack (KIT und FIZ Karlsruhe) sinnvollerweise einen Überblick, der sowohl kritisch als auch fordernd ausfiel. Prof. Harald Sack scheute sich nicht, zumindest auf der Oberfläche in die Technologie des maschinellen Lernens einzuführen, die in der Grundstruktur simpel erscheint, in der konkreten Umsetzung aber mathematisch komplex ist und hinsichtlich der erforderlichen Datenbasis sehr voraussetzungsreiche Anforderungen stellt. Einerseits machte dieser Einblick deutlich, dass das menschliche Auffassungsvermögen zwar der Maschine immer noch deutlich voraus ist, dass aber der Computer bei massenhafter Fütterung mit geeigneten Daten und bei hinreichender Rechenzeit bei bestimmten Aufgabenstellungen (siehe Schachspiel) nicht nur dem Durchschnittsmenschen, sondern auch den absoluten Experten überlegen sein kann.
Diese prinzipielle Leistungsfähigkeit von KI, automatisiert richtig zu entscheiden, beinhaltet aber auch Gefahren: Zum einen stellt sich die Frage, behalten der Mensch bzw. die Gesellschaft noch die Kontrolle (siehe Gentechnologie)? Zum anderen bleibt immer ein Restrisiko, dass sich die Maschine auch mal irrt, wenn sie weitgehend unkontrolliert agiert (Beispiel Autonomes Fahren und Fliegen). In dieses Spannungsfeld führte der Vortrag an verschiedenen Beispielen auch ein.
Für Information Professionals ist die maschinelle Indexierung ein zentrales Feld des Einsatzes von KI, für das auch schon seit mehr als 20 Jahren Anwendungsentwicklungen vorliegen. Dennoch sind bis heute die Ergebnisse nicht so, dass bei vollautomatischer Anwendung rundum befriedigende Ergebnisse vorliegen, die mit menschlicher Indexierung auf Augenhöhe liegen. Allerdings ist die Arbeitsersparnis enorm und damit ein Argument, das zunehmend mehr Gewicht erhält. Insgesamt vier Bei-träge widmeten sich daher auch dem Praxiseinsatz verschiedener Technologien der automatischen Indexierung:
Frank Busse (Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am Main) stellte eine bereits seit längerem in der Arbeitsroutine eingesetzte maschinelle Klassifikation vor. Dr. Andreas Kempf (ZBW, Kiel) befasste sich mit der automatischen Indexierung und ihren Auswirkungen auf das Thesaurusmanagement, wobei diese Anwendung noch in der Entwicklung ist. Andreas Mertens (avameo, Wiesbaden) führte in ein kommerzielles Verfahren zur automatischen Erstellung von Zusammenfassungen (Abstracts) ein.
In gewisser Weise zusammenfassend wirkte der Vortrag von Manfred Hauer (agi, Neustadt), der einen Rückblick auf den schon sehr frühen Beginn dieser Technologien bot und zugleich deutlich machte, dass eine Kombination unterschiedlicher Tools für unterschiedliche Zwecke heutzutage gängige Praxis der kommerziellen Anbieter zu werden scheint. Außerdem überraschte der Vortrag mit einem Einstieg in die Problematik des durch KI erzeugten Wandels in den Arbeitsfeldern. Der Beitrag war zwar persönlich gefärbt, sprach aber eine breit diskutierte und politisch brisante Wirkungsproblematik des Einzugs von KI in die Arbeitswelt an.
In drei weiteren Beiträgen wurden spezifische Arbeitsbereiche von Information Professionals einbezogen:
Hendrik Doll (Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main) berichtete über den Einsatz maschinellen Lernens im Forschungsdaten- und Servicezentrum seiner Einrichtung, wobei hier die komplexe Klassifizierung, Erschließung und nachhaltige Speicherung von Forschungsdaten die zentralen Aufgaben darstellen.
Prof. Dr. Maximilian Eibl überraschte mit einem universitären Projekt, das sich der digitalen Erschließung analogen Videomaterials von lokalen Fernsehsendern widmet. So unbekannt der Mehrheit des Publikums die Datenquellen gewesen sein mögen, so klassisch ist die dargestellte Zielsetzung für die Filmdokumentation. Es zeichnet sich ab, dass auch bei der Analyse eher historischen Materials eine Kombination traditioneller intellektueller Verfahren mit Automatisierungstechnologien fruchtbar gemacht werden kann.
Im letzten Vortrag bot Dr. Hidir Aras (FIZ Karlsruhe) einen Einblick in kombinierte Verfahren, die auf digitalen Workflows und Big-Data-Technologien beruhen, um großvolumige Patentinformationen nachnutzbar zu speichern. Damit war auch ein weiterer großer Arbeitsbereich einbezogen, der bislang noch eine starke Domäne klassischer Fachinformationsdienstleister ist.
Lässt sich aus dieser kurzen Tagung eine Antwort auf die Ausgangsfrage ableiten, wie KI sich auf das Arbeitsfeld der Information Professionals auswirken wird? Klar ist, dass Google und Co KI extensiv einsetzen können, um ihre Bedrohlichkeit für die Branche auszubauen. Andererseits wurde sichtbar, wie die Branche selbst KI-Anwendungen modular einsetzen kann, um ihre Ergebnisse konkurrenzfähig zu erhalten. Es wird davon abhängen, in welchem Ausmaß es fachspezifischer Expertise bei der Einrichtung maschinellen Lernens gelingen kann, den unschlagbaren Zugriff auf bislang noch unbegrenzte Datenmengen, der z. B. Google zur Verfügung steht, zu kompensieren bzw. im Ergebnis noch zu übertreffen.
Aus Zeitgründen kam am zweiten Tag die Diskussion zu kurz, insbesondere die gesellschaftlichen, ethischen und wirtschaftlichen Implikationen, die teilweise in den Vorträgen angeklungen waren, konnten nicht mehr final reflektiert und vertieft werden. Angesichts der Bedeutung dieser Fragen könnte das Fazit aus einer Diskussion des ersten Konferenztages, die sich mit dem Thema „KI und Bildung“ befasst hatte, empfohlen werden: Keine Künstliche Intelligenz (KI) ohne Informationskompetenz (IK)! Dabei bezöge sich dann die IK sowohl auf den einzelnen Bürger als auch auf die Gesellschaft, die einen verantwortlichen politischen Umgang mit KI als große Zukunftsaufgabe sichern muss.
Deskriptoren: Tagung, DGI, Künstliche Intelligenz, Inhaltliche Erschließung, Automatische Indexierung, Praxiseinsatz
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