Man nannte ihn „den roten Pabst“, obwohl er kein Kommunist war: Den Titel verdiente er sich mit zeitnahen, realistischen Spielfilmen. Pabst drehte klassische Werke des deutschen Films: Die freudlose Gasse mit Greta Garbo, Geheimnisse einer Seele, der erste Film über Psychoanalyse, Die Büchse der Pandora und Tagebuch einer Verlorenen mit Luise Brooks, die Dreigroschenoper nach Brecht/Weill, schließlich Westfront 1918 und Kameradschaft, pazifistische Filme, die – wie die meisten seiner Werke – nach der nationalsozialistischen Machtübernahme sofort verboten wurden. Wie konnte es dazu kommen, dass dieser Mann, der das Glück hatte, sich Anfang 1933 zu Dreharbeiten in Frankreich aufzuhalten, 1939 nach Deutschland zurückkehrte und seine Kunst
Politik : Georg Wilhelm Pabst: Ein Regisseur arrangiert sich mit dem NS-Staat
Georg Wilhelm Pabst ist neben Fritz Lang und Fritz Wilhelm Murnau einer der renommiertesten Regisseure der Weimarer Republik. Als er im Jahr 1939 aus dem Exil zurückkehrt, darf er in Deutschland weiter Filme drehen
Von
Michael Töteberg
22.10.2023
zuhalten, 1939 nach Deutschland zurückkehrte und seine Kunst dem nationalsozialistischen Film zur Verfügung stellte?Die Vorgeschichte. Pabst teilte das Schicksal vieler Emigranten. In ihrer Heimat berühmt und hofiert, konnten sie die Karriere im Exil nicht fortsetzen. Die ihm wichtigen Projekte ließen sich in Hollywood nicht realisieren, sein einziger Film A Modern Hero wurde ein Flop. Obwohl er mit den amerikanischen Produktionsmethoden nicht zurechtgekommen war, beschloss Pabst, endgültig in die USA zu gehen. Die Passage auf dem Schiff „Normandie“ war für den 8. September 1939 gebucht, doch wollte er sich vorher noch von seiner Mutter auf dem Familiengut Fünfturm in der Steiermark verabschieden. Am 1. September 1939 wurde er vom Kriegsausbruch überrascht.Pabst saß in der Falle. Aber niemand hat ihn gezwungen, Filme in Nazideutschland zu drehen. Die Initiative dürfte von Pabst ausgegangen sein. Nicht direkt, natürlich. Er kannte viele Filmleute, Produzenten ebenso wie Darsteller. Die Schauspielerin Henny Porten war es, die Pabst bei der Majestic-Film ins Gespräch brachte, wobei sie auf eine Hauptrolle spekulierte. Nach dem Verlust so vieler Talente, die aus dem NS-Staat geflohen waren, stellte es einen Triumph für das Regime dar, den berühmten Regisseur wieder im Lande zu haben.Walter Müller-Goerne, engster Mitarbeiter des Reichsfilmintendanten Hans Hinkel, wandte sich mit einem Schreiben vom 2. November 1939, Betreff: Georg Wilhelm Pabst, an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Graz. Er möchte Auskunft über die politische Zuverlässigkeit und den Leumund von Pabst. „Der Genannte hat sich vor 1933 in Deutschland als Filmregisseur betätigt. Er ist offenbar kurz vor 1933 nach Frankreich ausgewandert, da er in Deutschland fast ausschließlich in jüdischen Kreisen verkehrte. Er selbst gilt als Arier. Nach Ausbruch des Krieges ist Pabst aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt, und es ist zu erwarten, dass er sich im deutschen Filmwesen wieder betätigen will.“Aber zunächst einmal musste er Mitglied in der Reichsfilmkammer werden, zuvor war ihm jegliche Tätigkeit untersagt. Den entsprechenden Antrag stellte Pabst am 7. Dezember 1939, den „Nachweis der arischen Abstammung und der Deutschstämmigkeit“ erbrachte er am 15. Dezember. Die Aufnahme in die Reichsfilmkammer ging nicht schnell und problemlos, sondern gestaltete sich schwierig. Um den Prozess zu beschleunigen, wandte Pabst sich am 15. Februar 1940 persönlich an deren Präsidenten, Professor Carl Froelich. Ein alter Bekannter: In Stummfilmtagen hatte Pabst bei Froelich gearbeitet, war zeitweise sogar Gesellschafter der Froelich-Film GmbH gewesen. Ein Bekenntnis zum NS-System, gar eine Ergebenheitsadresse für Hitler, gab Pabst weder jetzt noch später ab. Gegenüber Froelich erklärte er: „Ich habe mich, was Ihnen als Künstler durchaus verständlich ist, von praktischer Politik immer ferngehalten und namentlich diesen Gedanken in meiner ausländischen Tätigkeit keinen Raum gewährt, trotzdem hierfür sicherlich Gelegenheit genügend gewesen wäre.“ Niemals habe er etwas unternommen, was das Ansehen seines Vaterlandes hätte schädigen können – derartige Angebote von französischen oder amerikanischen Produzenten habe er stets abgelehnt.Pabst erhielt eine „Sondergenehmigung“ und konnte auf dieser Basis seine Filmpläne betreiben. Mit der Filmfirma hatte er einen lukrativen Vertrag geschlossen: Für den Henny-Porten-Film waren 30.000 Reichsmark für die Regie vereinbart, zusätzlich 10.000 für die Mitarbeit am Drehbuch. Bescheidenheit war Pabsts Sache nicht. Regierungsrat Dr. Kobe, Sondertreuhänder der Arbeit für die kulturschaffenden Berufe und zuständig für die Überwachung der Gagen, versagte die Erlaubnis für das Zusatzhonorar. Reichsfilmintendant Fritz Hippler fand Pabsts Verhalten „mit den heutigen Pflichten eines Filmschaffenden nicht vereinbar“.Manche Projekte konnten nicht realisiert werden, weil sich das von Pabst verlangte Budget nicht finanzieren ließ. Was den nicht daran hinderte, sich Vorarbeiten gut bezahlen zu lassen. Ein signifikantes Beispiel: Leni Riefenstahl, die seit Jahren an ihrem Film Tiefland arbeitete, brauchte offensichtlich Hilfe. Man kannte sich – 1929 hatte Pabst die Schauspielerführung bei Die weiße Hölle vom Piz Palü von Arnold Franck übernommen. Nun sollte er als Regisseur die Atelieraufnahmen von Tiefland inszenieren, für einen Monat die exorbitante Gage vom 50.000 Reichsmark – plus 12.000 Reichsmark für die Mitarbeit am Drehbuch – erhalten. Riefenstahl war ein besonderer Fall, da konnte auch Regierungsrat Kobe seine Zustimmung nicht versagen. Doch bald kam es zum Streit, Pabst beendete die Zusammenarbeit, die erste Honorarrate verblieb jedoch bei ihm.Goldmedaille in VenedigPabst stand weiter unter Beobachtung. Am 10. Februar 1941 wandte sich der Landeskulturverwalter, Gau Steiermark, an die Reichsschrifttumskammer, um eine eingehende Nachforschung nahezulegen. Als Nachbar von Pabsts zwischen Kittenberg und Kreuzkogel liegendem Familiensitz hatte er in der Gegend das Gerücht vernommen, die Leute in Fünfturm seien Juden und Kommunisten. „Ich erhielt dann eines Tages plötzlich Besuch von ganz fremden Leuten, die in meinem Park spazierten und den Physiognomien nach Juden anrüchigster Art waren. Es stellte sich heraus, dass dies Leute, sogenannte ‚Sommergäste‘ von Fünfturm seien. Ein zweitesmal tauchte ein Jude in meinem (baulich sehr sehenswerten) Hause auf, und als ich ihn mit der Bemerkung fortwies, dass ich in meinen vier Wänden keinen Juden zu sehen wünschte, erklärte er erbost, er sei kein Jude, sondern Protestant und verwandt mit den Besitzern von Fünfturm. Indessen ließ er sich den Vorwurf gefallen und verschwand schweigend.“ Wegen der seit Langem ortsbekannten kommunistischen Einstellung würde es sich empfehlen, nachzufragen, außerdem: „Pabst hat ausgedehnte internationale Verbindungen.“ Unterzeichnet hat das Schreiben mit „Heil Hitler!“ Paul Anton Keller, ein Schriftsteller. Aber die Denunziation konnte Pabst nichts anhaben.„Wiedersehen mit G. W. Pabst“ freute sich die Filmwoche in der Ausgabe vom 24. September 1941. Die Formulierungen in diesem Gespräch lassen aufhorchen: Keine Spur von Nazi-Jargon. Pabst verweist auf das französische „‚réalisateur“, das viel treffender die Tätigkeit des Regisseurs beschreibe – dabei war das Wort aus dem Fachvokabular längst eliminiert worden. Offiziell hieß es jetzt „Spielmeister“. Und statt die Errungenschaften des deutschen Filmschaffens zu loben, lautet Pabsts Diagnose: „Wir sind seit etwa zehn Jahren filmkünstlerisch stehengeblieben.“ Dass er Goebbels’ Propaganda nach dem Mund redete, kann man Pabst nicht vorwerfen. Aber konnte es das geben: einen unangepassten, unpolitischen Filmregisseur in Nazi-Deutschland? Der sich keineswegs mit billigen Unterhaltungsfilmchen, die eventuell unter dem Radar liefen, begnügen wollte, sondern große, aufwendige, hoch budgetierte Historienepen drehte?Letztlich hat Pabst nur zwei Filme im „Dritten Reich“ realisiert (ein dritter blieb unvollendet), beides Historienschinken: Komödianten (1941) über die Schauspielerin Caroline Neuber und Paracelsus (1943) über den mittelalterlichen Arzt, der gegen Konventionen und Kommerz die moderne Medizin durchsetzen muss. Große Deutsche, Führergestalten in ihrer Zeit – da verstand sich die Parallele von selbst. Beide Filme wurden mit den Prädikaten „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“ ausgezeichnet. Auf der Biennale in Venedig 1941 erhielt Pabst die Goldmedaille für die beste Regie. Er war zum Starregisseur des „Dritten Reiches“ geworden, ein internationales Aushängeschild, auch wenn er sich nicht so kompromittierte wie Wolfgang Liebeneiner oder gar Veit Harland.Es war ein Sündenfall. Mit seiner Filmarbeit im NS-Staat ruinierte Pabst seinen Ruhm. Er hat später nie versucht, sich zu rechtfertigen. Die Nachkriegsfilme Der Prozeß, Der letzte Akt und Es geschah am 20. Juli waren gewiss ehrenwert und wandten sich gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus, doch das genügte nicht, um ihn zu rehabilitieren. Seine einstmals glanzvolle Karriere schloss mit dem Farbfilm Durch die Wälder, durch die Auen.